Gleichberechtigung:Frauen sind bei den Ebersberger Straßennamen deutlich in der Minderheit

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An die Großzügigkeit einer Vaterstettenerin erinnert der Names dieses Platzes. (Foto: Christian Endt)

In Chemnitz wird am heutigen Weltfrauentag über eine Quote für weibliche Straßennamen diskutiert. Weiter südlich, im Landkreis Ebersberg, sind Frauen ebenfalls selten Namensgeber für Straßen. In manchen Gemeinden findet sich nicht eine einzige.

Von Anja Blum

Die Stadt Grafing hat, man muss es so deutlich sagen, die Nase in Sachen Gleichberechtigung sehr weit vorne. Nicht nur, dass hier auf dem Chefsessel im Rathaus eine Frau sitzt, nein, auch die Straßenschilder sprechen eine deutliche Sprache: Sechs von ihnen tragen weibliche Namen, das ist derzeit im Landkreis Rekord. Angesichts von knapp 40 Grafinger Straßen, die nach Männern benannt sind, kann allerdings selbst dieses Ergebnis als eine inakzeptable Quote bezeichnet werden - zumindest, wenn man nach Chemnitz blickt.

Dort steht das Verhältnis ähnlich, nämlich 40 zu 300, weswegen der Stadtrat an diesem 8. März, dem Weltfrauentag, über einen außergewöhnlichen Antrag der rot-rot-grünen Koalition abstimmen wird: In Chemnitz sollen neue Straßen künftig nach weiblichen Persönlichkeiten benannt werden, bis sich das Verhältnis ausgeglichen hat. Allerdings halten so manche Politiker, zum Beispiel aus den Reihen der FDP, von dieser Idee rein gar nichts. Für deren Kreisvorsitzenden gehört der Antrag "in die Kategorie: lesen, lachen, abheften".

Um einiges entspannter beurteilen die Politikerinnen im Ebersberger Landkreis das Thema. Dass bei den Straßennamen ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern herrsche, sagen sie, sei kein Unwille der kommunalen Gremien, sondern liege in Geschichte und Gesellschaft begründet, so die einhellige Meinung. "In den vergangenen Jahrhunderten standen eben vor allem die Männer in der Öffentlichkeit, Frauen hingegen wirkten eher im Verborgenen", sagt Angelika Obermayr von den Grünen, Bürgermeisterin der Stadt Grafing.

In der Politik, den Kirchen und den Künsten herausragende regionale Vertreterinnen zu finden, ist tatsächlich schwer, bisweilen sogar unmöglich. Zumal in kleinen Gemeinden, wo die Gruppe historischer Persönlichkeiten ohnehin eher beschränkt sei, ergänzt Martina Lietsch (SPD), die Stellvertreterin des Rathauschefs in Steinhöring. "Schließlich wäre es ziemlich übertrieben", sagt sie, "eine Straße nach einer Zweiten Bürgermeisterin zu benennen" - und lacht herzlich.

In den Großgemeinden Vaterstetten und Zorneding gibt es je nur zwei Beispiele

Die wichtigste Frauenstraße in Grafing ist wohl der Franziska-Zellner-Weg, da dieser Name den größten lokalen Bezug aufweist: Zellner (1862 bis 1927), Bäuerin und Naturheilkundige, war einst die Galionsfigur des - zugegebenermaßen erfolglosen - Widerstands der Öxinger gegen die Zusammenlegung mit Grafing, laut Überlieferung eine resolute und geschäftstüchtige, aber auch warmherzige Frau. Darüber hinaus gibt es in Grafing eine Elisabethstraße, eine Giselastraße, eine Marienstraße, eine Sankt-Anna-Straße und eine Lena-Christ-Straße.

Letztere ist in der Region als Namensgeberin beliebt, stammt die berühmte Schriftstellerin doch aus Glonn - wo es freilich eine ebensolche Straße gibt. In der Marktgemeinde steht die Lena-Christ-Straße allerdings recht allein auf feministischer Flur, sieht man von der Frauenbründlstraße, die auf eine Kapelle samt Heilquelle verweist, einmal ab.

