Regisseurin aus Grafing:Vom Neinsagen und Loslassen

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Katharina Woll (3. v.l.), Filmregisseurin aus Grafing, hier beim Fünf Seen Festival mit Markus Kaatsch, Anne Ratte-Polle und Ulrike Willenbacher (v.l.). (Foto: Fünf Seen Filmfestival/oh)

Katharina Woll ist mit einer Komödie über gesellschaftliche Zwänge der Sprung ins Filmgeschäft gelungen: "Alle wollen geliebt werden" hat einen Regiepreis gewonnen. Jetzt steht eine große "Freitagabend-Produktion" an.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Mütter können echt anstrengend sein. Zum Beispiel, wenn sie an der Praxistür der Tochter klingeln, einer Berliner Psychotherapeutin in den Mittvierzigern, und auf deren entschuldigend-erklärenden Worte "Mama, ich bin mitten in einer Sitzung - meine Klientin wartet" den Fuß in die Türe schiebend nonchalant antworten: "Ach, weißt du, wie lange ich schon hier warte?"

"Alle wollen geliebt werden": Um die Therapeutin Ina (Anne Ratte-Polle), die zwischen ein- und ausgehenden Klienten neben ihrem eigenen Leben auch noch das von Mutter Tamara (Ulrike Willenbacher), Tochter Elli (Lea Drinda), Ex- und Neu-Partner meint ordnen zu müssen, hat die aus Grafing stammende Regisseurin Katharina Woll ihr Kino-Erstlingswerk gestrickt. "Die klug beobachtete Komödie zeigt, wie gesellschaftliche Zwänge und widersprüchliche Erwartungen unser Leben einengen", kommentierte der TV-Spielfilm-Ableger Cinema das Langfilmdebüt. "Katharina Woll erzählt mit einem feinen Gespür für die heiklen Fallstricke zwischenmenschlicher Beziehungen." Das Online-Magazin Prinz lobt: "Frauen-Kino mit Tiefgang."

Das Motiv des Filmplakats zu "Alle wollen geliebt werden". (Foto: oh)

Dass die mittlerweile in Berlin lebende Grafingerin in Spielfilmen ihre Passion findet, war so erst einmal nicht geplant. "Am Anfang wollte ich vor allem in Richtung Dokumentarfilm gehen", erzählt sie. Nach dem Abitur in Grafing studierte die heute 39-Jährige zunächst in Erlangen Film- und Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte und Politik, dann in Buenos Aires Fotografie. Kehrte dann nach München zurück, brachte das Studium an der LMU zu Ende und stellte fest: "Beim Dokumentarfilmen kommt mir irgendwie die Kreativität zu kurz."

Prompt bewarb sie sich an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), eine Kaderschmiede, die mit vielen Enttäuschungen in jedes neue Ausbildungsjahr startet: Auf die gerade einmal zwölf Ausbildungsplätze für Regie bewerben sich Hunderte. Katharina Woll aber erhielt einen Platz - was eine wichtige Weiche stellte: Florian Plumeyer, mit dem Woll das Drehbuch zu "Alle wollen geliebt werden" schrieb, gehörte zu ihrem Jahrgang. Gleiches gilt für Kameramann Matan Radin und Produzent Markus Kaatsch.

In etwa einem Jahr soll der Film im ZDF beim "Kleinen Fernsehspiel" zu sehen sein

Gut möglich, dass das Fernsehakademie-Label auch ein bisschen Verantwortung dafür trug, dass Katharina Wolls Idee zu ihrer Tragikomödie beim "Kleinen Fernsehspiel" des ZDF Interesse weckte. "Der DFFB-Hintergrund gibt einem natürlich Credibility", sagt die Filmemacherin, also Vertrauenswürdigkeit.

Mit dem ZDF-Engagement geht ein schöner Nebeneffekt einher: Nach dem Kino geht der Film auf die Fernsehbühne, in etwa einem Jahr dürfte es soweit sein. "Das ist natürlich das, was man will: Seinen Film einem möglichst großen Publikum zu zeigen", sagt Woll. Auch die Filmförderung Berlin Brandenburg beteiligt sich.

Überhaupt: "Filmförderung und Öffentlich Rechtliche. Das sind so Punkte, an denen ich schon froh über meinen Wohnsitz bin", sagt die Regisseurin. "In den USA herrscht der Hyperkapitalismus auch in der Filmfinanzierung: Wer Geld reinsteckt, schaut auf den Marktwert." Zur Währung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags gehören in Deutschland eben auch Bildung, Kultur und Unterhaltung.

Das Besondere an diesem Langspieldebüt: Es ist kein Krimi

In Anne Ratte-Polle gewann Katharina Woll die Trägerin des Bayerischen Filmpreises 2020 als Hauptdarstellerin. "Gerade in Deutschland sind die Etablierten oft froh, auch mal mit dem Regienachwuchs zu arbeiten", sagt Katharina Woll. "Einfach, weil sie dort auch mal neue Rollen spielen können: Die Deutschen lieben Krimis. In gefühlt 80 Prozent der deutschen Fernsehproduktionen geht es hauptsächlich um Ermittlungsarbeit."

Im Falle der Berliner Therapeutin Ina: Hier spielt Anne Ratte-Polle mal nicht die selbstbewusst-taffe Frau. Sondern eine, die von Tochter Elli erpresst wird: Dürfe sie nicht aufs Billie-Eilish-Konzert, droht die Teenagerin, ziehe sie eben zum getrennt lebenden Vater. Tochter, Mutter, Exfreund, Freund: Weil alle geliebt werden wollen, scheitert Ina genau an dem, wohin sie im Sitzungszimmer Klientinnen und Klienten schiebt: Neinsagen. Loslassen. Nicht mehr immer für alle da sein.

Der Film lief - auch als internationale Version "Everybody Wants To Be Loved" - unter anderem auf den Filmfestivals in München, Tallin, Santa Barbara und Dhaka in Bangladesch. In München erhalten Woll und Plumeyer den Förderpreis "Neues Deutsches Kino" für das beste Drehbuch. Aus Dhaka kommt der Preis für die beste Regie. Sich zwischen Beruf, Familie und gesellschaftlich etablierten Erwartungshaltungen aufarbeitende Frauen reflektieren nicht nur westliche Industriegesellschaften kritisch.

Inzwischen bekommt Woll ihrerseits Angebote von Produktionsfirmen

Am Weltfrauentag Anfang März lief "Alle wollen geliebt werden" in Deutschland an, zumeist in Arthouse-Programmkinos. Selbst in der achten Woche nach dem Start steht der Film hier und da noch in den Programmen. "Manch andere sind nach zwei Wochen schon wieder draußen", sagt die Regisseurin.

Katharina Woll jedenfalls hat sich mit ihrem Debüt für größere Aufgaben empfohlen: Nun dreht sie in München ihren ersten Prime-Time-Fernsehfilm. Diesmal wandte nicht sie sich mit einer Idee an Produktionsfirmen, der Weg lief andersherum: Frau Woll, wollen Sie nicht vielleicht die Regie übernehmen? Natürlich wollte sie. "Das ist jetzt was aus der Größenordnung ARD, Freitagabend." So viel darf schonmal verraten werden.

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