Glonn:Künstler malt mit Kuhfladen auf Leinwand

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Werner Härtl malt nicht mit Farbe, sondern mit Dung, den er direkt hinter seinen Kühen auffängt. Wie macht er das - und vor allem: warum?

Von Anja Blum, Glonn

"Bullshit". So heißt das allererste Bild, das Werner Härtl mit Kuhmist gemalt hat. Zuvor hatte der Illustrator, Zeichner und Maler aus Reichersbeuern einen Kanister in die Odelgrube getunkt - und dann seinen Pinsel in dessen Inhalt. Das comicartige Bild zeigt nun "lauter Dinge, mit denen ich nichts anfangen kann", erklärt Härtl. Den Weihnachtsmann zum Beispiel, einen SUV oder die Logos digitaler Giganten wie Facebook und Co. Bullshit eben, zumindest in Härtls Augen. Doch das archaische Material, angereichert mit Sandkörnchen, Insekten und anderen Partikeln, sagte dem Künstler in seiner Widerspenstigkeit durchaus zu. "Kuhmist erzählt einfach Geschichten", sagt Härtl. Und es sei spannend, damit zu experimentieren. Also machte er weiterhin: aus Scheiße Kunst.

Die Idee entstand tatsächlich im Stall

Die Idee zu seiner "Kuhmistkunst" kam Werner Härtl tatsächlich bei der Arbeit im Stall, denn er half jahrelang bei einem Bauern mit, um - angesichts seiner brotlosen Passion - die Familie zu ernähren. "Aber das ist der schönste Nebenjob der Welt", sagt der 43-Jährige. "Man spart sich das Fitnesscenter und lernt, wo das Essen herkommt und wie viel Arbeit drin steckt." Außerdem mache die körperliche Betätigung den Kopf frei für kreative Ideen - wie eben jene, es mal mit Kuhdung anstatt Farbe zu versuchen. "Ich habe einfach im Stall gesehen, wie gut der Mist auf allen möglichen Untergründen haftet, und wie gut er deckt." So ward Härtls "Kuhnst" geboren.

Werner Härtl hat als Helfer auf einem Bauernhof viel Erfahrung gesammelt. Dieses Bild mit dem Titel "Vom Schnee überrascht" zeigt einen überstürzten Almabtrieb. (Foto: Veranstalter)

Im Vergleich zum "Bullshit" von 2012 hat sich mittlerweile aber einiges an Härtls Odelbildern verändert. Zunächst einmal arbeitet er nur mehr mit reinem Material, denn das verleihe den Bildern einen ganz besonderen Charakter. Mit einem Kanister, in dem ein Trichter steckt, fängt der 43-Jährige den Dung direkt hinter seinen Erzeugerinnen auf. "Nach dem Melken entspannen die Damen sich, und wenn sie dann den Schwanz aufstellen, ist es so weit." Aus dem Künstler ist also inzwischen ein echter Kuhflüsterer geworden.

Mit feinem Strich schafft Härtl detailreiche Tableaus voller Tiefe

Aber auch Stil und Motive haben sich verändert: Werner Härtl gestaltet seine Odelbilder längst nicht mehr comichaft, sondern in klassischer Manier. Dass er - obwohl Autodidakt - sein Handwerk meisterlich beherrscht, ist jedem Blatt anzusehen. Mit feinem Strich schafft er detailreiche Tableaus voller Tiefe. Grundmaterial ist dabei immer noch der Kuhmist, mal pur, mal mit Wasser verdünnt. "Auch wenn ein wenig Übung notwendig ist, das grobe Zeug in die gewünschte Position zu bekommen." Doch seine Vielseitigkeit sei das Tolle an dem Material, sagt Härtl: von lasierend bis pastos seien die Grenzen, nun ja, fließend. Aufgetragen wird der Dung auf Papier, Leinwand oder auch Holz, je nach Belieben. Und manchmal zur Verfeinerung noch mit anderen Malmitteln kombiniert, mit Blattgold für besondere Akzente oder Kalk zum Beispiel. "Auch Pigmente lassen sich untermischen und erstrahlen in ungeahnter Farbigkeit", schwärmt der Künstler.

Die Schönheit dieses alten Hofes hat der Künstler mit Blattgold veredelt. (Foto: Veranstalter)

Außerdem malt Härtl längst keine Dinge mehr, die er ablehnt, ganz im Gegenteil. Es ist die bäuerliche Lebenswelt, die der 43-Jährige abbildet, "aber nicht die industrielle, sondern die traditionelle", betont er. Härtls Material ist also nah dran an seinem Sujet. Alte Gehöfte, Maschinen und Arbeitsweisen, Dorfansichten, Tiere, Bergmassive. Eine Bäuerin beim Melken, ein Almabtrieb im Schnee, eine Isarfloßfahrt von anno dazumal. Oft nutzt er als Vorlage historische Fotografien. Auch durch den sepiafarbenen Ton des Dungs entsteht ein willkommener nostalgischer Effekt.

