Debatte um Bahnschwellengelände:"Der Bürger hat dir mit diesem Ergebnis eine Watschn gegeben"

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Der alte Wasserturm und der ehemalige Verwaltungsbau sind die einzigen Gebäude, die auf absehbare Zeit auf dem Bahnschwellengelände in Kirchseeon stehen werden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Deutliche Worte und ehrliche Selbstkritik: Der Kirchseeoner Gemeinderat arbeitet den Ratsentscheid zum Bahnschwellengelände auf. Dabei zeigt sich, dass die Fronten doch nicht komplett verhärtet sind - und eine Bebauung noch lange nicht vom Tisch ist.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Bei einer Gesprächstherapie geht es im Grunde darum, sich selbst besser kennenzulernen, problematische Denkmuster und Konflikte aufzudecken und sich dadurch weiterzuentwickeln. Würde man es nicht besser wissen, man hätte sich während der jüngsten Zusammenkunft des Kirchseeoner Gemeinderates am Montagabend in einer eben solchen Therapiesitzung wähnen können. Es waren offene Worte und ehrliche Selbstkritik, welche die Mitglieder des Gremiums in die Diskussion einbrachten. Thema war der Ratsentscheid über die Bebauung des ehemaligen Bahnschwellengeländes, den eine deutliche Mehrheit der Kirchseeoner Bürger mit "Nein" beantwortete. Woran lag das und wie soll es jetzt weitergehen? Diese Fragen galt es nun zu klären. Dabei stellte sich zum einen heraus, dass die Fronten zwischen den Fraktionen gar nicht so verhärtet sind, wie zunächst angenommen - und zum anderen, dass eine Bebauung des Areals noch lange nicht vom Tisch ist.

Die ECE Group, ein Immobilienentwickler aus Hamburg, hatte die rund 16,5 Hektar große Fläche Anfang 2022 gekauft, um darauf ein neues Ortszentrum zu errichten. Geplant waren verschiedene Wohnformen, die Ansiedlung von Gewerbe und Infrastruktur sowie die Schaffung von Grünflächen und womöglich sogar der Bau eines neuen Rathauses. Es sollte den ersten Entwürfen zufolge ein blühender neuer Gemeindeteil werden, in den bis zu 3000 Menschen hätten ziehen können - was das Projekt zu einem der größten Bauvorhaben der vergangenen Jahre im Landkreis Ebersberg gemacht hätte.

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Hätte - wenn die Kirchseeoner Bürger dem Vorhaben ebenso wohlgesonnen gewesen wären, wie es der Großteil des Gemeinderates war. Im Rahmen eines Ratsentscheids Anfang Oktober jedoch sprach sich eine klare Mehrheit von 60,3 Prozent dafür aus, die Planungen nicht weiterzuverfolgen und das Bauprojekt zu den Akten zu legen. Es war ein Votum, das in seiner Deutlichkeit nur wenige so erwartet hätten - zumindest im Kirchseeoner Gemeinderat. "Es ist uns etwas aus der Hand geglitten", sagte etwa Susanne Markmiller (FDP). Der Gemeinderat sei während der einjährigen Vorbereitungsphase viel zu passiv gewesen und habe die Vorteile des Projekts für Kirchseeon nicht herausgearbeitet.

So könnte der Wasserturm nach Plänen der ECE Group in das neue Ortszentrum eingebunden werden. (Foto: ECE Work & Live/oh)

Tatsächlich war das eine Frage, die immer wieder während der zahlreichen Informationsveranstaltungen vonseiten der Bürger zu hören war: Was haben wir eigentlich davon? Eine zufriedenstellende Antwort darauf konnten offenbar weder Investor noch die Gemeinde geben. "Es gab viele Fragen, aber keine Antworten", brachte es Christian Ehringer (UWG) am Montag auf den Punkt. Für Aufklärung hätten die Workshops sorgen können, welche die ECE Group initiiert hatte, um die Bevölkerung in die Planung einzubinden. Doch auch daran gab es Kritik. Diese seien nicht neutral gewesen und die Themen wurden nur einseitig bearbeitet, sagte Natalie Katholing (Grüne Liste). "Kirchseeon muss davon profitieren und nicht ein Investor mit maximalem Profitinteresse."

