Streitschlichter:Ehrenamtliche sollen vermitteln

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Andrea Splitt-Fischer, Geschäftsführerin des Kreisbildungswerks Ebersberg. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Kreisbildungswerk Ebersberg startet ein in Bayern bisher einmaliges Konzept: Freiwillige sollen "Gemeinwesenmediatioren" werden und bei Konflikten vermitteln, bevor diese vor Gericht landen.

Interview von Michaela Pelz, Ebersberg

Wenn zwei sich streiten, freut sich meist nur im Sprichwort ein Dritter. Im echten Leben hingegen ist etwa im Fall von Nachbarschaftsstreitigkeiten oft bei sämtlichen Beteiligten die Stimmung getrübt oder sogar die Lebensqualität stark beeinträchtigt. Zumal die Parteien häufig nicht einmal mehr miteinander sprechen. Hier setzt der Kurs "Gemeinwesenmediation" des Ebersberger Kreisbildungswerks (KBW) an. Die so ausgebildeten Ehrenamtlichen präsentieren keine fertigen Lösungen, sondern sorgen dafür, dass die Menschen wieder miteinander ins Gespräch kommen. Über ihr in Bayern einzigartiges Konzept und warum sich explizit auch Nicht-Akademiker für die zu 90 Prozent geförderte Ausbildung bewerben sollten, spricht Geschäftsführerin Andrea Splitt-Fischer im SZ-Interview.

SZ: Frau Splitt-Fischer, worüber haben Sie sich zuletzt mit Ihren Nachbarn gefetzt?

Andrea Splitt-Fischer: Das ist lange her. Als es bei handwerklichen Arbeiten meines Mannes an einem Sonntag etwas lauter wurde, stand plötzlich der Nachbar am Gartenzaun. Unser ursprünglich gutes Verhältnis kühlte sich durch diesen Zwischenfall leider sehr ab.

Kein Einzelfall, wie das Gespräch mit dem Ebersberger Bürgermeister zeigte, das Ihr neues Kursangebot überhaupt ins Rollen brachte...

Uli Proske hatte sich an uns gewandt, weil es in seinen Bürgersprechstunden immer häufiger um Nachbarschaftskonflikte ging. Er fragte: "Habt ihr da was, auf das man verweisen könnte? Vielleicht Kurse in gewaltfreier Kommunikation?" Mir war aber klar, dass es für sein Problem etwas anderes brauchte. Ein bodenständiges, niederschwelliges, selbstverständliches Angebot von Bürgern für Bürger. So entstand die Idee.

Warum ist das Ebersberger Konzept so einzigartig?

In Zusammenarbeit mit Anja Huber, Leiterin des Bereichs Gemeinwesenmediation der Stadt München, haben wir eine 80-stündige Basisausbildung entwickelt, die sich eng anlehnt an die Mediatorenausbildung. Das gibt ein sehr gutes Rüstzeug, es deckt zwei Drittel der Themen ab. In der Tat könnte man sogar anschließend in weiteren 40 Stunden eine Anerkennung zum zertifizierten Mediator oder Mediatorin erwerben.

Das ist aber nicht Ihr Ziel?

Nein. Wir wollen gut geschulte Ehrenamtliche, in den Gemeinden verwurzelt, die die streitenden Parteien dazu bringen, sich gegenseitig zuzuhören. Gemeinsam eine Lösung zu finden. Die Position des anderen vielleicht auch einfach mal stehenzulassen. Es geht um Begegnung auf Augenhöhe - auch hinterher, wenn man sich zufällig beim Einkaufen begegnet. Was außerdem besonders ist: Anderswo liegt der Schwerpunkt der Fälle oft in den Bereichen Wirtschaft und Familie oder bei einer Vorstufe von Rechtsstreitigkeiten. Unser Anwendungsgebiet sind Nachbarschaftsstreitigkeiten und Fälle, die im Ehrenamt auftreten, etwa in der Flüchtlingshilfe.

Es geht also um mehr als den einzelnen Streit über die Höhe einer Hecke?

Die Gemeinwesenmediation soll der Gemeinschaft dienen. Das Ziel ist, als Gemeinde gut und respektvoll miteinander auszukommen. Trotz aller Unterschiede, die es gibt und die bleiben werden.

Daher lassen Sie sich die Sache auch etwas kosten.

Der Wert der Ausbildung beträgt 2500 Euro pro Person. Mit Hilfe der Katholischen Erwachsenenbildung Bayern kann das KBW Ebersberg 90 Prozent davon übernehmen. Eine so bedeutende Projekt-Förderung erhalten wir selten. Doch die Grundhaltung beim Umgang mit Konflikten und Unterschieden ist so ein wichtiges, auch gesellschaftliches Thema. In ländlichen Strukturen gab es immer Personen, die Streit geschlichtet haben. Wo sind diese Menschen jetzt?

Noch ist Ihre maximale Gruppenstärke von 15 Personen nicht erreicht. Wer kann sich bewerben?

Für die geförderten Plätze gibt es zwei Voraussetzungen: Man muss im Landkreis wohnen und die Verpflichtung eingehen, nach dem Kurs zwei Jahre das Ehrenamt auszuüben. Es gibt keine Altersbeschränkung, darum ist beispielsweise auch eine 18-Jährige dabei. Ausdrücklich wünschen wir uns einen Querschnitt aus verschiedenen Berufsgruppen - man braucht kein Akademiker zu sein; wer Interesse hat, soll es sich ruhig zutrauen.

Welche Eigenschaften sollte man haben?

Interesse an ehrenamtlicher Tätigkeit. Fähigkeit zur Strukturierung, um sich an das festgelegte Verfahren halten zu können. Offenheit und Kommunikationsvermögen. Gerne dürfen die Teilnehmer sehr verschieden sein, denn auch Konfliktparteien und Fälle sind sehr unterschiedlich. Um eine gute Mischung zu erhalten, dürfen auch einige "Selbstzahler" dazukommen, also Menschen, die eine solche Basisausbildung machen wollen, aber ohne die spätere Anbindung an die Gemeinde.

Wie sieht da die Zusammenarbeit konkret aus?

Im ersten Ausbildungsjahrgang ist es zunächst die Stadt Ebersberg, mit der wir kooperieren. Das Prozedere sieht dann so aus: Das Rathaus nimmt die Anfrage einer Schlichtung entgegen und gibt sie an die Koordinatoren des KBW weiter. Diese entscheiden, welches Tandem sich um den Fall kümmert. Die Beratung findet auf neutralem Boden, im Haus der Familie, statt. Wir stellen also die Räumlichkeiten. Außerdem beraten und begleiten wir die Gemeinwesenmediatoren.

Ist die Anzahl der Beratungstermine gedeckelt?

Nein, das hängt vom Fall ab. Manchmal reicht ein Treffen, um die Parteien wieder ins Gespräch zu bringen - die Lösung muss ja nicht bis zum Ende begleitet werden - , es kann aber auch fünf brauchen. Oder es könnte passieren, dass man einen Fall wieder abgeben muss.

Könnte man nicht schon vorher erkennen, dass sich kein gemeinsamer Nenner ergeben wird?

Wir definieren gerade, was wir annehmen und was nicht. Vielleicht kann eine Vorsortierung schon bei der Kommune erfolgen - da wird uns Frau Huber im ersten Jahr professionell begleiteten.

Ausbildung "Gemeinwesenmediation". Umfang: 80 Stunden. Ort: Ebersberg. Zeitraum: November bis April. Bewerbungsschluss: 31. Oktober. Weitere Informationen unter: info@kbw-ebersberg.de oder 08092/85079-0

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