In der Diskussion um den Klimawandel und dessen Folgen ist immer öfter von Kipp-Punkten die Rede: Wird ein Ökosystem über seine Belastungsgrenze hinaus strapaziert, durch Verschmutzung oder Ressourcenausbeutung, bricht es zusammen und wird irreparabel in seiner Funktionsweise beeinträchtigt.
Hans Gröbmayr erlebte vergangene Woche seinen ganz eigenen Kipp-Punkt. Am 27. Oktober reichte der Energiebeauftragte der Gemeinde Glonn seine Kündigung ein, gültig mit "sofortiger Wirkung". Was trieb den ehemaligen Klimaschutzmanager des Landkreises, auf dessen Initiative unter anderem die Energieagentur und das Eberwerk zurückgehen, über die Belastungsgrenze?
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Im Kündigungsschreiben erklärt Gröbmayr, dass sein Rücktritt "faktisch nicht notwendig" sei. Weder der Glonner Bürgermeister Josef Oswald (CSU) noch die Mehrheit des Gemeinderates habe es gewollt, dass Gröbmayr seine Rolle als Energiebeauftragter wahrnehme. Stattdessen sei es, so heißt es in dem Schreiben weiter, zu einer "zunehmenden Ausgrenzung bis zu diffamierenden Anschuldigungen und Hass" gekommen. Schuld daran sei die vom Bürgermeister, dem Gemeinderat und fast allen Parteien mitgetragene Politik, "'die Grünen' als das Böse schlechthin" darzustellen.
Auf Nachfrage erklärt Gröbmayr, dass er und die Mitglieder des Aktionskreises Energiewende Glonn im Gemeinderat stets das Gefühl gehabt hätten, zu stören. "Wenn wir eine Info-Veranstaltung gemacht haben, war das ok. Aber sobald wir substanzielle Arbeit leisten wollten, waren wir Störenfriede", sagt er.
Den Punkt zum Kippen brachte schließlich vergangene Woche die Bürgerbefragung in Schlacht, Kreuz und Herrmannsdorf. Grundstücks- und Wohnungseigentümer in einem Radius von 1000 Metern um die Orte wurden befragt, ob sie für oder gegen ein Windrad in ihrer Nähe sind. In allen drei Befragungen sagte die Mehrheit der Befragten: Nein.
Hans Gröbmayr wirft dem Bürgermeister und Gemeinderat nun vor, aufgrund mangelnden "Verantwortungsbewusstseins oder Rückgrats" die Befragungen durchgeführt und so "sehenden Auges das nun eingetretene desaströse Ergebnis" herbeigeführt zu haben. Vor allem zeigt sich Gröbmayr frustriert darüber, dass Bürgermeister und Gemeinderat den Grundstückseigentümern, die die Windkraft wollen, keine Rückendeckung gegeben hätten, obwohl Glonn beschlossen hat, den "Bau und Betrieb von Windkraftanlagen auf geeigneten Flächen im Gemeindegebiet" zu unterstützen. Stattdessen sei geschwiegen worden, als "Lügen und Halbwahrheiten" von Windkraftgegnern die Runde machten, insbesondere in Schlacht.
Bürgermeister Oswald kann das Schreiben Gröbmayrs "nicht verstehen"
Initiiert hatte die Befragung jedoch nicht die Gemeinde Glonn, sondern Hans Zäuner und Werner Stinauer von der Firma Osterkling. Sie haben das Windrad in Bruck gebaut und hatten nun weitere Anlagen mit 100 Prozent Bürgerbeteiligung geplant.
