Wahlkampf auf dem Land:Personenschützer in Habachtstellung

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Wahlkampfendspurt: Ricarda Lang und Thomas von Sarnowski werben im Hohenlindener Wendlandhaus noch einmal um Zustimmung - auch bei den Kritikern im Saal. (Foto: Christian Endt)

Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang und der Landesvorsitzenden in Bayern, Thomas von Sarnowski, machen in Hohenlinden Werbung für ein Bayern ohne Kulturkampf.

Von Alexandra Leuthner, Hohenlinden

Es sind keine Verkaufsstände mit Wurfgeschossen auf dem großen Platz vor dem Wendlandhaus aufgebaut, keine Steinewerfer warten hier, oder Menschen, die der Bundesvorsitzenden der Grünen Ricarda Lang Eier auf die Windschutzscheibe klatschen wollen. Dabei hätten Störenfriede brauchbare Hühnererzeugnisse vermutlich in der näheren Umgebung finden können, auch ganz ohne organisierten Protestwaffenverkauf wie Anfang August bei einem Auftritt der bayerischen Spitzenkandidatin Katharina Schulze im Chiemgau. Denn obwohl das Hohenlindener Gemeindezentrum in einem Gewerbegebiet liegt - die Nase lässt sich nicht täuschen. Dieser Wahlkampftermin, einer der letzten vor der Landtagswahl am Sonntag, hat die Berliner Politikerin mitten hinein ins - an dieser Stelle tatsächlich - flache Land geführt. Dorthin, wo sich gerne jene verorten, die sich als von den Grünen vernachlässigte Klientel fühlen.

Gefühlt an jeder Ecke steht ein Polizist

Es hätte für die Wahlkämpferin aus der Hauptstadt also ganz anders kommen können, gefühlt an jeder Ecke steht denn auch ein Polizist, Personenschützer sind erkennbar in Habachtstellung, und nicht nur die Bundespolitikerin, auch der bayerische Landesvorsitzende Thomas von Sarnowski ist am Ende sichtlich erleichtert, als alles friedlich geblieben ist und sie im Wesentlichen einfach das machen konnten, wofür sie hergekommen sind: reden, werben, überzeugen.

Drinnen im Saal, und auch draußen vor der Tür, wo die schusssicheren Westen schon wieder in einem Polizeitransporter verstaut werden, als Landkreisdirektkandidat von Sarnowski im Heimspiel punkten will und noch vor der eigentlichen Veranstaltung unermüdlich auf eine Kleingruppe Ortsansässiger einredet, die für seine Argumente von autarker Stromversorgung durch Windräder ebenso wenig zugänglich ist wie für die von den bayerischen Grünen durchgesetzte Wiederaufnahme von Holzheizungen ins so genannte Heizungsgesetz. Als er schließlich in die Halle kommt, warten etwa 60 Gäste längst auf ihn, samt Bundesvorsitzender Lang, Bezirkstagskandidatin Ottilie Eberl und der Direktkandidatin aus dem Nachbarlandkreis Erding Laetitia Wegmann.

Unter den Gästen ist sicher ein Dutzend, das nicht zu den Anhängern der Öko-Partei zählt

Dass unter den Gästen sicher ein Dutzend ist, das erkennbar nicht zu den Anhängern der Ökopartei zählt, hätte die Protagonisten in einem anderen politischen Zeitalter vielleicht erfreut. Sie hätten es möglicherweise als Chance gesehen, den einen oder anderen noch zu sich herüberziehen zu können.

