Grafinger Gymnasium:Schüler lassen antisemitische Hetze im Klassenchat auffliegen

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  • Im Klassenchat einer neunten Klasse des Grafinger Gymnasiums ist antisemitische Hetze verbreitet worden.
  • Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun an der Schule wegen verfassungsfeindlicher Symbole und Volksverhetzung.
  • Auch der Disziplinarausschuss der Schule wird sich mit dem Thema befassen.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Dass Polizisten in die Schule kommen und Handys konfiszieren, kennen Grafinger Gymnasiasten wohl eher aus dem Film. Als dies vor einigen Tagen an ihrer Schule passierte, steckte allerdings kein Drehbuch dahinter: Durch den Klassenchat einer neunten Klasse war üble antisemitische Hetze verbreitet worden. Die Staatsanwaltschaft München II nahm offenbar die Ermittlungen auf. Schulleiter Paul Schötz reagierte mit einem energischen Elternbrief.

"Wir sind bestürzt über die abstoßenden und brutalen Inhalte", konstatiert der Oberstudiendirektor in dem am Montag an alle Eltern der Grafinger Gymnasiasten verschickten Schreiben. "Es ist äußerst bedauerlich, dass sich in unserer Gesellschaft Menschen zu antisemitischen und rassistischen Äußerungen und Handlungen hinreißen lassen. Gerade als ,Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage' wollen und müssen wir uns davon distanzieren."

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Nur als empörte Floskel will er die Aussage nicht verstanden wissen, erklärte Schötz im Gespräch mit der SZ. Das entschiedene Eintreten gegen Rassismus und Antisemitismus sei immerhin auch Auslöser der in der vergangenen Woche schließlich erfolgreichen Initiative gewesen, die Schule nach dem Holocaustüberlebenden Max Mannheimer umzubenennen.

Die Hakenkreuze und Gaskammer-Sprüche aus dem Chat stehen dazu freilich in krassem Kontrast. Andere Inhalte seien teils so grauenhaft, dass er sich weigere, sie wiederzugeben, sagte Schötz. Er bestätigte, was sich Anfang der Woche unter Schülern und Eltern herumgesprochen hatte: Dass durch den Chat unter anderem der Text eines Liedes geschickt wurde, das auf ein Kampflied der "SA" zurückgeht und heute unter dem schlichten Titel "Blut" in der rechtsextremen Musikszene weit verbreitet ist. Der Text ruft unter anderem zum Judenmord und zu Angriffen auf Parlamente auf. Der Ursprung der Zeilen liegt im sogenannte Heckerlied aus dem 19. Jahrhundert.

Von der Staatsanwaltschaft München II war am Dienstag keine Stellungnahme über den Ermittlungsstand zu erhalten. Soweit er informiert sei, erklärte Schulleiter Schötz, werde gegen einen Schüler bereits wegen des Verdachts auf Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt - Paragraf 86 a Strafgesetzbuch. In einem weiteren Fall werde die Staatsanwaltschaft Ermittlungen noch prüfen. Ob weitere dazu kommen, dürfte auch von der polizeilichen Auswertung der konfiszierten Telefone abhängig sein.

Sicher ist bereits, dass sich auch der Disziplinarausschuss der Schule mit dem Thema befassen wird.

Die Jugendlichen hatten die Chat-Inhalte daheim thematisiert

Offenbar schien sich im Laufe des Dienstags der Verdacht zu erhärten, dass zumindest die Passagen aus dem "Blutlied" von einem Schüler der Ebersberger Realschule hochgeladen worden waren. Darüber habe ihn die Polizei am Nachmittag informiert, berichtete Schötz. Er betonte, mit dieser Auskunft in keiner Weise den Rest der Chatverläufe relativieren zu wollen. "Das möchte ich lediglich im Sinne Transparenz und Vollständigkeit dazusagen."

Fest steht, dass die Angelegenheit an dem Gymnasium gehörig Wellen schlägt - und Schötz in dem Rundschreiben die "Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule" anmahnt. Der verantwortungslose und unkontrollierte Umgang mit Smartphones sei ein echtes Problem. "Deshalb unsere Bitte: Wenn Ihnen problematische Inhalte jedweder Art in sozialen Medien Ihrer Kinder bekannt werden, zögern Sie nicht, sich vertrauensvoll an uns zu wenden."

Offensichtlich ist im aktuellen Fall genau dies passiert. Einige Neuntklässler hätten die Chat-Inhalte zuhause thematisiert, berichtete ein Grafinger Schülervater. "Die waren echt erschrocken!" Ermuntert von den Eltern hätten sich die Schüler dann in einer Gruppe an ihre Klassenleitung gewandt. Die, so berichtet Schötz, habe das Direktorat einbezogen und dieses wiederum Polizei und Staatsanwaltschaft. Derweil hätten die Schüler den Klassenchat aus eigenem Antrieb geschlossen.

Dennoch, und das ist Schötz ebenfalls wichtig, geht es ihm vordergründig nicht um die strafrechtliche Verfolgung - sondern um den Erziehungsauftrag im Sinne einer demokratischen Wertehaltung und Grundordnung. "Wir wollen entschieden gegen Diskriminierung in jeglicher Form Stellung beziehen und sehen darin auch eine Hauptaufgabe der Erziehungsarbeit in heutigen Zeiten", schrieb er den Eltern. "Lassen Sie uns diesen Erziehungsauftrag gemeinsam wahrnehmen!"

Nicht nur aus der Elternschaft und Kreisen des Elternbeirats war am Dienstag ausdrückliches Lob für Schötz zu hören. Ehemalige Schüler bestärkten ihren einstigen Direktor genauso wie etwa die Grafinger Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne). "Ich finde das absolut richtig, dass er so klar und deutlich an die Öffentlichkeit geht", sagte sie. "Wenn Leute solche Vorfälle nicht anzeigen, tauchen sie auch in keiner Polizeistatistik auf." Aber gerade deren Zahlen seien so wichtig, um die Gefahr von Rechtsaußen glaubhaft einschätzen zu können.

© SZ vom 13.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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