Jubiläum der Tafel Ebersberg:Brücke zwischen Armut und Überfluss

Lesezeit: 4 min

Die Lebensmitteltafeln wie hier in Ebersberg verzeichnen einen immer größeren Zulauf. (Foto: Peter Hinz-Rosin/Photographie Peter Hinz-Rosin)

Die Ebersberger Tafel feiert dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Seit ihrer Gründung versorgen dort Ehrenamtliche die bedürftige Kundschaft mit Lebensmitteln und mehr. Ein Rückblick auf die vergangenen und gegenwärtigen Herausforderungen.

Von Moritz Rosen, Ebersberg

Am evangelischen Gemeindehaus in Ebersberg herrscht wie jeden Donnerstag bereits um 9 Uhr morgens ein reges Treiben. Über ein Dutzend Ehrenamtliche bereiten die Tafelausgabe vor. Transporter fahren vor, Kisten werden in die Räumlichkeiten im Keller getragen und Regale eingeräumt. Vor der Jubiläumsfeier am kommenden Dienstag sind viele ehemalige und aktuelle Helfer zusammengekommen, um von ihrer Arbeit in den vergangenen 20 Jahre zu berichten.

Gegründet wurde die Tafel Ebersberg im Herbst 2002. Die erste Leiterin der Einrichtung, Waltraud Stückle-Mayrhofer, damals Mitarbeiterin der kirchlichen allgemeinen Sozialarbeit beim Diakonischen Werk Rosenheim, erinnert sich an die Anfänge. Sie hatte die Idee, neben der sozialen Beratung vor Ort eine Lebensmittelausgabe zu eröffnen. Anfangs sei die lokale Politik von der Idee zwar angetan gewesen, jedoch wurde bezweifelt, ob genug Menschen das Angebot nutzen würden. Doch durch positive Berichte anderer Tafelleitungen konnten letztendlich genug Akteure überzeugt werden und die Tafel wurde in Kooperation mit der Diakonie eröffnet.

Die Tafel muss immer mehr Lebensmittel zukaufen, um die Nachfrage zu decken

"Am Anfang war es schon sehr schwierig", berichtet die 85-jährige Erika Hess. Sie ist bereits von Beginn an dabei und hilft immer noch regelmäßig mit. Es sei schwierig gewesen, genug Ehrenamtliche zu finden und es habe viel Konkurrenz um die Lebensmittel mit benachbarten Tafeln gegeben. Gerade zu Beginn hätte viel Überzeugungsarbeit bei den Supermärkten geleistet werden müssen, um an Spenden zu gelangen. Mittlerweile ist jedoch alles sehr eingespielt. Die Ehrenamtlichen beginnen am Mittwoch mit der Abholung, wobei sie dabei alles selber in ihr Auto und dann in die Räume der Tafel tragen müssen, bevor dann jeden Donnerstag um 10 Uhr die Ausgabe beginnt.

Die Ebersberger Tafel hat um die 500 Kundinnen und Kunden, welche alle ihre Bedürftigkeit nachweisen müssen. Das Angebot geht dabei über die reine Lebensmittelausgabe hinaus. So gibt es alljährlich das Kinderwünschen, bei dem Ebersbergerinnen und Ebersberger bedürftigen Kindern Weihnachtsgeschenke kaufen. Dieses Jahr stehen dank des Vereins Sternstunden 25 vollausgestattete Schulranzen für die neuen Schulkinder zur Verfügung. Kulturelle Angebote für die Kundschaft, wie gemeinsame Feste oder der Besuch von Veranstaltungen, wurden wegen der Pandemie stark verringert. Außerdem muss mittlerweile viel Geld für den Zukauf von Lebensmitteln verwendet werden.

Leiterin Liane Spiegelberg ist sehr glücklich über die neuen Schulranzen, die an die neuen Erstklässlerinnen und Erstklässler verteilt werden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Tafeln bemerken Krisen und steigende Armut bereits sehr früh. So sei nach den Hartz-Reformen oder der Flüchtlingskrise die Zahl der Besuchenden stark gestiegen. Natürlich war die Pandemie ein großer Einschnitt in die Arbeit, doch gelang es den Ehrenamtlichen, auch in dieser Zeit keine Ausgabe ausfallen zu lassen. Das war auch der steigenden Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu verdanken: Die Zahl der Spenden stieg stark an und lokale Unternehmen halfen der Tafel bei der Arbeit.

Doch auch die Gegenwart ist nicht ohne Herausforderungen. Sebastian Kurz, der für die Tafeln zuständige Leiter der Diakonie Rosenheim, berichtet, dass die Zahl der Lebensmittelspenden in den vergangenen Jahren zurückgegangen sei, da die Betriebe heute deutlich besser kalkulierten und auch Foodsharing-Plattformen überfällige Lebensmittel verteilen. Gleichzeitig kommt seit Beginn des Krieges in der Ukraine dreimal so viel Kundschaft als zuvor. Das bedeutet in Kombination weniger Lebensmittel pro Person.

