Vorwurf sexueller Belästigung:Wer sagt die Wahrheit?

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Was sich in den Geschäften des Angeklagten zugetragen? Ein Prozess vor dem Ebersberger Amtsgerichts soll das klären. (Foto: Florian Peljak)

Der Geschäftsführer eines Bekleidungsgeschäfts soll mehrere Mitarbeiterinnen über Jahre sexuell belästigt haben. Eine Zeugin gibt an, deswegen schwere psychische Probleme bekommen zu haben. Eine andere behauptet, das alles sei erlogen.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Wenn zwei diametral entgegengesetzte Kräfte aufeinanderprallen, kracht es in der Regel. So auch an diesem Dienstag vor dem Amtsgericht Ebersberg, wo sich absolut gegensätzliche Aussagen gegenüberstehen. Dem Geschäftsführer eines Bekleidungsgeschäfts mit mehreren Filialen an verschiedenen Standorten in Bayern, auch im Landkreis, wird sexuelle Belästigung in mindestens 56 Fällen zur Last gelegt.

Angezeigt hatten ihn 2020 zwei ehemalige Mitarbeiterinnen. Sie schildern eine Arbeitsatmosphäre, die sehr an die #Metoo-Debatte erinnert: Ein oft cholerischer, bisweilen charmanter Chef, der absolute Kontrolle über sein Umfeld zu haben glaubt und sich vieles erlaubt. "Frauen waren für ihn reine Lustobjekte", sagt die erste der beiden Zeuginnen aus. "Es ist kein Tag ohne sexistische Sprüche vergangen." Sie zitiert ihn aus dem Gedächtnis: "Ich brauche vier Rollständer - ach ne, drei, einen habe ich ja schon." Auch Derberes, noch Direkteres soll dabei gewesen sein.

Bei den Sprüchen sei es nicht geblieben, so die Zeuginnen. Schon zur Begrüßung habe er die Frauen bisweilen von hinten angegangen und ihnen an die Brüste oder an den Hintern gegriffen. Wenn die Frauen sich wehrten, mal freundlich, mal mit Nachdruck, habe er darüber gelacht. Ähnliches sagt die zweite Zeugin aus, die von 2011 bis 2021 dort arbeitete: "Jedes Mal, wenn er im Laden war, gab es Vorfälle, das wussten alle. Wenn man ihn darauf angesprochen hat, wurde es von ihm lächerlich gemacht."

Eine Zeugin berichtet, wie sie der Angeklagte von hinten bedrängt und berührt habe

Diese zweite Zeugin ist mittlerweile Rentnerin und sagt von sich, dass sie robust sei und sich immer gut habe wehren können. Sie habe auch immer Partei für die Frauen ergriffen, wenn sie etwas mitbekommen habe, was letztendlich zu ihrer Kündigung geführt habe. Die Frau ging vor Gericht, man fand einen Vergleich. Seitdem, sagt sie, wollte sie mit diesem "Sumpf" eigentlich nichts mehr zu tun haben. Als sie jedoch als Zeugin bei der Kripo zum Fall der ersten Zeugin befragt wurde, entschied auch sie sich für eine Anzeige.

Im Ebersberger Gerichtssaal zeigt sie Fotos, auf denen der Angeklagte in mehr oder weniger verfänglichen Posen mit Frauen zu sehen ist. Auch ein Chatprotokoll weist sie vor, aus dem hervorgehen soll, dass Mitarbeiter unter Druck gesetzt wurden, um nicht auszusagen.

Die erste Zeugin hatte eigener Aussage nach weniger Glück. Sie kenne den Angeklagten bereits seit ihrer Kindheit, erklärt sie. Die Übergriffe gegen sie habe er begangen, seit sie 2016 in seine Filiale wechselte. "Sowohl verbal als auch physisch." Ihr schlimmstes Erlebnis datiere vom 13. März 2020 - einem Freitag. Der Angeklagte soll sie in der Küche von hinten gepackt, sich an ihr gerieben, in den Nacken gehaucht und Stoßbewegungen ausgeführt haben. Sie habe die Küche fluchtartig verlassen, worauf der Angeklagte ihr Drohungen hinterhergerufen habe. Die Frau berichtet, sie sei "völlig fertig" gewesen, seelisch wie körperlich. Ein paar Tage später ließ sie sich krankschreiben, bis heute ist sie das und besucht regelmäßig einen Psychiater. Sie berichtet von Depressionen, Schlaf- und Angststörungen.

Die Verteidigung, bestehend aus drei Anwältinnen, verwendet viel Zeit darauf, festzustellen, ob eine Absprache der beiden Strafantragstellerinnen bestand. Hier kann sie auch nach Stunden zermürbender Befragung, die zum Unmut der beiden Zeuginnen und der Staatsanwaltschaft beitragen, kaum konkretes vorweisen. Dann das Gedächtnisprotokoll der dritten Zeugin: Sie gibt an, die erste Zeugin an einem Märztag in der Stadt getroffen haben, was diese bestreitet.

Eine andere Zeugin entlastet den Mann. Sie habe sich in der Filiale "immer wohl" gefühlt

Auch weitere Fragen werden durch ihre Aussage aufgeworfen. Sie hat im Betrieb des Angeklagten als Aushilfe angefangen, ist mittlerweile aber stellvertretende Geschäftsführerin. Sie beginnt ihre Aussage damit, festzustellen, dass sie "schockiert" gewesen sei, als sie von den Vorwürfen das erste Mal erfuhr. Weil sie sich "nicht vorstellen kann, dass er so etwas tun würde." Auch an Vorkommnisse, bei denen sie selbst begrapscht worden sein soll, könne sie sich nicht erinnern: "Das ist definitiv nicht vorgekommen. Sonst würde ich da nicht mehr arbeiten."

Auf Nachfragen der Staatsanwaltschaft gibt sie an, dass sie sich dort "immer wohl" gefühlt habe. Die Aussage der ersten Zeugin zum Treffen in der Stadt zweifelt sie an. Nach Vorlage von Lieferscheinen und eines Videos der Verteidigung meint sie, dass der Angeklagte am fraglichen Tag vermutlich überhaupt nicht in dieser Filiale gewesen war, da es seinen sonst üblichen Lieferabläufen widerspreche. Sie könne sich vorstellen, dass Neid wegen ihres schnellen Aufstiegs dazu beigetragen habe, dass nun ein Strafverfahren angestrebt wird.

Nach Verhandlungstag eins von den drei geplanten bleibt noch viel im Dunkeln. Der nächste Verhandlungstag ist für Donnerstag, 24. Februar, angesetzt.

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