Die bayerische Staatsregierung hat der Tramlinie durch den Englischen Garten eine Absage erteilt. In einem Brief an Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) teilt Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) mit, dass laut den bisher vorliegenden Planungsunterlagen eine Realisierung der Trambahnstrecke nicht ohne "massive, nicht denkmalverträgliche Eingriffe" erfolgen könne. Zudem sehe er ein erhöhtes Gefährdungspotenzial für Radler und Fußgänger. Münchner Merkur und tz hatten zuerst über den Brief berichtet.
Der rund 800 Meter lange Abschnitt durch den Park sollte Teil einer 2,2 Kilometer langen Neubaustrecke vom Elisabethplatz über die Kreuzung Franz-Joseph-/Leopoldstraße, über die Martius- und Thiemestraße bis zur Tivolistraße werden. Diese wiederum wäre mit Anschluss ans Bestandsnetz Teil der rund 13 Kilometer langen geplanten Nordtangente zwischen Neuhausen und Bogenhausen. Zwischen Giselastraße und Ungererstraße soll es einen Abzweig mit Anschluss an die heutige Tramlinie 23 geben.
Herrmann beruft sich auf den Beschluss des Ministerrats vom 5. September 2017, nach dem "eine erneute Entscheidung nach abschließender Meinungsbildung und Planung durch die Landeshauptstadt München erfolgt und die Entscheidung von den Details der Trassierungsplanung abhängt". Vorher hatte der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sein Einverständnis erteilt, woraufhin die Planungen für die Trasse starteten.
Doch die ist aus Sicht der Staatsregierung zu wuchtig geraten. Die heutige Busstraße durch den Park ist sieben, an manchen Stellen acht Meter breit. Die Tramtrasse dagegen benötigt inklusive Radstreifen eine Breite von 9,50 Metern.
Das würde zu einer erheblichen Bodenversiegelung führen, teilt ein Sprecher der Staatskanzlei mit. "Aus den Planungen der Stadt folgt zudem ein deutlich erhöhtes Gefährdungspotenzial für Bürgerinnen und Bürger, die die Bahntrasse zu Fuß queren oder mit dem Fahrrad befahren." Als Eigentümer begleite der Freistaat die Stadt München seit Jahren "konstruktiv sowohl bei den Planungen als auch bei der Suche nach möglichen Alternativen". Diese Zusammenarbeit sei mit den Stadtratsbeschlüssen zur Trassenführung vom Dezember 2023 einseitig aufgekündigt worden, so der Sprecher.
Die Gespräche seien abgesagt worden
Unter "konstruktiv" verstehen die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und das Mobilitätsreferat allerdings etwas anderes. Dem Freistaat habe man die Planungsunterlagen bereits im Mai 2023 zur Verfügung gestellt und immer wieder Gesprächsangebote gemacht, sagte MVG-Chef Ingo Wortmann, den die Mitteilung aus der Staatskanzlei überrascht hat. Die Gespräche seien aber abgesagt worden. Auch Mobilitätsreferent Georg Dunkel erklärte, der Freistaat habe sich kaum in die Abstimmungen der Planungen eingebracht.
Wortmann und Dunkel forderten die Staatsregierung zum Dialog auf, um die kritisierten Punkte zu optimieren. Das wäre aus Sicht des MVG-Chefs kein größeres Problem. Er hoffe, so Wortmann, dass sich die Regierung darauf einlasse.
Die CSU im Stadtrat allerdings fordert nun, sämtliche Planungen für alle Teilabschnitte der Nordtangente einzustellen und erst wieder aufzunehmen, wenn Aspekte wie verkehrlicher Nutzen oder Förderfähigkeit neu bewertet worden sind. Die bisherige Nutzen-Kosten-Untersuchung bezog sich auf die gesamte Tangente.
OB Reiter teilte mit, er könne sich noch gut an den Ortstermin mit Seehofer im Englischen Garten erinnern und an seine Zusage, eine Tram auf dem bereits versiegelten Straßenstück zu unterstützen. Jahrelange Planungen und Absprachen, auch mit der staatlichen Denkmalschutzbehörde, seien gefolgt, der Freistaat sei also in alle Planungsprozesse eingebunden gewesen. "Insofern finde ich es äußerst ärgerlich, dass man sich ganz offenbar auf die Zusagen aus der Staatsregierung nicht verlassen kann", so Reiter. "Zumindest hätte der Freistaat schon sehr viel früher Farbe bekennen müssen. Das wäre aufrichtig gewesen und hätte dringend benötigte Personalressourcen für andere Projekte freigegeben und immense Planungskosten gespart."
Söder gehe es "nur noch um Schikane"
Im Mobilitätsausschuss des Stadtrats kam es wegen der Absage zu einer recht leidenschaftlich geführten Debatte. Zweiter Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) erklärte, nicht "irgendwer" habe damals eine Zusage gegeben, "sondern ein Ministerpräsident". Seehofers Nachfolger Markus Söder gehe es "nur noch um Schikane" und nicht mehr um ein konstruktives Miteinander, teilte er später mit.
SPD-Verkehrsexperte Nikolaus Gradl sprach von einem "Schlag ins Gesicht" aller Pendlerinnen und Pendler. "Es ist absolut enttäuschend, dass die CSU das durch Ministerpräsident Seehofer gegebene Versprechen jetzt auf diesem Weg kassiert und Parteipolitik zulasten der Münchnerinnen und Münchner macht." ÖDP-Fraktionschef Tobias Ruff nannte die Entscheidung der Staatskanzlei einen Skandal. Die FDP-Bayernpartei-Fraktion wiederum begrüßte die Entscheidung: "Endlich ist dieses irrsinnige Projekt vom Tisch", teilte Richard Progl (Bayernpartei) mit. Noch am Mittwoch beantragte die Fraktion einen Tunnel durch den Englischen Garten.
Die CSU wehrt sich dagegen, als Blockiererin dazustehen. Die verkehrspolitische Sprecherin der CSU-Fraktion, Veronika Mirlach, betonte, man habe durchaus alternative Vorschläge gemacht, etwa einen Abzweig der Linie 23 über die Parzivalstraße in Richtung Westen. Eine Tangente aber, so Mirlach, die gebe es nicht mehr.