"Schönheit wird die Welt retten" - das verspricht Fjodor Dostojewski in seinem Roman "Der Idiot". Ihm geht es dabei allerdings nicht um Ästhetik, sondern um das große Ganze, die Schönheit hat für den großen russischen Schriftsteller auch eine ethische Dimension. Trotzdem scheint dieser Optimismus erstaunlich, denn seine Erzählungen spielen in den düstersten, perversesten Bereichen der menschlichen Seele. Wie also kann man diese Schönheit finden, begreifen gar?
Vielleicht auf einer Kultur-Tour durch den südwestlichen Landkreis, denn die "Atelierdiagonale" schließt sich Dostojewski heuer an: "Nur die Schönheit kann uns retten" lautet das Motto. Acht bildende Künstlerinnen und Künstler öffnen nun wieder ein Wochenende lang die Türen zu ihren Malräumen und Werkstätten, die Diagonale reicht von Grafing über Pullenhofen und Moosach bis nach Zorneding. Mit dabei sind diesmal Gisela Heide, Robert M. Weber, Stefan Heide, Maja Ott, Hubert Maier, Andreas Mitterer, Ingrid Köhler und Rosa Pfluger. Im Meta Theater findet zudem eine Lesung mit Sadaf Zahedi statt.
All diese Menschen eint, dass sie sich professionell der Kunst verschrieben haben - und gute Gespräche lieben. Mit ihnen lässt sich nicht nur trefflich über Farben und Formen diskutieren, sondern auch über alles andere, was das Leben so bereithält. Insofern verwundert es kaum, dass das Leitmotiv diesmal recht philosophisch daherkommt. "Nur die Schönheit kann uns retten" - doch wovor eigentlich? Und ist sie nicht oft nur Blendwerk, Täuschung? Und hat ihr Gegenteil nicht auch irgendwie seine Berechtigung?
Das Motto solle auf keinen Fall als Witz oder als Aufforderung zum Kitsch verstanden werden, stellt Stefan Heide klar und lenkt den Blick auf einen "allumfassenden Pessimismus": Die mediale Überrepräsentation von Angst, Zerstörung und Empörung scheine jegliche Wertschätzung infrage zu stellen und den Menschen regelrecht in einen Bann der Erstarrung zu ziehen. "Die Kraft dazu zu haben, den Blick auf die Schönheit zu lenken - ohne Verleugnung und Ausschluss der anderen Seite - darum geht es. Die innere Ausrichtung beharrlich auf ein immerwährendes Wachstum, Leben und Lieben zu richten. Diese dem Menschen innewohnende Kraft ist stärker als der Schrecken, ohne ihn zu leugnen."
Die Schönheit zu suchen - das fällt in Heides großem Atelier alles andere als schwer, denn dort herrscht Fülle. Die Räume bieten einen umfassenden Querschnitt durch Heides Schaffen. Zu sehen gibt es Malerei, Plastik, Objekte und Zeichnungen. Hier stapeln sich die Leinwände genauso wie Skulpturen und Masken, obendrein diverses Material, das noch auf seine Bestimmung wartet. "Ja, das ist mein Spielplatz", sagt der Künstler und lacht.
Robert Weber hingegen betont, dass "Schönheit" wohl für jeden Menschen etwas anderes beinhalte. "Die meisten Übereinstimmungen gibt es wahrscheinlich noch in der Naturbetrachtung", sagt er. In der zeitgenössischen Kunst, Architektur oder Musik jedoch werde der Begriff seiner Meinung nach viel individueller verstanden. Er selbst zum Beispiel sei schon immer fasziniert von gewissen Materialstrukturen und deren Kombinationen, so der Bildhauer.
In seinem Grafinger Atelier gibt es kleine neue Arbeiten zu sehen, in erster Linie Collagen und Objektkästen, die unterschiedliche Materialien miteinander verknüpfen. Holz mit Keramikgips etwa, oder Wachs und Farbe. Hinzu kämen ein paar "ältere Schönheiten", sagt Weber. Außerdem plane er, eine Arbeit zu revitalisieren, die einst für eine Kunst-Performance-Nacht entstand: ein sechs Meter langer Tisch mit einer Oberfläche aus Wachs. "Das könnte ein arrangiertes Stillleben werden, ich bin aber noch am Testen."
"Ich feiere in meinen Bildern die Schönheit der Natur", sagt Maja Ott, Meisterin der Hinterglasmalerei. Auf ihren leuchtenden Panoramen sind oft Unterwassertiere oder Pflanzen wie Orchideen, Kakteen, Beeren und Pilze, aber auch Fantasiegebilde zu entdecken. Zuletzt hat die Moosacherein sich Insekten in schillernden Farben gewidmet. "Dabei lege ich den Fokus aber nicht auf originalgetreue Wiedergabe, vielmehr soll ein harmonischer Kosmos entstehen", erklärt Ott. Indem sie zum Beispiel ausgestorbene Pflanzen male, wolle sie aufmerksam machen auf die Fragilität unserer Welt.
