Umwelt im Landkreis Ebersberg:Regenerativ autark

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Die Untermühle in Piusheim gibt es seit 1906, ebenso alt ist auch diese Turbine. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wasserkraft, Holzgas, Photovoltaik: Das idyllische Piusheim, ein Ortsteil von Baiern, versorgt sich komplett selbst mit Energie. Ein Modell für die Zukunft?

Von Alexandra Leuthner, Baiern

Selbst nach einer Nacht mit Hagel ist es hier noch schön, auch wenn auf Wegen und an Straßenrändern immer wieder heruntergeschlagene Zweige und Blätter liegen. Überall sind Kinder aus der freien Schule Glonntal unterwegs, genießen die milde Luft, mal mit Lehrer, mal ohne. Darüber hinaus ist es sehr ruhig im Bairer Ortsteil Piusheim, selbst dort, wo gewerkelt und gebaut wird, an landwirtschaftlichen Nebengebäuden oder der großen Eventhalle etwa. Da werden Dächer mit Holz aus altem Gebälk rekonstruiert, alte Steine verwendet, um neue Mauern aufzubauen. Alles wirkt, als wäre man in eine Fotografie vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts hineingeraten.

Die Untermühle in Piusheim: 2014 abgerissen und dann Stein um Stein in den alten Abmessungen wieder aufgebaut. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Eindruck hat aber auch viel damit zu tun, dass die Fahrzeuge von Eltern und Lehrern der Schule auf dem großen Parkplatz vor dem Bairer Ortsteil zurückbleiben müssen, Autos haben im parkähnlichen Zentralbereich von Piusheim nichts verloren. Auch zur Kirche St. Raffael, der früheren Kapelle, frisch und mit 3-D-Malereien aufwändig restauriert, geht man zu Fuß, wie die Teilnehmer einer Infoveranstaltung der CSU-Arbeitsgemeinschaft für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (ELF) erfahren. Wasserkraftwerk und Holzgasanlage sind das eigentliche Ziel, es soll um regenerative Energien gehen.

Wasserkraftwerk, Holzgasanlage und viel Photovoltaik auf den Dächern versorgen Piusheim mit seinen knapp 200 Einwohnern, der Schule, einer Schreinerei, einem Café und einigen wenigen Betrieben mit erneuerbarer Energie. Eine Führung durch all das, was im kleinen Ortsteil mit dem Geld der beiden Eigentümer des Geländes, dem Landwirt Blasius Gerg und dem Bauunternehmer Bernhard Obermaier, in den vergangenen Jahren geschaffen wurde, bekommen die ELF-Besucher gratis obendrauf.

Alles in Piusheim wird mit großem Aufwand und stilecht renoviert und neu aufgebaut, auch die Mittermühle. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Wir wollen den Charakter von Piusheim erhalten", hatte der im benachbarten Haslach wohnende Gerg versprochen, als er 2007 gemeinsam mit Obermaier den gesamten Ortsteil mit seinem Zentralgebäude und den umliegenden Wohnhäusern der Katholischen Jugendfürsorge abgekauft hatte, die hier zuvor verhaltensauffällige Jugendliche untergebracht hatte. Angedacht war damals schon, Piusheim zu einem zukunftsfähigen Zentrum regenerativer Energien zu machen.

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Der Ursprung dafür liegt allerdings weit in der Vergangenheit. Seit 1906 erzeugen die Turbinen des Wasserkraftwerks direkt an der Glonn Energie, wie Markus Jungsberger, Haustechniker für die Gebäude in Piusheim, berichtet. Die Turbinen arbeiten im Anbau der Untermühle, einem Gebäude, das auf den ersten Blick aussieht, als stamme es ebenfalls vom Anfang des 20. Jahrhunderts - allerdings nicht, weil es heruntergekommen wäre. Nichts in Piusheim ist heruntergekommen. Auch das dreistöckige Mühlengebäude ist runderneuert, es wurde, wie Baierns langjähriger Bürgermeister Josef Zistl erzählt, 2014 komplett abgerissen und Stein um Stein in exakt den alten Abmessungen 2015 aus Ziegeln wiederaufgebaut und verputzt.

Unten im eigentlichen Mühlenhaus ist die Original-Turbine um moderne Gerätschaften ergänzt worden. Im Zusammenspiel mit dem vorgeschalteten Wehr, dass die Durchlassgeschwindigkeit für das Wasser der Glonn regelt, je nach Hoch- oder Niedrigwasser, funktioniert die Mühle automatisch. Etwa 1,5 Kubikmeter Wasser, schätzt Jungsberger, fließen normalerweise pro Sekunde durch die Mühle. Der Generator liefert im Schnitt etwa zwölf Kilowatt, acht bis neun seien es, wenn die Glonn wenig Wasser habe, bis zu 18, wenn es ordentlich geregnet hat.