Hinter Spitzenreiter Grafing rangiert Ebersberg, wo vier Frauennamen per Straßenschild verewigt sind: Hier gibt es eine Elsa-Plach-Straße, die einer zu Lebzeiten verkannten und heute verehrten Ebersberger Malerin gewidmet ist; eine Erika-Schienagel-Straße erinnert an die erste Stadträtin, eine Sozialdemokratin, und der Richardisweg an Richardis von Eppenstein, die Gemahlin des Klosterstifters Graf Ulrich. Und wer großzügig ist, kann die Liste noch um den Marienplatz erweitern.

Immerhin noch drei weibliche Straßennamen sind in Markt Schwaben zu finden: Ebenfalls ein Richardisweg, ein Gräfin-Richlind-Weg, der auf eine adlige Vertreterin aus der Ortsgeschichte verweist, sowie eine Maria-Wagenhäuser-Straße. Diese Markt Schwabenerin hatte zu Lebzeiten das Krankentransport- und Rettungswesen im Landkreis mit aufgebaut.

Jeweils zwei Damen haben Vaterstetten und Zorneding im Angebot: Die Erika-Köth-Straße erinnert an eine Opernsängerin, die in Vaterstetten lebte, und der Rose-Breitenbach-Platz an eine Wohltäterin, die der Gemeinde Grundstücke für soziale Zwecke vermachte. Die Zornedinger gedenken mit der Rosa-Schöpf-Straße einer Lehrerin, die mit ihrer Strenge mehrere Generationen formte, außerdem sind auch sie offenbar Lena-Christ-Fans.

Neun Orte kommen ganz ohne Frauennamen aus

Nur eine Frau geehrt wird in Moosach, dort gibt es eine Gertrud-van-Calker-Straße. Die Landwirtin aus gutem Hause, ihr Vater war Universitätsprofessor, verhalf der Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg günstig zu Grund, sodass für die vielen Vertriebenen eine neue Siedlung gebaut werden konnte. In Kirchseeon findet sich eine Nonnenstraße, in Baiern eine Frauenbründlstraße, in Forstinning ein Richardisweg.

Poing dagegen mag es lieber märchenhaft: Außer Figuren wie Schneewittchen, Dornröschen und Goldmarie - und Göttin Minerva - sind hier keine Frauen auf Straßenschildern zu entdecken. In Aßling, Bruck, Egmating, Emmering, Frauenneuharting, Hohenlinden, Pliening, Steinhöring und Oberpframmern sind weibliche Straßennamen gar gänzlich Fehlanzeige.

Für die Ebersberger Politikerinnen allerdings ist dieser Befund nicht allzu tragisch. "Es sollte bei der Vergabe von Straßennamen um herausragende Persönlichkeiten gehen - ganz geschlechtsneutral", sagt Obermayr. So wie bei der jüngsten Diskussion, als der Grafinger Stadtrat sich gegen Josefa Kohlpaintner entschied, die 1998 für ihr soziales Engagement das Bundesverdienstkreuz erhalten hatte, und stattdessen Korbinian Aigner den Vorzug gab. Der "Apfelpfarrer" war seiner Leidenschaft, der Obstzucht, sogar im Konzentrationslager nachgegangen. "Das ist wirklich eine bemerkenswerte Figur", sagt die Grafinger Bürgermeisterin. Und weil das bei der Namensgebung von Straßen das Entscheidende sei, halte sie eine Quote, wie sie nun in Chemnitz diskutiert wird, nicht gerade für erstrebenswert.

Eine feste Regelung wünscht sich Obermayrs Kollegin Lietsch aus Steinhöring ebenfalls nicht, doch bei der Benennung von neuen Straßen auch einmal an Frauen zu denken, hält sie durchaus für eine gute Anregung. "Zuletzt haben wir eher nach räumlichen Bezügen gesucht, aber das muss ja nicht immer so sein", sagt sie und hat auch gleich eine Idee für einen Vorschlag: Schwester Philomena vom Betreuungszentrum Steinhöring. "Sie war zwar ziemlich klein, aber eine tolle Persönlichkeit, ein echtes Energiebündel", so Lietsch. "Die kannte jeder."

Voller Zuversicht, dass die Verteilung der Geschlechter bei den Straßennamen bald von alleine ins Lot kommt, ist Bianka Poschenrieder (SPD), Zweite Bürgermeisterin in Zorneding. "Ich war damals das erste und einzige Mädchen, das in Regensburg Elektrotechnik studiert hat", erzählt sie. Will sagen: "Wir sind auf dem Vormarsch, und das wird sich irgendwann auch auf den Schildern niederschlagen."

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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