Literatur im Landkreis:Von schädlichen Geheimnissen und starken Frauen

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Im Haushalt der Plieninger Autorin Nicole Wellemin leben Hund und Katz und natürlich die Menschen friedlich zusammen. (Foto: Christian Endt)

Der Roman "Späte Ernte" von Nicole Wellemin spielt in der Welt der Südtiroler Apfelbauern. Die Plieningerin schreibt über generationenübergreifende Verletzungen, fremde Schuld und Genesung dank Freundschaft unter Frauen sowie der Kraft der Natur.

Von Michaela Pelz, Pliening

Schon bei der Begrüßung an der Tür macht Bolonka Zwetna- Hündin Toffee lautstark deutlich, wer hier der Boss ist. Mit ihr, zwei Töchtern, dem Ehemann sowie den beiden Katzen Emmi und Leo ("benannt nach den Protagonisten aus 'Gut gegen Nordwind', einem meiner absoluten Lieblingsbücher") lebt Nicole Wellemin in Pliening. Seit gut zehn Jahren verfasst die frühere PR- und Marketing-Fachfrau unter diversen Pseudonymen erfolgreich Romane. "Späte Ernte" ist ihr erster Titel unter Klarnamen.

Wenige Schritte hinter dem Haus beginnen die Felder - und Natur pur ist es auch, die in dem Buch eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielt wie die menschlichen Protagonisten. Allerdings liegen die Wiesen, Wälder und Obstgärten, um die es geht, nicht in Oberbayern, sondern gut 300 Kilometer entfernt, im südtirolischen Ritten. "Die Region kannte ich, weil ich als Kind mit meinen Eltern zu allen erdenklichen Zeiten an den Gardasee gefahren bin und wir dort manchmal einen Zwischenstopp einlegten. Damals habe ich zum ersten Mal Eisblüten gesehen und das Bild ist bis heute präsent in meinem Kopf", erzählt die Autorin.

Die Autorin beschreibt in ihrem Roman die gehobene Gastronomie

Verfestigt habe den Grundstein für die Rahmenhandlung eine Reportage über einen "Südtiroler Apfelbauern mit Vision", ergänzt sie. Dieser habe sich vorgenommen, auf über 1000 Höhenmetern Äpfel anzubauen, um damit sortenreine Säfte herzustellen. "Er musste sich anhören, das könne ja nichts werden, auf einer solchen Höhe. Und überhaupt, wer werde denn einen Apfelsaft für sieben Euro die Flasche kaufen", beschreibt Wellemin die Einwände, die sich ebenfalls im Buch finden. Auch dort hat die Protagonistin, ganz Zeitgeist gemäß, die gehobene Gastronomie als Abnehmer im Visier.

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Doch der in diesem Erzählstrang beschriebene Kampf einer Frau gegen äußere Widerstände ist nur ein Teilaspekt jener Handlung, auf die es wirklich ankommt. Vielmehr sind es die inneren Dämonen, die teilweise Jahrzehnte alten Geheimnisse rund um tatsächliche oder gefühlte Schuld, gegen die alle Hauptfiguren des Romans kämpfen.

In diesem geht es um drei Frauen, drei Zeiten - von 1943 bis heute - und drei ganz unterschiedliche Lebenssituationen. Da ist Lene, die Bauerntochter, die ihre große Liebe heiraten darf, was keine Selbstverständlichkeit ist, dort oben in den kargen Südtiroler Bergen. Doch am Tag, der ihr schönster werden soll, muss sie den Liebsten in den Krieg ziehen lassen und Verantwortung für Hof und Schwiegermutter übernehmen. Nicht die erste Trennung in ihrem erst 17-jährigen Leben: Nach dem Tod der Mutter musste sie schon mit zehn Jahren die fünf Geschwister versorgen, außerdem den Vater bei der Arbeit unterstützen.

Doch all das ist nichts im Vergleich zum Krieg und den damit verbundenen Ereignissen. Sie machen die junge Frau so hart wie das Land, dem sie versucht, Erträge abzuringen. Und nicht nur ihr eigenes, einst heiteres und liebevolles Gemüt zerbricht - auch ihre kleine Tochter und sogar die Enkelin spüren die verheerenden Auswirkungen.

Vieles bis zur überraschenden Auflösung des Romans lässt sich nur erahnen

"Ich erlebe bei vielen in der Elterngeneration Bitterkeit und Verletzungen, denen nie Raum gegeben wurde", erklärt Wellemin. Sie betont, in den Roman keine konkreten autobiografischen Inhalte eingebaut zu haben: "Aber natürlich sind Impressionen aus der Familienhistorie eingeflossen." Die unterschiedlichsten Einflüsse seien dort vertreten - dank Verwandtschaft aus Schlesien und Tschechien sowie unterschiedlicher Religionen. "Eigentlich hätte man über ganz viele Geschichten ein eigenes Buch schreiben können. Aber das wollte ich nicht. Ich habe den Anspruch, über die Auswirkungen des Erbes, das wir immer in uns tragen, zu schreiben", präzisiert die Autorin.

