Kommunale Wärmeplanung:Clou und Mogelpackung

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Das Geothermie-Heizwerks Erding 1. (Foto: Stephan Goerlich)

Die Geothermie-Fernwärme in Erding deckt 15 Prozent des Wärmebedarfs der Stadt und hat noch Kapazitäten für mehr Anschlüsse. Doch die energetische Bilanz ist weder zeitgemäß noch zukunftsträchtig. In der Erdinger Fernwärme steckt zu 65 Prozent fossile Energie.

Von Florian Tempel, Erding

Die Demo gegen das Gebäudeenergiegesetz hat der Stadt Erding ein zweifelhaftes Etikett verpasst. Erding und Energiewende erscheinen im Rest von Deutschland seit drei Wochen als unvereinbare Begriffe, die sich abstoßen wie Magnetpole. Obwohl in der Stadt seit Jahrzehnten auch mit Geothermie geheizt wird, steht Erding seit dem 10. Juni für ein stures und trotzig-rotziges Weiter-so mit Öl- und Gasheizungen.

Oberbürgermeister Max Gotz (CSU) hat in seiner kurzen Ansprache bei der Demo sogar betont, dass das umstrittene Gesetz bei aller Kritik vom Ansatz her nicht völlig verkehrt sei, da es das Ziel habe "Klimaschutz zu betreiben". Dafür erhielt er von den Demonstrierenden keine Zustimmung, sondern nur laute Buhrufe und gellende Pfiffe. Im Stadtrat Erding ist die Stimmung freilich ganz anders. Erst vor wenigen Tagen wurde dort über ein neues Baugebiet beraten, in dem Heizen mit fossilen Brennstoffe grundsätzlich verboten werden soll. Im Textteil für den Bebauungsplan "Haager Straße Ost" steht unter dem Titel "Festsetzung zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen", dass "die Verwendung von fossilen Brennstoffen insbesondere Torf, Kohle, Erdgas oder Heizöl in Heizanlagen, Kaminen, Öfen und ähnlichen Verbrennungsanlagen zur Raumheizung und Warmwasserbereitung nicht zugelassen" sein soll.

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Ähnliche Festsetzungen gibt es in Erding bereits für zwei andere Baugebiete, sagt Herbert Maier, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stadtrat sowie Referent für Klimaschutz und Energie. Auch im Bebauungsplan für das neue Gewerbegebiet an der Dachauer Straße, wo man derzeit einem Parkhaus beim Wachsen zusehen kann, "haben wird den Satz drin". Und im kleinen Baugebiet an der Freisinger Straße, wo vorne raus ein Hotel und weiter hinten eine Wohnanlage entsteht, wurden erst vor kurzem die Leitungen für den Anschluss ans Fernwärmenetz verlegt, weil auch dort "im gesamten Planungsgebiet fossile Brennstoffe ausgeschlossen sind", sagt Maier

Die Erdinger Fernwärme ist der Clou - und zugleich auch eine Mogelpackung. Denn in den oben genannten Baugebieten werden zwar fossile Brennstoffe nicht zugelassen. Wenn die Gebäude jedoch mit Fernwärme beheizt werden, wird dafür sehr wohl eine Menge fossilen Brennstoffs verfeuert. Die Erdinger Fernwärme basiert zwar auf Geothermie, auf heißem Wasser, das die Firma Texaco im Jahr 1983 auf der Suche nach Erdöl in 2359 Meter Tiefe gefunden hat. Doch das 65 Grad Celsius warme Thermalwasser ist nicht heiß genug für Fernwärme. Es wird in zwei Heizwerken auf 85 Grad aufgeheizt - und das geschieht mit Erdgas.

Das Erdinger Thermalwasser war ein Zufallsfund, als 1983 die Firma Texaco nach Erdöl bohrte. Daran erinnert diese Glaspyramide mit Rohrleitungen an der Therme Erding (Foto: Renate Schmidt)

Die Vorsitzenden des Zweckverbands Geothermie, Landrat Martin Bayerstorfer (CSU)und OB Max Gotz, preisen die Erdinger Fernwärme zwar immer wieder als zeitgemäße, ökologische und zukunftsträchtige Energieversorgung, indem sie die positiven Zahlen betonten: 15 Prozent des Wärmebedarfs der Stadt Erding werde mit ihr bereits gedeckt, sie ersetzt sieben Millionen Liter Heizöl und erspart 11000 Tonnen CO₂-Ausstoß pro Jahr. Eines fällt bei diesen Bilanzen jedoch immer unter Tisch, moniert Herbert Maier. Die Geothermie bringt kaum ein Drittel der benötigten Energie, 65 Prozent stammt aus der Erdgasverfeuerung. Der Primärenergiefaktor der Erdinger Fernwärme beträgt deshalb bescheidene 0,74. Zum Vergleich: Bei einer reinen Erdgasheizung beträgt der Wert 1,1 und die Nahwärme der Stadtwerke Dorfen hat einen Primärenergiefaktor von 0,13.

Herbert Maier und der Grünen-Kreisrat Dominik Rutz haben schon 2021 im Zweckverband Geothermie den Antrag gestellt, den hohen Primärenergiefaktor bis 2033 auf 0,3 zu reduzieren. Die Bundesregierung diskutiere aktuell einen Stufenplan für Fernwärmenetze, nach dem der Anteil fossiler Energie 2029 maximal 50 Prozent betragen sollte. "Das ist auch in Erding drin", sagt Maier, davon sei man ja nicht so weit entfernt.

Erding ist kein Vorreiter bei der Energiewende, da sind andere Kommunen schon ein ganzes Stück weiter. Der Beschluss, das Baugebiet "Poststadel" am östlichen Stadtrand mit einer Erdgas-Wärmeversorgung auszustatten, ist noch gar nicht so lange her. Das einzig Zeitgemäße daran - wenn man das überhaupt so nennen will - ist, dass dort für alle Gebäude ein kleines Wärmenetz aufgebaut wird. Die Wärme kommt aus einem zentralen Erdgas-Blockheizkraftwerk, das auch Strom produziert.

Für die Stadtwerke Erding ist das Poststadel-Wärmenetz der Einstieg in ein neues Thema. Das Know-how über kommunale Wärmeversorgung, wie es in Dorfen beispielsweise in den dortigen Stadtwerken seit Jahrzehnten aufgebaut wurde, ist entsprechend gering. Auch in der Erdinger Stadtverwaltung braucht es deshalb dringend fachliche Expertise, wie OB Gotz erkannt hat. Er hat jüngst angekündigt, mindestens eine, wenn nicht sogar zwei Stellen im Rathaus für die Energiewende schaffen zu wollen. Es wird Zeit.

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