Härtl will anregen zum Nachdenken über unsere moderne Lebensweise

"Ich male gegenständlich, und es soll schon dekorativ sein", sagt Härtl, "aber ich habe auch eine Botschaft". Seine "Kuhnst" wolle durchaus zum Nachdenken anregen, und zwar über unsere moderne Lebensweise. Über Ernährung, Konsum und Tourismus als Ausverkauf von Landschaft zum Beispiel. Oder über den Umgang mit der Natur und Ressourcen. "Warum brauche ich unbedingt einen Laubbläser? Ein guter alter Rechen tut es doch auch!" Mit einem ganzen Netzwerk von befreundeten Bauern arbeite er daran, diesen landwirtschaftlichen Themen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Für ein Kunststudium war sein Stil "bereits zu gefestigt"

Über seinen kreativen Werdegang sagt Härtl, dass sich dieser schon früh abgezeichnet habe. Bereits in seiner Zeit am Gymnasium Icking habe er sein erstes Geld mit Logos für mittelständische Unternehmen verdient und im Verein Comicstrich "von den Besten lernen dürfen", bald sei er als freier Hauszeichner bei dem bekannten Hausaufgabenheft "Häfft" gelandet. Ein Studium der Künste allerdings sei ihm verwehrt geblieben, "mein Stil sei bereits zu gefestigt, hieß es. Also blieb mir nur: weitermachen und mich unter Eigenregie finden, ausprobieren, und wieder neu erfinden. Kaum eine Kunstform, die ich nicht bereits mehr oder weniger intensiv ausgeübt habe". Als Illustrator arbeitet Härtl für Kunden aus den Bereichen Medien, Süßwaren, Gastronomie, Lehrmittel, Politik, Pharma und Sport. Mittlerweile aber werde sein Schaffen als Maler immer wichtiger, sagt Härtl - klar, Kuhmist auf Leinwand, das verschafft mediale Präsenz. Zuletzt hatte der 43-Jährige damit einen Auftritt in der BR-Sendung "Wir in Bayern".

Indes: neu ist die Idee, mit Mist zu malen, nicht

Dabei muss man wissen: Auch wenn Härtl "der erste konkret gegenständlich mit Mist malende Künstler" ist - neu ist die Idee selbst in Europa nicht. "Gerade weil er so hartnäckig haftet, erfreute sich frischer Kuhdung vermischt mit Kalkmilch früher tatsächlich großer Verbreitung", erklärt der 43-Jährige. "Als deckender Anstrich auch für Innenräume, sogar für Küchen." Was freilich eine Frage aufwirft, die Härtl oft beantworten muss: Stinkt seine Kunst? Doch er kann alle potenziellen Betrachter beruhigen. "Wenn die Bilder trocken sind, riechen sie gar nicht mehr." Er habe sogar eines im Schlafzimmer hängen. Und selbst während des Malprozesses sei die olfaktorische Belästigung nur minimal. "Meine Familie ist da jedenfalls sehr tolerant, ich kann ohne Probleme bei uns im Haus arbeiten."

Für seine Ausstellung im Glonner Marktblick hat sich Werner Härtl übrigens etwas Besonderes einfallen lassen: Unter dem Titel "Peakshow" zeigt er ausschließlich Gipfel, also echte sowie fiktionale Gebirgszüge. "Berge sind ein zentrales Motiv in meinem Leben, ob als Metapher, als Mythos oder als Naturphänomen", sagt er. Zwar würden sie oft degradiert zu bloßen Freizeitobjekten, zur hohlen Fassade, doch für ihn markierten sie immer noch "die Eckpfeiler des Flecken Erde, den ich meine Heimat nenne". Und um diese Diskussion noch ein bisschen mehr zu befeuern, hat Härtl seinen Bergbildern eine Doppeldeutigkeit verpasst, eine zweite Lesart sozusagen. Was das ist, möchte der Künstler aber noch nicht verraten. Nur so viel: "Der Titel gibt einen Hinweis!"

Dass der Maler aus Reichersbeuern in Glonn ausstellt, ist übrigens einem Zufall und Corona zu verdanken. Wegen der Pandemie nämlich blieb eine Ausstellung in einem Wirtshaus in Rottach-Egern deutlich länger hängen als geplant, so dass Markus Steinberger vom Marktblick bei einem Besuch dort den Künstler samt seinen Werken antraf - und sofort begeistert war. Diese Ausstellung werde "ein absolutes Highlight und hochspannend", kündigt der Glonner Wirt an, so etwas habe man "in der Gegend noch nie gesehen". Außerdem bringt Werner Härtl zur Vernissage am Mittwoch, 2. März, drei musikalische Freunde mit: Das Trio Reiwas wird den Abend im Marktblick mit Akkordeon, Gitarre, Kontrabass und Gesang bereichern. Auf dem Programm stehen Eigenkompositionen und Coverversionen etwa von den Comedian Harmonists, STS, Seiler & Speer, Elvis oder den Beatles.

"Peakshow": Ausstellung von Werner Härtl mit "Kuhmistkunst" im Glonner Marktblick . Vernissage mit Livemusik von "Reiwas" am Mittwoch, 2. März, um 19 Uhr. Reservierung unter (08093) 90 31 66.

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