SZ -Adventskalender:"Ich wäre Hand in Hand mit ihm gestorben"

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Sie gibt an, ihn betrogen zu haben. Ihm wird vorgeworfen, ihr gegenüber handgreiflich geworden zu sein. Verlobt sind sie nach wie vor. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Nach 27 Jahren Beziehung flieht eine vierfache Mutter vor der Gewalt ihres Partners. Jetzt ist sie auf sich allein gestellt.

Von Alexandra Leuthner, Markt Schwaben

Manchmal hört man Geschichten, die mag man einfach nicht glauben. So wie die von Bianca M. Die nicht mit ihrem echten Namen in der Zeitung stehen möchte, (auch alle anderen Namen sind geändert). Und die selbst immer wieder den Kopf schüttelt beim Erzählen, während sie regelmäßig einen kurzen Blick, eine Hand für ihren jüngsten Sohn übrig hat, der neben ihr am Küchentisch sitzt und malt. Max wird bald drei und ist das Jüngste von vier Kindern, das Bianca M. zusammen mit ihrem langjährigen Lebenspartner bekommen hat - für den die Polizei nun eine Kontaktsperre verhängte, und den keines ihrer Kinder mehr sehen will. Die Beamten haben ihm den Schlüssel weggenommen. Er darf sich der gemeinsamen Wohnung nicht nähern, vorerst bis April. Seither lebt die Vierzigjährige von Hartz IV, er, nennen wir ihn Adam, zahlt keinen Cent für sie und die Kinder. 27 Jahre lang dauerte die Beziehung. "Keine Ahnung, warum ich so lange darin gefangen war."

Die Wunden, die sie erlitten hat, sind zu Narben geworden, auch die vom letzten Übergriff des Mannes Ende September, der sie in die Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht hat. Furchtbares Ende einer großen Liebe, die auf einem Münchner Pausenhof begann. "Das ist er", habe sie zu ihrer Freundin gesagt. Als sie 14 war, wurden sie und Adam ein Paar. Mit 19 dann die erste Schwangerschaft. Er überredete sie zur Abtreibung. "Ich habe so oft auf ihn gehört", seufzt sie. Mit 22 bekam sie das erste Kind, ihr Sohn ist jetzt 18, sattelt gerade das dritte Lehrjahr auf seine zweijährige Ausbildung, macht demnächst seinen Führerschein, selbst finanziert. Er habe sich durchgebissen, trotzdem er von seinem Vater nie Anerkennung bekommen habe, genauso wenig wie sie selbst oder die anderen drei Kinder. Den 14-jährigen Benedikt - er kommt ohne Winterjacke aus der Schule, weil sie ihm keine kaufen kann -, habe der Vater eines Tages immer wieder gegen die Brust getreten. Auch der kleine Max habe schon seine Watschn abgekommen, sie habe sich vor ihn gestellt.

Der Dreijährige und seine siebenjährige Schwester mussten zuschauen, wie der Vater Adam die Mutter aus dem Bett gezerrt, zu Boden geworfen und so geschlagen hat, dass die Blutspur bis zur Tür des Nachbarn im Erdgeschoß reichte, wohin sie floh. Der rief die Polizei, schloss die Tür vor Adam, ein Bulle von einem Mann, mehr breit als hoch, so beschreibt sie ihn, steter Gast in Fitnessstudios, stets gut gekleidet, während er seiner Frau nicht erlaubte, mal einen Rock anzuziehen und zu ihr sagte: "Ist egal , wie Du aussiehst, bist ja nur eine Frau" und auch: "Ich weiß genau, wo ich dich hinschlagen muss, dass man es nicht sieht."

"Da, da" sagt Max und zeigt auf eine Narbe seiner Mutter

Solche Sätze sind es, die sie ohne Pause zitieren kann, und die die Angst erklären, die sie gefangen gehalten hat. Max weicht seiner Mutter nicht von der Seite. Als sie von den Schlägen erzählt, krabbelt er auf ihren Schoß und deutet auf eine Narbe über ihrer Augenbraue. "Da, da", sagt er. Auch auf die Flecken an den Wänden zeigt er, wo die Äpfel Spuren hinterlassen haben, die sein Vater geworfen hat, manchmal auch Stühle. An den Arbeitsstätten, zuletzt ein Fitnesscenter, war er nie mehr als eineinhalb Jahre bis zur fristlosen Kündigung.

Mit dem Beginn der Pandemie sei alles nur noch schlimmer geworden, erzählt sie. Er habe sie gezwungen, ständig Videos und Beiträge von Coronaleugnern anzusehen, habe sich geweigert, sich impfen oder auch nur testen zu lassen, "auf den Wattestäbchen sind Würmer", habe er gesagt und Zelte gekauft, damit sie in den Wald ziehen könnten, um sich vor dem Staat und dem Virus zu schützen. So verängstigt sei sie schließlich gewesen, dass ihr erst ein Beratungsgespräch beim Arzt die Angst vor der Impfung nehmen konnte. Bianca M. ist gefasst, während sie all das erzählt, aber ratlos. "Wenn er alles richtig gemacht hätte, ich wäre Hand in Hand mit ihm gestorben."

Wie es weitergehen soll, weiß sie im Moment nicht, arbeiten gehen kann sie erst, wenn Max im Kindergarten ist, ihren letzten Job als Hauswirtschafterin hat sie verloren, weil sie nie rechtzeitig mit dem Bus hin und zurückkam, um ihre Tochter vom Kindergarten abzuholen, "ich habe immer alles alleine gemacht", berichtet sie, "und für ihn war immer alles falsch."

Und jetzt fehlt es an allem. Nachdem zuletzt die Reparatur der Waschmaschine 180 Euro verschlungen habe, müsse sie mit elf Euro und sechzehn Cent noch bis in die nächste Woche kommen. Es fehlt an Kleidung, einem Laptop für die Schule, sogar an Geld fürs Essen, "für 50 Euro ist ja heute nichts mehr in der Einkaufstasche." Was sie sich am meisten wünscht: "Ich will, dass es allen gut geht, und die Kinder in Liebe und behütet aufwachsen dürfen." Und dass sie dieses Weihnachten einmal alles vergessen können, fügt sie hinzu.

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