Das gelingt ihr gut. Wie Lene ihre Verletzungen und ihren Schmerz über Generationen weitergibt, das tut schon beim Lesen weh. Zumal man vieles bis zur wirklich überraschenden Auflösung nur erahnt. Deutlich wird nur, dass es an Anna ist, dieser wunderbar wilden, starken, trotzigen und unabhängigen 32-Jährigen, die Fesseln der Vergangenheit zu sprengen. Dass sie dabei durchaus auf Hindernisse stößt, hält sie nicht davon ab, zum rettenden Engel für die dritte Protagonistin, Elisabeth alias Lis, zu werden.

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Die Mittfünfzigerin ist gewissermaßen in Südtirol gestrandet, nachdem ihr komplettes Leben von einem SEK-Einsatz im heimischen Schlafzimmer buchstäblich auf den Kopf gestellt wurde. Seitdem hat die verwöhnte Münchnerin jeden Halt verloren, weiß nicht mehr, was sie glauben oder wem sie vertrauen soll, wer sie selbst eigentlich ist und was sie überhaupt noch will vom Leben. Erst nach dem Zusammentreffen mit Anna findet Lis Heilung und Kraft für einen Neuanfang - dank der körperlichen Arbeit, dem Einfluss der Natur und neuen, echten Freundschaften.

Um die beeindruckende Landschaft in dieser atmosphärisch dichten Geschichte so lebendig werden zu lassen und auch tief in die Geheimnisse des Apfelanbaus einzutauchen, musste sich Wellemin intensiv in die Materie einarbeiten. Während ihrer mehrwöchigen Recherche - erst allein, dann mit der Familie - hat sie Tastings absolviert, Kräuterführungen mitgemacht, mit einer Expertin im Obstanbaumuseum gesprochen und sich im historischen Zentrum in Bozen über die Umstände der Vergangenheit kundig gemacht.

Und auch wenn beim Schreiben die Seele eines Landes eingeflossen sei, das bis zu den Siebzigern "bitterbitterarm war", handele es sich nicht um einen historischen Roman. Das ist ihr ganz wichtig. Vielmehr gehe es ihr um die Frauen. Sich für diese starkzumachen, ist der Mutter von Zwillingen ein zentrales Anliegen.

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"Dieses allumfassende Gefühl, irgendwie falsch zu sein, schuldig oder nicht genug, gehört für mich, ebenso wie für viele andere Frauen weltweit zum kollektiven Bewusstsein. Um zu verhindern, dass meine Töchter ungewollt in diese typische Frauenfalle tappen, thematisiere ich mit ihnen gern und häufig alle '-ismen'." Auf die beiden 18-Jährigen sei sie nicht nur sehr stolz, sondern habe ihrerseits eine Menge gelernt. "Das Leben mit den Kindern und ihre Haltung als nun junge Frauen hat in mir ganz viel bewegt und ausgelöst. Ich achte beispielsweise viel mehr auf meine Sprache."

Das gilt auch beim Schreiben. Sie bemühe sich, weder zu romantisieren noch automatisch das generische Maskulinum zu verwenden, sondern sich stattdessen so auszudrücken, dass Frauen eben nicht nur "mitgemeint" sind. Auch in ihren bisherigen Romance-Romanen, die sie unter anderem als Julie Larsen verfasst hat. "Immer mit einem schönen Ort, Liebe und Drama - praktisch der ZDF-Sonntagsfilm in Buchform", fasst sie die Inhalte mit einem Augenzwinkern zusammen. Tatsächlich verdankt sie diesen Werken die Zusammenarbeit mit ihrem aktuellen Verlag. "Die Lektorin hatte früher schon einmal bei einer Auktion für einen meiner unter Pseudonym veröffentlichten Stoffe mitgeboten, darum kannte sie mich."

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Doch bei Wellemin herrscht mitnichten immer Idylle pur. Gleich im Prolog von "Späte Ernte" geht es ziemlich heftig zu. War das nötig? "Ja. Denn das zeigt, wie kaputt Lene am Ende ist - so gefangen in ihrem persönlichen Drama, dass sie nicht das kleinste Bisschen an Empathie für ihr unschuldiges Kind aufbringen kann." Zwei unschuldige Wesen kämen ganz schrecklich zu Schaden und der Kelch aus Schmerz, Schuld und Trauma werde quasi weitergereicht. Zudem sei das Schreiben der Szene so intensiv gewesen, "dass ich gleich merkte: Das wird was mit uns beiden!".

Dieses Gefühl stellt sich auch bei der Lektüre ein. Am Ende der knapp 350 Seiten möchte man am liebsten ins Auto steigen und sofort nach Südtirol reisen.

Ihre eigenen Erfahrungen während der Schulzeit in einem englischen Internat und einem Studienjahr in Prag haben die weltoffene Mittvierzigerin geprägt, für einen internationalen Freundeskreis gesorgt. Wohl deswegen liegt ihr nicht nur die Gleichberechtigung und die Befreiung von unverschuldetem Gefühlsballast am Herzen, sondern auch die Verständigung zwischen unterschiedlichen Kulturen, Geschlechtern und Altersgruppen. Bei Hund und Katz hat sie das im eigenen Heim schon mal wunderbar hinbekommen.

Am Donnerstag, 14. März, findet eine "Späte Ernte"-Signierstunde statt in der Buchhandlung am Markt K. Bondzio, Marktplatz 3, Markt Schwaben. Beginn ist um 10 Uhr.

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