Ehemaliges BayWa-Gelände:Abgeblitzt

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Dass die Grafinger Lagerhausstraße verkehrsberuhigt ist, hindert die wenigsten Autofahrer daran, Schrittgeschwindigkeit zu fahren. Eltern sorgen sich um ihre Kinder. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zahlreiche Familien beklagen sich über zu schnelle Autos in der Grafinger Lagerhausstraße. Obwohl die Stadt nun baulich nachjustieren will, dürfte weiterer Streit programmiert sein: Bei der zugrundeliegenden Verkehrszählung ist der Stadt ein Lapsus passiert.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Dass sich Eltern mit kleinen Kindern über zu schnelle Autofahrer vor der Haustür beschweren, gehört zum "täglich Brot" eines Kleinstadtbauausschusses. Die Schärfe der Klagen im Fall der durchs ehemalige Grafinger BayWa-Gelände führenden Lagerhausstraße war zuletzt allerdings nicht mehr alltäglich.

Von einer "Gefährdung von Kindern durch massive Geschwindigkeitsüberschreitungen in der Lagerhausstraße in täglich zigfacher Weise" schrieben die Anwohner. Davon, dass Raser "im angeblich verkehrsberuhigten Bereich der Lagerhausstraße die Unversehrtheit von unseren und allen dort spielenden Kindern aufs Spiel setzen". Es gäbe absolut nichts, was die Geschwindigkeit auf der perfekt asphaltierten Straße drosseln würde. "Mittlerweile spielt die Tageszeit keine Rolle mehr und auch der Lieferverkehr braust zu jeder Uhrzeit nicht nur durch die Straße, sondern auch über die Feuerwehrzufahrt neben dem Spielplatz." Ein Unfall sei keine Frage des Ob, sondern nurmehr des Wann.

Ein Dreivierteljahr später nun schob Bürgermeister Christian Bauer (CSU) das Thema auf die Tagesordnung des Bauausschusses. Und das Ergebnis vom Dienstagabend dürfte auf dem ehemaligen BayWa-Gelände kaum zur Zufriedenheit reichen: Mit ihrer zentralen Forderung nach Bremsschwellen, um die geltende Schrittgeschwindigkeit gewissermaßen zu erzwingen, sind die Anwohner abgeblitzt: "Der Einbau von Hindernissen wie zum Beispiel Schwellen ist nicht zulässig", heißt es aus dem Bauamt.

Allerdings, und das gestand die Stadtverwaltung auch ein, ist bei der Straßengestaltung nicht alles so gelaufen wie es sollte. So habe die Verkehrspolizei festgestellt, "dass die für verkehrsberuhigte Bereiche geforderte besondere bauliche Gestaltung unzureichend ist". Unzureichend sei auch der "Eindruck der Aufenthaltsfunktion", der in einer verkehrsberuhigten Zone - Fußgänger und Autofahrer gelten dort als gleichberechtigt - zu herrschen habe.

Für den Stadtrat hat die Lagerhausstraße eine Entlastungsfunktion

In der Sitzung ging es also nicht mehr ums Durchsetzen eines verkehrsberuhigten Bereichs. Sondern nur noch um eine "Verbesserung der verkehrsberuhigenden Wirkung". Deshalb will das Rathaus nun sogenannte Pflanzbuchten prüfen sowie die mögliche Verbreiterung zweier Parkbuchten. Weitere Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung fasst die Stadt laut Beschluss ausdrücklich nicht ins Auge.

An einer solchen Beruhigung hat die Stadt auch wenig Interesse, wie in der Beschlussvorlage nachzulesen war. "Eine überwiegende Verlagerung des Fahrverkehrs auf die stark überlastete Grandauer Straße (ohne Gehwege) ist zu verhindern." Stattdessen habe die Lagerhausstraße eine Entlastungsfunktion zu übernehmen.

Ein Zusammenhang, der nach der Sitzung in der Anwohnerschaft verblüffte. "Wir haben weder eine Sperrung der Straße, noch eine Beschränkung der Durchfahrt gefordert", stellte eine Mutter klar. "Sondern immer nur Maßnahmen, die die Autofahrer dazu bringen, die erforderliche Schrittgeschwindigkeit wenigstens ansatzweise einzuhalten."

Inwieweit dies bisher passiert - oder eben nicht - fällt allerdings in eine Grafinger Wissenslücke. Sie entstand dadurch, dass der im vergangenen Jahr aufgestellte Verkehrszähler nur unzureichend ausgewertet worden war.

Etwa 85 Prozent der Durchfahrten seien mit weniger als 30 Stundenkilometern gemessen worden, fasste Bürgermeister Bauer das Ergebnis zusammen. Der Haken: Bei der Lagerhausstraße handelt es sich statt einer Tempo-30-Zone um einen verkehrsberuhigten Bereich. Da dort lediglich Schrittgeschwindigkeit erlaubt ist, dürfte der tatsächliche Anteil von zu schnellen Durchfahrten deutlich höher liegen. Von der SZ auf die Diskrepanz angesprochen, verteidigte Bauer kürzlich seine damalige Rechnung. "Schrittgeschwindigkeit ist nicht genau definiert."

Der Hinweis ist nicht falsch - im konkreten Kontext aber eben auch nicht richtig. Das Oberlandesgericht München etwa hat in einem Urteil (Az.: 10 U 4447/13) bestätigt, dass eine Geschwindigkeit von sieben Stundenkilometern als angemessen und zulässig anzusehen ist, wenn es um verkehrsberuhigte Zonen geht. Andernorts wird auch noch die Spanne zwischen zehn und 15 Stundenkilometern als Schrittgeschwindigkeit akzeptiert.

Auf Basis realistischer Zahlen hat der Bauausschuss am Dienstag in jedem Fall also nicht beraten.

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