Das Thema von Bildhauer Hubert Maier lautet: "Haus im Haus". Bereits 2009 sei eine kleine Steinskulptur mit ebendiesem Titel entstanden, erzählt der Moosacher. Ein simples Haus mit steilem Dach, gefertigt aus schwedischem Granit. Bei genauer Betrachtung sieht man durch die kleinen Fenster, dass sich im Inneren noch ein Haus befindet. Und nun hat Maier ein großes Haus aus Holz gebaut, das in der Form ziemlich genau der kleinen Skulptur entspricht. Es soll nach Schweden transportiert und dort als Atelier genutzt werden. "Nun präsentiere ich die Steinskulptur in dem neuen Atelierhaus, das wiederum in meiner Werkstatt steht. Also ein Haus im Haus im Haus im Haus."
Als Aussteller zu Gast bei Ott und Maier ist heuer mal wieder Andreas Mitterer aus Ebersberg. Er zeigt in den Moosacher Ateliers aktuelle Bilder und Tuschezeichnungen auf unbelichtetem Fotopapier. Und wer den Chef des Ebersberger Kunstvereins kennt, der weiß: Mitterer ist immer für eine Überraschung gut.
Um ihre "ganz subjektive Vorstellung von Schönheit aus weiblicher Sicht" geht es bei Ingrid Köhler: Die Zornedinger Malerin zeigt Porträts - von der Tempeltänzerin bis zum Script Girl. Oft seien diese Bilder spontan aus einer Begegnung heraus entstanden, ohne Auftrag oder Zweck. Niemals nach Fotos. Daneben gibt es zahlreiche Bleistift- und Kohlezeichnungen aus Skizzenbüchern zu sehen, quasi Schnappschüsse aus Bahn, Konferenz oder Schule, von jung bis betagt. Es gehe um die Schönheit des Alters ebenso wie um die Anmut einer Bewegung, so Köhler.
Rosa Pfluger aus Pöring ist zum dritten Mal zu Gast in Zorneding bei ihrer ehemaligen Kunstlehrerin. Doch diesmal stellt sie keine eigenständigen Arbeiten aus, sondern nimmt Bezug auf jene von Köhler: Zum Thema Schönheit wolle sie das Betrachten und Sehen selbst in den Blick nehmen: "Ich baue aus Glaslinsen, Lupen und Fundstücken skurrile Sehgeräte, mit denen man die Porträts aus einer neuen Perspektive betrachten kann - ganz nah, durch eine rosarote Brille oder auf dem Kopf und um die Ecke."
Gisela Heides aktuelle Arbeiten belegen einen deutlichen Wandel: Die Malerin experimentiert derzeit mit Acryl, Öl und Tusche, wobei die Farbe meist gegossen oder getropft wird, nur stellenweise arbeitet Heide mit Pinsel nach. So entstehen fließend-freie Kompositionen von kraftvoller Lebendigkeit. Gerade dort, wo Acryl und Tusche aufeinandertreffen, bilden sich überraschende Effekte. Gisela Heide beschreibt ihre Arbeitsweise daher als ein "Geschehenlassen in fokussierter Aufmerksamkeit". Die fließenden Formen versteht sie auch als Metapher für das Lösen von starren Denk- und Verhaltensmustern: "Was wir als Gesellschaft dringend brauchen, sind weniger Ängste und Vorurteile, sondern mehr Freundlichkeit, Verständnis und Empathiefähigkeit."
"Aber die Schönheit wohnt in jeder unserer Seelen und trägt ihre Früchte nach außen, sobald ihr die Sonne Licht schenkt." Sagt Sadaf Zahedi, eine junge afghanische Autorin, die im Meta Theater zu Gast ist, "um der stillen Gewalt an Mädchen und Frauen eine Stimme zu geben". Selbst Kriegsflüchtlingskind lebt sie seit ihrem dritten Lebensjahr in Deutschland. Zahedi liest aus ihrer Erzählung "Vier Jahreszeiten", erzählt von ihrem Projekt "Bildung ohne Bücher", jammt und slammt zum Thema "Frausein in Afghanistan" seit der Machtergreifung der Taliban. Abschließend findet eine Gesprächsrunde mit dem Publikum statt.
Atelierdiagonale in Moosach, Pullenhofen, Grafing und Zorneding: Samstag, 4. Mai, von 14 bis 19 Uhr und Sonntag, 5. Mai, von 11 bis 19 Uhr. Lesung mit Sadaf Zahedi im Meta Theater am Samstag um 20 Uhr. Der Eintritt ist frei, Spenden für Bildungsprojekte in Afghanistan werden gerne entgegengenommen.