Da wo die grünen Fähnchen wehen, sitzen die Anhänger der Öko-Partei, die anderen halten sich im Hintergrund. (Foto: Christian Endt)

In einem solchen Zeitalter wäre der bayerische Landesvorsitzende vielleicht bei seinen sachlichen Einlassungen zu Nord-Süd-Stromtrassen geblieben, bei Wind-Sonne-Mix und Energiewende als Konjunkturprogramm, bei der Schaffung von fehlenden Kita-Plätzen in Bayern und dem Chancen-Aufenthaltsrecht, und natürlich auch beim Klimaschutz. Die Bundesvorsitzende hätte wohl ausschließlich über Kostenfreiheit bei allen Ausbildungswegen geredet - "es kann nicht sein, dass man für eine Meisterausbildung zahlen soll, für ein Studium aber nicht" -, oder über die Notwendigkeit, mehr Frauen das Arbeiten und damit mehr Betrieben die Besetzung ihrer offenen Stellen zu ermöglichen. "Wenn alle Frauen so viel arbeiten könnten, wie sie wollten, wären das 850 000 Vollzeitäquivalente." Sie hätte sicher noch viel mehr von einem modernen Einwanderungsgesetz gesprochen. "Wer hierher kommt, soll vom ersten Tag an arbeiten." Von der im Juni beschlossenen Änderung im Straßenverkehrsgesetz immerhin hat sie geredet, das Kommunen mehr Selbstbestimmung bei der Einführung von Tempobegrenzungen ermöglicht, von notwendigen Energiespeicherkonzepten und dezentraler Stromerzeugung, von Bürgerversicherung und besseren Bedingungen für das Pflegepersonal in Krankenhäusern auch.

Verstärkung bekommen Ricarda Lang (l.) und Thomas von Sarnowski von Bezirkstagskandidatin Ottilie Eberl (2.v.l) und der 20-jährigen Direktkandidatin aus Erding, Laetitia Wegmann. (Foto: Christian Endt)

In diesem Zeitalter aber, in diesem Universum, macht die Chefin der Grünen ausgerechnet Werbung für eine Ex-Bundeskanzlerin von der CDU. Die nämlich, Angela Merkel, hat in einem ZDF-Interview zum Tag der Deutschen Einheit ausgerechnet die Vielfalt in der Gesellschaft als Stärke gelobt, etwas, das der bayerische Ministerpräsident gerade untergrabe, wie Lang findet. "Ich wünsche mir, dass Söder seine Parteifreundin einmal anruft und sich von ihr inspirieren lässt", sagt sie. Söder setze auf Ausgrenzung und Spaltung - nicht zuletzt, wenn er den 20 Prozent der Bevölkerung im Freistaat, die ihre Stimme den Grünen gegeben haben, das "Bayern-Gen" abspreche. "Was man liebt, spaltet man nicht."

Der Satz gehört inzwischen zu ihrem Repertoire, von Sarnowski zitiert ihn und adressiert ihn in Richtung jenes Tischs, der an diesem Abend niemals klatscht, an dem einer aufspringt und in "Hubsi, Hubsi"-Rufe ausbricht, als der Grüne auf "Zwangsveganisierung", "Zwangsgendern" und Hubert Aiwanger zu sprechen kommt. Immerhin hat keiner eine Trillerpfeife dabei, es erhebt sich aber auch kein Widerspruch, als von Sarnowski ruft: "Ich hab in meinem Leben noch keine Insekten gegessen, glaubt jemand wirklich solchen Unsinn?"

Von den Stehplätzen im Hintergrund ist der eine oder andere zynische Kommentar zu hören

Es wird nur hörbar gegrummelt, manchmal gelacht, von den Stehplätzen im Hintergrund ist der eine oder andere zynische Kommentar zu hören. Fast muss man schon froh sein, wenn es nur das ist, und dass von Sarnowski an einer Stelle auf weitere Argumente verzichtet und zum nächsten Thema überleitet, könnte man als Resignation deuten, aber auch als bessere Einsicht. Vermutlich bringt es eh nichts. Die Stehplätze sind auch längst leer, als die Veranstaltung vorüber ist. Nur Robert Böhnlein, Kandidat der Bayernpartei, steht noch dort, er bleibt bis zum Schluss, schweigend.

Auch das passiert in diesem Bayern, "das in den letzten Wochen nicht mehr das Bayern ist, das ich gekannt habe". Von Sarnowski ist sichtbar erleichtert, als nur noch eine Gruppe Sympathisanten um Ricarda Lang herumsteht und er sich eine Butterbreze holen kann.

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