Poing wurde lange belächelt, jetzt blickt man neidisch in den Landkreisnorden

Dass die Gemeinde durchaus etwas von dem neuen Ortszentrum gehabt hätte, arbeitete derweil Barbara Blanc (UWG) heraus. "Wir haben immer gesagt, wir wollen hier kein Poing haben. Und jetzt steht Poing ganz oben bei den Gemeindefinanzen", sagte sie mit Verweis auf die hohen Steuereinnahmen der nördlichen Landkreiskommune, die an der Bergfeldstraße in den vergangenen Jahren bereits den größten Teil eines stattlichen Wohngebiets errichtet hat. Solche Vorteile hätten in der Debatte aber kaum eine Rolle gespielt.

Die größten Bedenken hatte es beim Thema Verkehr gegeben, da waren sich die Gemeinderäte einig. Es brauche deshalb endlich ein großes Verkehrskonzept, das über Kirchseeon hinausgehe, sagte Paul Hörl (CSU). Außerdem müssten auch die innerörtlichen Maßnahmen, die von Gutachtern in den vergangenen Monaten zur Verkehrsentlastung vorgeschlagen worden sind, weiter verfolgt werden. Hörl sprach sich dabei explizit für eine Sperrung der Verbindungsstraße zwischen Eglharting und Pöring aus. "Damit können wir beweisen, dass das Verkehrskonzept etwas gebracht hätte." Und auch eine Ortsumfahrung war am Montag plötzlich wieder im Gespräch. "Da werden wir langfristig nicht drumherum kommen", sagte Klaus Eberherr.

Der SPD-Gemeinderat sprach auch noch ein anderes Thema an: Die Sanierung der erheblich mit Schadstoffen belasteten Industriebrache. "Das Abstimmungsergebnis schadet dem Ort", sagte Eberherr über den Ratsentscheid, denn jetzt gebe es für das Areal überhaupt keine Sanierung und der Wasserturm als historisches Wahrzeichen werde weiter verfallen.

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In die Selbstkritik mischten sich am Montag aber auch durchaus schärfere Töne, etwa als Andreas Scherer Bürgermeister Jan Paeploew (CSU) persönlich angriff: "Der Bürger hat dir mit diesem Ergebnis eine Watschn gegeben", sagte der ehemalige CSU-Gemeinderat, der wegen Querelen rund um das Bahnschwellengelände seiner Fraktion den Rücken gekehrt hat. Die Politik sei von den Interessen des Investors geprägt gewesen, so Scherer, der anprangerte, dass Kritiker mundtot gemacht worden seien. Es waren Vorwürfe, die im vergangenen Jahr häufig in der Gemeinde zu hören waren - eine Gesprächsatmosphäre, die vor allem Susanne Markmiller sauer aufstieß: "Es war ungut, wie am Ort miteinander umgegangen wurde, wenn man verschiedene Ansichten hat", so die FDP-Gemeinderätin. Keine der beiden Seiten habe sich dabei mit Ruhm bekleckert.

Der Investor stellt klar: "Wir sind und bleiben Eigentümer des Grundstücks"

Letztendlich stellte sich am Montag aber natürlich noch die Frage, wie es denn nun mit dem Areal südlich der Bahngleise weitergehen soll. "Der Bürgerentscheid ist bindend für ein Jahr, dann werden die Karten neu gemischt", sagte Paul Hörl. Auch ECE-Projektmanager Marcus Janko stellte klar: "Wir sind Eigentümer des Grundstücks und wir bleiben Eigentümer des Grundstücks." Viele Themen seien nicht im Detail besprochen worden, dafür brauche es noch weitere Planungen. Man erhoffe sich deshalb ein Signal seitens der Gemeinde, wie es weitergehen soll. "Davon hängt ab, wo die Reise hingeht", so Janko.

Einen ersten Routenplan gab am Montag bereits die Grüne Liste vor: "Wir könnten uns ein komplett saniertes, autofreies Areal mit mehr Gewerbeflächen vorstellen", sagte Natalie Katholing. Dem schloss sich Paul Hörl an, der Gespräche mit der ECE Group forderte, um womöglich den Gewerbeanteil bei den Planungen erhöhen zu können. Und Bürgermeister Jan Paeplow hatte ohnehin noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Planungen gerne weiter verfolgt hätte. Die Bevölkerung im Landkreis wachse in einer Geschwindigkeit, wie sonst nirgends in Deutschland. Vor dieser Herausforderung dürfe man nicht die Augen verschließen, so Paeplow. "Wir müssen den Weitblick bewahren, auch im Sinne der nächsten Generationen."

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