Der Grundsatz: Alle, die kommen, erhalten etwas

Wichtig sei, dass jede Person, welche die Tafel besucht, auch etwas bekommt - auch dann wenn die Zahl der Menschen steigt oder die Zahl der Spenden sinkt. Das ist auch eine Herausforderung für die Ehrenamtlichen, die während der Ausgabe abschätzen müssen, wie viele Leute noch kommen werden. Da die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger stark gestiegen ist, werden inzwischen am Anfang jeder Ausgabe zufällig Karten verteilt, welche die Zugangsreihenfolge festlegen. Wichtig zu betonen sei jedoch, dass Tafeln keine Vollversorgung bieten können, sie verteilen, was sie bekommen und verringern so die Lebensmittelverschwendung und helfen gleichzeitig Bedürftigen vor Ort, so Kurz.

Die ehrenamtlichen Helferinnen in den Räumen der Ebersberger Tafel. In der Mitte des Bildes sitzt Sebastian Kurz, der für die Tafeln zuständige Leiter der Diakonie Rosenheim. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Liane Spiegelberg, Leiterin der Tafel Ebersberg, sagt, es gebe immer noch Menschen, die aus Scham nicht kommen würden. "Wenn sie es dann aber doch tun, sagen sie oft, dass sie das schon viel früher hätten machen sollen." Die Zusammenkunft und der Austausch bei der Tafel helfe vielen Kunden und mache sie selbstbewusst. "Sie stehen dazu, dass die Situation so ist wie ist. Sie sehen, sie sind nicht alleine", so Spiegelberg. Während der Ausgabe sprechen auffällig viele der Kunden miteinander. Es bilden sich auch Bekanntschaften zwischen der Kundschaft und den Ehrenamtlichen.

Die meisten der Mitarbeitenden sind bereits in Rente und arbeiten ehrenamtlich. Die Arbeit ist körperlich anstrengend, jedes Mal müssen schwere Kisten geschleppt und verdorbene Lebensmitteln aussortiert werden. Doch alle betonen, dass sie die Arbeit gerne machen. Dafür spricht auch, dass viele Helferinnen schon sehr lange dabei sind. Man bekomme auch sehr viel von der Kundschaft zurück. Außerdem sei der Zusammenhalt und die Sympathie unter den Ehrenamtlichen groß.

Ohne Spenden kann die Tafel nicht existieren

Die Arbeit basiert komplett auf Spenden. Dazu zählen Sachspenden, Geldspenden und natürlich die Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Ehrenamtlichen freut es immer wieder, wie sehr die Tafel in der Region verwurzelt ist und wie viel Zuspruch sie erhält. So helfen Konfirmantinnen und Konfirmanten bei Spendensammlungen in Supermärkten mit und viele regionale Unternehmen kooperieren mit der Organisation. An diesem Tag gibt es dank der Spendengelder für jedes Familienmitglied einen Gutschein für kostenlose Kugel Eis.

Dank der Spendengelder kann die Tafel ihrer Kundschaft besondere Angebote machen, wie Eis im örtlichen Eiscafé. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sebastian Kurz räumt allerdings ein, dass die Arbeit der Tafeln auch zwiespältig gesehen werden kann. Einerseits wolle man Menschen helfen, andererseits könne die Hilfe langfristig negative Folgen haben, da der Staat sich auf dem Engagement der Bürger ausruhen könne und die Sozialleistungen nicht erhöhe. Für die Zukunft wünsche er sich daher, dass die Anzahl der Kunden zurückgehe, da die Armut im Land sinkt. Auch Liane Spiegelberg sieht die Politik in der Pflicht und fordert eine Finanzierung der Tafeln durch die Landkreise oder Kommunen. Doch bis dahin hoffen beide auf eine weiterhin hohe Spendenbereitschaft der Ebersberger Bevölkerung und weiteres ehrenamtliches Engagement.

Die Ebersberger Tafel begeht ihr 20-jähriges Bestehen mit einem Festakt am Dienstag, 27. Juni, von 14 bis 16 Uhr. Pfarrer Edzard Everts und Pfarrer Josef Riedl gestalten einen ökumenischen Gottesdienst in der evangelischen Kirche in Ebersberg, Abt-Williram-Strasse 90. Bürgermeister Ulrich Proske übernimmt offiziell die Schirmherrschaft für die Tafel. Im Anschluss folgt ein Stehempfang im evangelischen Gemeindesaal. Wer die Tafel Ebersberg mit Geld- und Sachspenden oder ehrenamtlich unterstützen möchte, findet weitere Informationen unter: https://dwro.de/standorte/einrichtung/tafel-ebersberg/

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBildung im Landkreis
:Kein Mensch ohne Talent

Förderschulen haben noch immer einen schlechten Ruf, obwohl sie vielen Kindern die notwendige Unterstützung bieten, um später im Berufsleben Fuß zu fassen. Darüber, wie sich das ändern ließe, haben Experten und Eltern in Markt Schwaben diskutiert.

Von Andreas Junkmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: