Online-Marketing:Grafing bekommt ein "Mini-Google"

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Bunt und verspielt, so sieht die Startseite des Portals Hey.Bayern aus. (Foto: Screenshot SZ)

Grafing zapft den Europäischen Sozialfonds an, um seinem Einzelhandel, Dienstleistungsgewerbe, Gastronomie und Vereinen eine digitale Vermarktungsplattform bereitzustellen. Wenngleich umstritten, findet sich im Stadtrat eine klare Mehrheit für das Projekt.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Ein bisschen verspielt schaut die Startseite von "Hey Bayern" aus. Auf der linken Seite rauscht ein Zeichentrick-Radler den Hang runter, rechts stampft wer auf den Tourenskiern einen Berg hoch. Dazwischen gibt's ein stilisiertes Konzert, jemand paddelt auf dem Stand-Up-Board und weiter drüben wird sich zugeprostet. "Entdecke die Region wie ein Local", steht als Claim auf dem "Hey Bayern"-Logo. Noch im ersten Quartal 2023, so hat es der Stadtrat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, soll es eine Grafing-Variante der Plattform geben. Ihr Name, logisch: "Hey Grafing".

Der wirtschaftspolitische Hintergrund der Plattform ist ein sehr ernster. Der Sogwirkung der Ballungszentren will sie gewissermaßen einen lokalen Magneten entgegenstellen. Auf dass die Leute mehr vor Ort unternehmen, erleben, verzehren, konsumieren. Als "digitales Rundum-Sorglos-Paket" bewerben die Traunsteiner Macher von "Hey Bayern" ihre Plattform. Sie informiere tatsächlich über alles vor Ort: "Alle Geschäfte, alle Restaurants, alle Veranstaltungen, alle Kurse, alle Termine. Bars, Vereine, Bands, Künstler."

Rund 30 000 Euro muss die Stadt Grafing für das Projekt zahlen

Knapp 30 000 Euro muss Grafing für den zunächst auf drei Jahre angelegten Plattformservice bezahlen. Grob noch einmal so viel schießt die Europäische Union (EU) aus dem Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) zu, also ebenfalls Steuergeld. Die Förderung soll den "Übergang zur einer digitalen und ökologisch nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft" unterstützen.

Er hätte das zunächst für eine durchaus gute Idee gehalten, berichtete SPD-Stadtrat Christian Kerschner-Gehrling in der Sitzung. Dann aber hätte er im Internet ein bisschen recherchiert. "Und dort ist schon einiges an Kritik zu lesen, dass die Projekte zwar mit Elan beginnen - dann aber merklich einschlafen." Da stelle sich für ihn schlicht und einfach die Frage, ob die Kosten nicht bei anderen Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung zielgerichteter eingesetzt werden könne.

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FDP-Stadtrat Claus Eimer wollte von dem Vorschlag gar überhaupt nichts wissen. "Das klingt mir alles sehr danach, als würden wir versuchen, das gefühlt siebzehnte Rad am Wagen zu entwickeln." Jemand, der zum Beispiel schnell die aktuellen Öffnungszeiten dieser oder jener Kneipe wissen wolle, der öffne in aller Regel die Google-App. "Aber der geht doch nicht umständlich eine Homepage auf und klickt sich durch, bis er irgendwo dann mal die Gaststätten findet."

Bei den örtlichen Einzelhändlern stößt die Idee auf Begeisterung

Zumindest laut Beschlussvorlage sehen das die vermeintlichen Profiteure der Plattform - sprich: Grafinger Einzelhandel, Dienstleistungsgewerbe, Gastronomie und Vereine - anders. Ein paar Tage vor der Sitzung hatte der Stadtverwaltung zufolge eine Informationsveranstaltung stattgefunden. "Die Vertreter der einzelnen Interessengruppen sprachen sich mit großer Begeisterung für die Umsetzung dieser Plattform aus", heißt es.

Wichtig genug, diese Sicht der Dinge dann auch in der Sitzung kundzutun und die "Begeisterung" gegebenenfalls zu verteidigen, war die Angelegenheit dann aber alleine Gabriele Köhler. Sie ist eine von zwei Geschäftsführerinnen des Grafinger Gründerzentrums "Zamworking". Ihr Credo: Das Portal bitte nicht vorschnell schlechtreden. "In Traunstein läuft das Portal echt super!". Es sei eben sehr wohl ein Mehrwert, wenn die Plattform etwa differenziere, ob dieses oder jenes Restaurant auch etwas für jemanden sei, der keine Treppen steigen könne.

Genau das ließe sich ja nachgooglen, schüttelte Eimer den Kopf. "Meistens sind dort sogar Fotos hochgeladen, damit die Leute sich, je nach Einschränkung, ein schnelles eigenes Bild machen können." Am Ende votierten 14 von 20 anwesenden Stadträten für das neue Stadtportal. Spätestens bis Ende März 2023 soll es online gehen.

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