Für die Wasserkraftbranche ist das "Osterpaket" von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eher kein Geschenk, wie der Name vielleicht vermuten lässt. Das Gesetzespaket zur Energiewende sieht vor, kleine Wasserkraftanlagen mit einer Leistung mit bis zu 500 Kilowatt (kW) künftig nicht mehr zu fördern, "aus ökologischen Gründen", wie es in der Begründung heißt.
Viele dieser Kraftwerke könnten infolge der Gesetzesnovelle langfristig vor dem Aus stehen. Zwar fallen viele noch unter ältere Versionen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), der Strom, den sie erzeugen, wird damit für einen festgelegten Zeitraum weiterhin über die bestehende EEG-Umlage gefördert. Nach dieser Frist könnten viele aber unrentabel werden. Auch eine Modernisierung soll nicht mehr gefördert werden. "Den Bestandsanlagen wird so der Weg in die Zukunft verwehrt", kritisiert Helge Beyer, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Wasserkraftwerke (BDW). Er rechnet damit, dass mit Inkrafttreten des Gesetzes jene Betreiber aufgeben werden, die gerade eine Modernisierung planen. Die nächste Schließungswelle könnte dann Ende des Jahrzehnts folgen, wenn die EEG-Förderung für viele Kleinkraftwerke ausläuft.
Rund 8300 Wasserkraftwerke erzeugen laut Bundesnetzagentur derzeit Strom. 90 Prozent der Elektrizität aus Wasserkraft liefern aber größere Anlagen mit einer Nennleistung von mehr als 500 Kilowatt. Die übrigen 7200 Anlagen, die unter das Gesetz fallen würden, stehen für einen Anteil von gerade einmal zehn Prozent des Wasserkraftstroms. Dabei steuern die 4400 kleinsten Kraftwerke mit weniger als 50 kW Leistung zusammen gerade einmal 87 Megawatt installierte Leistung bei - das entspricht der Leistung von einigen Dutzend Windrädern. Allerdings kommen Windräder hierzulande meist auf eine geringe Zahl von Volllaststunden als Wasserkraftwerke. Wasserkraftwerke liefern daher pro installiertem Kilowatt im Schnitt mehr Strom.
Wäre der Verlust der kleineren Anlagen also schlimm? "Der Nutzen, den diese Kraftwerke für die Energiewende haben, ist vollkommen unverhältnismäßig zum ökologischen Schaden, den sie anrichten", sagt Sascha Maier, der sich beim Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) mit Gewässerpolitik beschäftigt.
Für Wasserkraftwerke wird in der Regel Wasser aufgestaut. "Dadurch wird aus einem fließenden Gewässer ein stehendes", sagt Till Hopf, Gewässerexperte beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Das kann zu einem geringeren Sauerstoffgehalt und einer höheren Wassertemperatur führen. "Das ist, als ob man aus einem Wald eine Wiese macht", sagt Maier. Tiere, aber auch Pflanzen, die an sauerstoffreiches, kaltes Wasser angepasst sind, verschwinden dann. "Fast immer wird das Gewässer dadurch artenärmer, weil sich in der Regel dann nur noch ohnehin schon häufige Allerweltsarten wie Plötzen darin finden", sagt Maier. Auch Vögel wie die Wasseramsel, die sich nur an fließenden Gewässern wohlfühlt, können verschwinden.
Arten wie die Nase und die Barbe sind auf fließende Gewässer angewiesen
Ein Problem ist auch, dass Wasserkraftwerke Sedimente zurückhalten, die in barrierefreien Flüssen vom Wasser gleichmäßig verteilt werden. Das kann zur Folge haben, dass sich das Gewässer hinter dem Kraftwerk mit der Zeit tiefer eingräbt. "Im Extremfall sinkt dadurch der Grundwasserspiegel so stark, dass die Wurzeln der Pflanzen in der Umgebung kein Wasser mehr bekommen und absterben", sagt Sascha Maier vom BUND.
