Große Not in Poing:Spender für die zwölfjährige Alicia gesucht

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Nur eine passende Knochenmarkspende kann der Siebtklässlerin aus Poing helfen. Alicia Gomes leidet an einer seltenen Krankheit.

Von Johanna Feckl, Poing

Seit einem Monat und einem Tag ist Michele Gomes zusammen mit ihrer zwölfjährigen Tochter Alicia eingesperrt. Das muss so sein, alles andere wäre zu gefährlich für das Mädchen. Die Zwölfjährige ist an MDS erkrankt, einer Krankheit, bei der nur eine passende Knochenmarkspende helfen kann. Das Immunsystem des Mädchens ist mittlerweile so stark angegriffen, dass jeder Kontakt eine Bedrohung für sie darstellt. Deshalb sind Tochter und Mutter seit Anfang Januar in Isolation in der Schwabinger Kinderklinik. Vater André Gomes und die jüngere Tochter sind zu Hause in Poing - seit mehr als vier Wochen ist der Bildschirm von Handy und Laptop die einzige Möglichkeit, sich zu sehen. Wie lange das so weitergehen wird? So lange, bis eine passende Knochenmarkspende für Alicia gefunden wurde.

Michele Gomes spricht mit ruhiger Stimme - es ist nachmittags, als sie anruft. Sie kann sich an jedes Detail erinnern, das sie dorthin führte, wo sie jetzt sind - in dieses Zimmer in der Schwabinger Kinderklinik. Als Alicia sich zum ersten Mal über Kopfschmerzen beklagte, da war es Ende November. Gomes dachte: Nicht so schlimm, bei dem ganzen Homeschooling und vor dem Bildschirm-Gehocke kann man schon mal Kopfweh bekommen. Kurz vor den Weihnachtstagen sind der 43-Jährigen kleinere blaue Flecken an Knie und Oberarm ihrer Tochter aufgefallen. Sie dachte: Nicht so schlimm, beim Toben mit der kleinen Schwester oder dem Hund kann man sich schon mal einen blauen Fleck holen. Am Weihnachtsabend war Alicia auffallend blass und extrem müde. Und Michele Gomes dachte zum ersten Mal: Da stimmt irgendwas nicht.

Es folgte ein erster Termin beim Kinderarzt. Ein Urintest brachte keine Diagnose, sie sollten nach dem Wochenende zu weiteren Tests und einer Blutentnahme wiederkommen. Alicia aber ging es rasant schlechter, sie wurde schwächer. Als sich das Mädchen dann während des Abendbrots hinlegen wollte, weil es so müde war, da machten die Gomes' kurzen Prozess: Mutter und Vater packten ihre zwölfjährige Tochter ein und fuhren mit ihr in die Notaufnahme. Da war es 18.30 Uhr. Vater André wartete im Wagen auf dem Parkplatz des Krankenhauses - wegen Corona durfte nur ein Elternteil gemeinsam mit der Tochter in die Klinik. Fünf Minuten vor Mitternacht dann teilte eine Ärztin Mutter Michele mit: "Es tut uns leid, aber wir müssen Ihre Tochter sofort aufnehmen." Der Verdacht lautete: Krebs.

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Michele Gomes ging hinaus auf den Parkplatz, wo ihr Mann immer noch im Auto wartete. Sie brachte ihn hinein in die Klinik - nur ganz kurz, damit er seiner Tochter ein Bussi geben konnte. Dann musste der 45-Jährige wieder gehen. Michele Gomes und Alicia blieben im Krankenhaus. Die Isolation begann. Seit dieser Nacht vor einem Monat und einem Tag hat Vater André Gomes seine schwerkranke Tochter nicht mehr in den Arm nehmen können, sie nicht einmal sehen können, ebenso wenig wie seine Frau. Regelmäßig packt er zu Hause in Poing einen kleinen Koffer mit Dingen für die beiden, fährt mit dem Auto zur Schwabinger Klinik, gibt den kleinen Koffer dort ab und fährt wieder zurück.

Es dauerte, bis Alicia eine Diagnose gestellt werden konnte. Zunächst mussten zahlreiche andere Krankheiten ausgeschlossen werden, bis es hieß: MDS - das ist kurz für Myelodysplastisches Syndrom und beschreibt eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen das Knochenmark nicht mehr richtig funktioniert, sodass der Körper nicht ausreichend gesunde Blutzellen produziert. Eine Form von Blutkrebs also. Doch MDS kommt äußerst selten bei Kindern und Jugendlichen vor, es sind nur vier Prozent aller Blutkrebserkrankungen in dieser Altersgruppe. In Deutschland entspricht das ungefähr 30 Kindern pro Jahr, die eine MDS-Diagnose erhalten.

Noch in derselben Nacht, in der Familie Gomes in die Notaufnahme fuhr, bekam Alicia eine Bluttransfusion. "Gleich danach war sie fit und hat immer wieder gesagt, sie sei nicht krank", erzählt Michele Gomes. "Es ist schwer." Die 43-Jährige verstummt. Durch das Telefon ist zu hören, wie sie scharf Luft einsaugt und langsam ausatmet. Sie setzt erneut an: "Alicia möchte nicht, dass alle von ihrer Krankheit erfahren. Sie hat Angst, dass sie deshalb irgendwann angestarrt wird." Dennoch haben sich die Gomes' entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Alicia braucht einen Spender. Dringend. "Das ist im Moment so viel wichtiger als das, was andere Kinder vielleicht über sie denken."

Weder die Mutter, der Vater noch die Schwester kommen als Spender in Frage. Und eine Vor-Ort-Registrierungsaktion, wie sie die DKMS normalerweise durchführt, ist wegen der Corona-Beschränkungen nicht möglich - laut Angaben der DKMS-Pressestelle ist dies auch der Grund, weshalb 2020 gut ein Drittel weniger neue Spender registriert wurden als noch 2019, insgesamt 410 000. Helfen ist aber auch ohne Vor-Ort-Aktion möglich - auch für Alicia: Online kann sich jeder zwischen 17 und 55 Jahren ein Registrierungs-Set schicken lassen, mit den darin enthaltenden Wattestäbchen werden dann selbst Abstriche von der Wangenschleimhaut vorgenommen, bevor alles per Post wieder zurück an die DKMS geschickt wird - und schon ist man als potenzieller Spender in die Kartei aufgenommen.

Das Registrierungs-Set kann man online unter dkms.de/de/spender-werden anfordern.

© SZ vom 10.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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