Zäuner erklärt, dass man die Bürgerbefragung durchgeführt hatte, um festzustellen: "Will die Mehrheit vor Ort das oder nicht?" Man könne nicht "mit dem Kopf durch die Wand" und gegen die Bürger und den Dorffrieden ein Windkraftprojekt durchziehen. Zwar finde er es "schade", dass die Projekte abgelehnt wurden und er ist auch überrascht vom Ergebnis: "Wenn ich mit den Leuten geredet habe, war die Resonanz eigentlich immer positiv." Der Widerstand inklusive Falschinformationen sei dann aggressiver gewesen, als er vermutet hatte. Allerdings sei es jetzt nun mal so. Zäuner geht davon aus, dass die Leute vor Ort in ein paar Jahren so weit wären, mit der Windkraft mitzugehen.
Auch der Glonner Bürgermeister Josef Oswald sagt, dass er von dem negativen Votum überrascht wurde. Er verweist jedoch auch darauf, dass die Befragung rechtlich keinen bindenden Charakter hat. Sie habe dazu gedient, eine Stimmungsbild zu erhalten und sei keine Auflage der Gemeinde für Zäuners und Stinauers Projekt gewesen. Er sei stets als neutrale Person zu den Befragungen und den vorherigen Diskussionen gekommen. Deswegen habe er sich auch mit Äußerungen zurückgehalten, er wollte sich nicht zu sehr einmischen. Von etwaigen Falschinformationen, die zirkulierten, habe er allerdings erst nach den Abstimmungen etwas erfahren.
Zu den sonstigen Anschuldigungen Gröbmayrs will Oswald nicht viel sagen, dafür seien sie zu pauschal. "Ich verstehe das Schreiben nicht", sagt er. So seien dem Energiebeauftragten im Gemeinderat sicherlich kein Hass und keine Beschimpfungen entgegengeschlagen. Und auch dass Gröbmayr nicht gehört worden wäre, kann er nicht bestätigen. "Die meisten Themen sind nicht energiespezifisch", so Oswald. Wenn es um Energie ging, habe man Gröbmayr jedoch zugehört.
Es könnten trotzdem Windkraftanlagen auf diesen Flächen gebaut werden
Wie geht es nun weiter mit Windkraft in Glonn? Für Zäuner ist das Thema "von meiner Seite aus erledigt", man halte sich an die Befragung. Da diese nicht rechtlich bindend sei, könne es aber natürlich sein, dass ein Investor von außen komme, der Grundstückseigentümern eine hohe Pacht verspricht. In diesem Fall würde die Anlage ohne Bürgerbeteiligung gebaut werden. Sollte dies nicht passieren und die Anwohner der Orte irgendwann nochmal auf ihn und seine Firma zukommen, wäre man aber natürlich bereit, ein Projekt umzusetzen.
Bürgermeister Oswald wiederum betont, dass die Flächen sich nach wie vor im Suchraum des Regionalen Planungsverbandes München befinden und die gemeindliche Planungshoheit bestehen bleibt. Nach dem Wind-an-Land-Gesetz müssen mindestens 1,1 Prozent der Landesfläche des Freistaates für Windenergie zur Verfügung gestellt werden. Zwar wird dies nicht analog auf die Gemeindeebene heruntergerechnet, der Planungsverband wird aber wohl Potenzial-Flächen entsprechend dieser Vorgabe festlegen, es sei denn, die Kommunen tun dies selbst.
Energiewende im Landkreis Ebersberg:Regionen für Rotoren
Als erste Landkreiskommune hat die Stadt Ebersberg nun Flächen für die Windkraftnutzung ausgewiesen. Noch in diesem Jahr könnte man mit Interessenten verhandeln.
Ab Februar oder März nächsten Jahres werde im Glonner Gemeinderat diskutiert, welche Flächen dies sein sollen. Ob eine der Flächen in Schlacht, Kreuz oder Herrmannsdorf dazuzählen wird, dazu will Oswald zu diesem Zeitpunkt keine Prognose wagen.
Einen neuen Energiebeauftragten bräuchte man außerdem nicht unbedingt sofort, da die Gemeinde über zwei verfügt. Zumindest an dieser Stelle ist also noch kein Kipp-Punkt erreicht.