Lieblich zu malen, ist seine Sache nicht. "Ein Galerist hat mir das mal geraten, aber damit fühle ich mich nicht so wohl", sagt Thomas Popp, lange weiße Haare, offenes Lächeln. Nicht, dass er das süße Fach nicht beherrschen würde, in seinem Portfolio finden sich durchaus arkadische Landschaften, sei es mediterraner oder oberbayerischer Natur. Doch Popps Spezialität liegt ganz eindeutig im Malen zwischen den Zeilen. Seien die Motive noch so unverfänglich: Immer webt der Künstler gekonnt eine Doppelbödigkeit ein. Und manchmal reißt er sogar Abgründe auf.
Thomas Popp, Jahrgang 1961, hat an der Kunstakademie in München Malerei studiert und anschließend noch Kommunikationsdesign. Entgegen dem damals vorherrschenden Trend zur Abstraktion, entwickelt er, beeinflusst von seinen Vorbildern Otto Dix und vor allem Max Beckmann, schon bald einen figurenstarken, expressionistischen Stil. Beruflich allerdings verschlägt es den Ebersberger in die Werbung - sodass für die Kunst alsbald nicht mehr viel Zeit bleibt. Zwar zeichnet und malt Popp weiterhin, doch Ausstellungen bestreitet er kaum mehr.
"Aber jetzt hänge ich mich wieder voll rein", sagt der 62-Jährige und strahlt. Denn seit er vor knapp zwei Jahren seinen Job verloren habe - "die Agentur ging pleite" -, stehe die freie Kunst wieder an allererster Stelle. Allein in 2023 hat sich Popp am Kulturpfad Markt Schwaben beteiligt sowie an der Bernrieder Kunstausstellung, von wo aus er von einer Jury für eine Schau im Buchheim-Museum ausgewählt wurde. Und die nächste Station steht bereits an diesem Wochenende, 28./29. Oktober, an: die ebenfalls jurierte ART-MUC-Kunstmesse in München.
Außerdem hat der Ebersberger in dem Grafinger Galeristen Reinhard Riederer einen neuen, rührigen Unterstützer gefunden. "Er will mich pushen", erzählt der Maler, vor dem Schaufenster der Galerie am Grafinger Marktplatz stehend. Fünf Gemälde sind dort noch bis Ende Oktober zu sehen, eine größere Ausstellung in den hinteren Räumlichkeiten Riederers soll bald folgen.
Kein Wunder, dass der Galerist Gefallen gefunden hat am umfangreichen Oeuvre des 62-Jährigen, denn es ist so vielschichtig wie das Leben. Nicht Menschliches oder gar Tierisches ist diesem Maler fremd. Längst hat Thomas Popp zudem eine wiedererkennbare Handschrift gefunden, die sich in all seinen Themen manifestiert. Gerade mit seinen Serien bezieht sich der Künstler zwar auf bekannte Sujets aus der Kunstgeschichte, erarbeitet sich dabei aber stets seine vollkommen eigene Deutung und Stilistik zwischen heiter und düster.
Die formalen Komponenten sind dem erzählerischem Ausdruck untergeordnet. Wenige Farbflächen reißen den Raum auf, auf ein detailliertes Kolorit verzichtet Popp genauso wie auf eine naturalistische Perspektive. Seine Figuren sind nur grob gezeichnet, und doch starke Charaktere, echte Typen. Oft füllen sie das Format voll aus, drohen es manchmal sogar zu sprengen, was den Bildern eine eigentümliche Dynamik verleiht.
Die Motive für seine Themenzyklen entwickelt der Maler anhand unzähliger Skizzen sowie nach literarischen Vorlagen. Da gibt es zum Beispiel "Glückliche Tiere": Porträts der Harmonie zwischen Bauer und Kuh oder Schwein, die teils durchaus befremdlich wirken ob ihrer Intensität. Oder "Badende": Szenen vom Strand oder aus der Sauna, die jedoch nur selten etwas Vergnügliches ausstrahlen. Ganz im Gegenteil. Hitze und Nacktheit scheinen den Menschen zuzusetzen. Niemand lächelt.
Auch "Last Exit to Brooklyn", einem Roman von Hubert Selby Jr. aus dem Jahr 1964, hat Popp viele Bilder gewidmet. Das Buch wirft einen kompromisslosen Blick auf die Unterschicht in den 1950er Jahren, es geht um Tabus wie Drogen, Prostitution, Homophobie und Gewalt. Da sind sie, die Abgründe in Popps Malerei.
Im Schaufenster der Grafinger Galerie hat Popp indes drei Beispiele aus seinem Zyklus "Kneipenleben" platziert. Großformatige Werke sind das, entwickelt aus Skizzen, die der Maler vor Ort, also direkt in Kneipen oder Cafés, in sein Büchlein wirft. Oft aquarelliere er die Bleistiftzeichnungen auch noch, bevor er das Motiv dann groß in Acryl umsetze.
"Ich beobachte die Menschen und komponiere dann aus dem Gesehenen meine Bilder", erklärt er. Doch was sich in den Lokalen abspiele, sei ja seit Jahrzehnten das Gleiche, es gehe da um archetypisches Verhalten: "Die Saufbeutel, die Kumpanei, kichernde Frauen und ihnen hinterherschauende Männer." Vor allem in den wilden 80ern habe er selbst das alles zu Genüge erlebt.
Thomas Popp ist ein Meister der überspitzten, skurrilen Momente. Seine Szenen sind alltäglich und doch tiefgründig, irgendwie verstörend und doch voller Humor und Zärtlichkeit für diese unsere Spezies. Schließlich geht es bei diesem Künstler immer um die menschlichen Sehnsüchte. Um das Elend der Einsamkeit und der Wollust. Um den Wunsch nach Anerkennung. Nach Zuwendung. Nach Zerstreuung oder gar nach dem Vergessen, weil alles andere schon so oft gescheitert ist. Was auf den ersten Blick als augenzwinkernder Schnappschuss erscheint, entpuppt sich als ein stilles Drama um die Abgründe der Seele.