Besonders dramatisch sind die Barrieren in Flüssen und Bächen für wandernde Fischarten, die dadurch nicht zu ihren Laichplätzen kommen und sich nicht mehr vermehren. "Bekannt sind die zwischen Meer und Flussoberläufen wandernden Arten Lachs, Stör und Meerforelle, die in Deutschland aber nahezu nicht mehr vorkommen, für die es aber vielfältige Wiederansiedlungsbemühungen gibt", sagt Till Hopf. Auch Arten, die innerhalb der Gewässer zwischen Unter- und Oberlauf wandern, seien betroffen, beispielsweise die Nase oder die Barbe, sagt Hopf. Durch Wasserkraftanlagen stark beeinträchtigt werden auch die zwischen Flüssen und Meer wandernden Aale, oder das Flussneunauge, das aus der Nord- und der Ostsee weit die Flüsse hinauf wandert.
80 Prozent des deutschen Wasserkraftstroms werden in Bayern und Baden-Württemberg erzeugt. Insbesondere im süddeutschen Raum würden die vielen dezentralen Anlagen dazu beitragen, die Netzspannung zu halten, sagt Gunnar Wrede, Experte für Wasserkraft beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). "Wenn die Wasserkraft in der Fläche zurückgebaut wird, verlieren wir ein hohes Maß an Netzstabilität." Anders als fluktuierende Quellen wie Windkraft und Photovoltaik liefen Wasserkraftwerke rund um die Uhr und seien daher nicht so einfach zu ersetzen. Zudem dienten die Anlagen oft dem Hochwasserschutz und der Abfederung von Dürren. Auch könnten aufgestaute Wassermengen vor und nach Staustufen einen Rückzugsraum für Fischpopulationen in Dürreperioden bieten, argumentiert Wrede.
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Fischtreppen rechnen sich für Betreiber kleinerer Wasserkraftwerke häufig nicht
Dem gegenüber steht eine Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, laut der an Wasserkraftanlagen 22,3 Prozent der Fische, die in die Turbine schwimmen, getötet werden oder nach der Passage schwere, potenziell tödliche Verletzungen aufweisen. "Das passiert sogar bei Anlagen, die versuchen, die Tiere umzuleiten", sagt Sascha Maier. Denn die Fische folgen der stärksten Strömung, weil dort normalerweise der Hauptfluss ist - außer der Mensch baut dort eine Turbine hin.
Große Kraftwerke verfügen manchmal über aufwendige Anlagen, um die flussaufwärts wandernden Arten um die Hindernisse zu lotsen. Fischtreppen etwa oder sogar Fischaufzüge, die die Tiere nach oben transportieren. "Viele kleine Anlagen haben aber gar keine Fischpässe", sagt Till Hopf vom Nabu. Für die Betreiber rechnet sich das wirtschaftlich nicht, weil die Kosten im Vergleich zum Gewinn durch das Kraftwerk viel zu hoch sind.
Helge Beyer vom BDW räumt ein, dass noch nicht alle kleinen Kraftwerke auf dem neuesten ökologischen Stand sind. Das Auslaufen der Förderung könne nun aber dazu führen, dass Investitionen in den Artenschutz erst recht nicht erfolgen, bemängelt er. Zunächst muss das Gesetzespaket aber noch vom Bundestag verabschiedet werden, Änderungen sind nicht ausgeschlossen.
Die Zeit für einen besseren Schutz der Flüsse drängt jedenfalls. Denn die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union sieht vor, dass Flüsse und Bäche bis zum Jahr 2027 in "einem guten ökologischen Zustand" sein sollen. "Dazu gehört auch die Barrierefreiheit", sagt Sascha Maier vom BUND. Eigentlich wollte man dieses Ziel schon bis zum Jahr 2015 erreichen, dann wurde die Frist bis 2027 verlängert. Schon jetzt sei absehbar, dass das Ziel erneut verfehlt wird.
Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels hieß es: "Für jedes Wasserkraftwerk muss Wasser aufgestaut werden." Dies ist nicht ganz richtig, da sogenannte "Strömungskraftwerke" auch ohne das Aufstauen von Wasser Strom erzeugen können. Die Technik wird jedoch in Flüssen bislang kaum eingesetzt, die Anlagen in Deutschland arbeiten weitgehend mit Staustufen. Zudem wurde die Passage zur Mortalität der Fische (22,3 Prozent) konkretisiert: Es um die Fische, die in die Turbine schwimmen.