Zwischen Welten:Bayern von oben

Lesezeit: 2 min

Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Unsere ukrainische Kolumnistin schreitet in eine neue Phase der Integration in die deutsche Kultur. Dazu braucht sie Wanderschuhe.

Von Emiliia Dieniezhna

Wunderbares Frühlingswetter, herrliche Bergwelt und der Blick auf den schönen Fluss Inn, so habe ich den Ostermontag verbracht. Zum ersten Mal seit meiner Flucht vor dem russischen Angriffskrieg nach München habe ich einen Ausflug in die bayerischen Alpen gemacht. Die Route führte durch Flintsbach über die Hohe Asten auf den Rehleitenkopf.

Ich war unterwegs mit einer kleinen Gruppe Ukrainern, die entweder schon lange in Bayern wohnen oder vor einem Jahr wegen des Krieges unsere Heimat verlassen mussten. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass einige meiner Landsleute, die die Berge inzwischen gut kennen, sich die Zeit genommen haben, um uns Neuangekommenen Bayern von oben zu zeigen.

Emiliia Dieniezhna hat die ukrainische Flagge mit in die Berge genommen. (Foto: Nadia Fedorova/oh)

Der Ausflug war so schön, dass ich es im Nachhinein sehr schade finde, nicht längst mal in die Berge gefahren zu sein. Ich wurde zwar schon öfter dazu eingeladen, aber immer gab es bereits andere Pläne für das Wochenende, ganz zu schweigen von meiner Arbeit. Oft braucht es eben jemanden, der wie ich Ukrainisch und Deutsch spricht, um den Geflüchteten bei Aktivitäten in der Freizeit zu helfen, sie bei der Suche nach einer Unterkunft zu unterstützen, zu übersetzen oder die Bürokratie zu erklären. Und nicht zuletzt kann ich meine kleine Tochter natürlich nicht einen ganzen Tag lang alleine lassen, denn zu so einer Bergwanderung hätte ich sie nicht mitnehmen können. Das wäre zu anstrengend gewesen. Am Ostermontag nun hat sich eine gute Betreuung für Ewa gefunden, und ich konnte endlich die Tour machen.

Die bayerischen Berge haben meine Erwartungen deutlich übertroffen, sie sind von unbeschreiblicher Schönheit. Mir hat alles gefallen: Wasserfälle, Schneekappen, Gebirgsluft. Die Begegnungen mit anderen Wanderern waren angenehm, ein Imbiss am Gipfel und ein kleines Bier auf der Almhütte hatten Charme. Ich verstehe jetzt, warum so viele Münchner am Wochenende und an Feiertagen in die Berge gehen.

Als ich unterwegs zum Gipfel war, habe ich gespürt, dass diese Tour für mich eine weitere Phase der Integration in die deutsche Kultur ist. Zuerst habe ich Fahrradfahren gelernt und mich daran gewöhnt, das Fahrrad jeden Tag zu benutzen. Danach habe ich Ordner angelegt, einen für jedes Familienmitglied, um dort Unterlagen aufzubewahren. Jetzt verbringe ich das Wochenende in den Bergen, auch wenn ich geschnauft habe wie ein Gaul, weil ich das natürlich (noch) nicht gewöhnt bin.

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Die nächste Phase der Integration wird wahrscheinlich eine Fahrt zum Sportgeschäft sein, um mir Wanderschuhe zu kaufen. Ohne solche Schuhe wage ich die nächste Bergtour nämlich nicht mehr. Am Ostermontag war ich noch schlecht ausgerüstet, und im Schnee war es ziemlich rutschig. Ach ja, eine wasserdichte Hose brauche ich auch. Es ist schließlich nicht ganz angenehm, hinzufallen und dann patschnass zu sein.

So hoch oben habe ich mich aber auch daran erinnert, dass ich oft mit meiner Familie in den Bergen auf der Krim unterwegs war. Nun kann ich sagen, dass lediglich diese Krim-Berge besser als die bayerischen Berge sind. Ich wünsche mir, dort einmal wieder wandern zu können - am besten dann in meinen deutschen Sportschuhen.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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