Haustechniker Markus Jungsberger ist der Chef im Ring: Wenn es um Energie für Piusheim geht, weiß er alles. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Alle 30 Jahre etwa sei eine größere Wartung fällig, circa 30 Jahre dauere es aber auch, bis sich das Kraftwerk nach dem Einbau einer Fischtreppe amortisiere, die den Vorgaben der EU gemäß vor sechs oder sieben Jahren errichtet worden sei. 70 000 Euro habe die Treppe gekostet, die wandernden Fischen nun eine Umgehung des Kraftwerks ermöglicht und so den Forderungen des Naturschützes Rechnung tragen soll.

Naturschutz versus Klimaschutz ist ja die große Kontroverse, unter der vor allem kleinere Kraftwerke leiden, weil durch sie der natürliche Verlauf von Flüssen verändert wird. So wollte die Bundesregierung schon 2022 deren Förderung - und damit die Einspeisevergütung - entziehen. Auch die Anlage in Piusheim wäre davon betroffen. Momentan würden noch 12,26 Cent pro Kilowattstunde für den Strom aus Piusheim gezahlt, berichtet Jungsberger. Kurzfristig wurde das Vorhaben zwar wieder zurückgenommen, ist aber nicht vom Tisch. Noch gebe es fast 30 Wasserkraftwerke an der Glonn, so der Haustechniker, auch an ihrem Zufluss, dem Kupferbach stünden noch drei. "Aber viele kleine Wasserkraftwerke kämpfen ums Überleben."

Die Treppe an der Glonn, oberhalb des Wasserkraftwerks: Flussfische schwimmen gegen den Strom und schaffen tatsächlich Stufen von 70 Zentimetern. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dabei sei der regenerative Strom aus Wasserkraftwerken grundlastfähig, "es ist halt ein 24-7-Strom, der hier erzeugt wird", kommentiert Jungsberger kopfschüttelnd, während er die Gruppe über den "Wanderweg 8" zur Fischtreppe führt. Über einen früheren Entwässerungskanal werden die Fische vor dem E-Werk aus der Glonn abgeleitet und können über die Treppe, die aus groben Steinbrocken gebaut ist, auf der anderen Seite wieder in die Glonn hineinschwimmen - und hineinspringen. Gegen die Strömung, wie Jungsberger erklärt. Einigen ungläubigen Besuchern berichtet er von Staustufen, bei denen Fische bis zu 70 Zentimeter hoch springen, "die schaffen das". Gesehen habe er von den Saiblingen oder auch Forellen, die in der Glonn unterwegs sind, jedoch noch keinen. "Aber die warten ja auch nicht gerade auf mich."

Die Holzgasanlage in Piusheim bringt es auf eine Leistung von 150 Kilowatt Strom und 200 Kilowatt thermische Energie pro Stunde. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vom Wasserkraftwerk geht es zur Holzgasanlage, die in einer großen Halle untergebracht ist. Heiß ist es hier, der Großteil der Besuchergruppe macht, dass er schnell wieder rauskommt. Hier steht die sogenannte Spanneranlage: Große Kessel, aus denen dicke Rohre in einen zweiten Raum hinüberführen. Grundstoff für die erzeugte Energie sind Hackschnitzel, die unter Sauerstoffausschluss vergast werden, das Gas wird im Nebenraum verstromt, der Strom dann ebenfalls ins Netz geleitet.

150 Kilowatt elektrische und 200 Kilowatt thermische Energie entstehen bei diesem Vorgang, erklärt Jungsberger. Während der Strom an die Stadtwerke Rosenheim verkauft werde und dann als Glonntalstrom bezogen werden könne, fließt die Abwärme als thermische Energie ins Fernwärmenetz, an das ganz Piusheim angeschlossen ist.

In der Piusheimer Holzgasanlage entstehen aus Hackschnitzeln Holzgas und Holzkohle, das Gas wird verstromt, die Kohle bleibt übrig. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Früher, zu Zeiten der katholischen Jugendfürsorge, hätten Tanks mit 360 000 Litern Heizöl im Haupthaus dafür gesorgt, dass es in den 35 bis 40 Häusern des Ortsteils nicht kalt geworden ist, erzählt Jungsberger. Heute werde hier genug regenerative Energie erzeugt, dass der Ortsteil theoretisch energetisch völlig autark existieren könnte. Von sechs Gigawattstunden Strom, die hier entstünden, würden nur fünf gebraucht, und daher die Modellbaufirma von Blasius Gerg in Hohenthann, die Landwerkstätten in Herrmannsdorf und eine Biogasanlage in Weiterskirchen mitversorgt. Übrig bleibe allerdings, so Jungsberger, alle drei Wochen etwa ein Kubikmeter Asche. Die muss dann zum Sondermüll.

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