Pilze im Ebersberger Forst:"Ich vermeide, dass ich Spuren hinterlasse"

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König unter den Schwammerln und in (fast) jeder Schwammerlsuppe: der Steinpilz. (Foto: Christian Endt)

Seine geheimen Fundorte preiszugeben gilt unter Pilzesammlern als Hochverrat. Der Waldarbeiter Rudi Maierbacher spricht deswegen lieber über die Geheimnisse der Reinigung und Zubereitung. Eine kulinarische Recherche im Wald.

Von Korbinian Eisenberger (Texte) und Christian Endt (Fotos)

Es ist die Zeit der Schwammerl, und dieser Tage kann man Rudi Maierbacher um seinen Beruf nur beneiden. Er ist beim Forstbetrieb als Wegepfleger angestellt und soll zudem Ausschau nach Bäumen halten, die vom Borkenkäfer befallen sind. Eine Tätigkeit, bei der man nicht nur einen Blick für Schädlinge bekommt. Maierbacher kniet mit Sonnenhut auf dem Waldboden und dreht einen Schwammerl aus dem Geflecht. "Beim Käfersuchen muss man ja auch auf den Boden schauen", sagt er. "Aus Sicherheitsgründen". Wegen der Trittsicherheit also - und wegen der kulinarischen Schätze, die im Ebersberger Forst aus dem Boden wachsen.

Der Hexenröhrling: Stößt den Steinpilz vom Suppenthron

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(Foto: Christian Endt)

Lieblingsschwammerl von Pilzguru Rudi Maierbacher. In seiner Schwammerlsuppe stößt der Hexenröhrling König Steinpilz vom Thron. Die Verwechslung des Röhrlings mit dem in jederlei Hinsicht giftigen Satanspilz lässt sich mit einem Geruchstest vermeiden: Der klebrige Satanspilz riecht wie Aas, den Hexenröhrling kennzeichnet ein intensives aber bekömmliches Aroma. Roh ist der Hexenpilz giftig, in gegartem Zustand verwandelt er sich aber in einen äußerst schmackhaften Speisepilz. Größere Scheiben lassen ihm in der Suppe seinen Biss. Ein würdiger Thronfolger.

Der Steinpilz: Royales Mahl mit Rehmedaillons

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(Foto: Christian Endt)

König unter den Schwammerln und in (fast) jeder Schwammerlsuppe. Forstchef und Pilznarr Heinz Utschig empfiehlt den Steinpilz in einer nicht ganz so prominenten Variante: als flankierendes Element von Rehmedaillons in Rahmsoße. Den Steinpilz dick schneiden und mit einem Hauch von Öl kurz in der Pfanne anbraten. Die Scheiben sollten nicht zu dünn sein sonst trocknet der Pilz aus. Warten, bis die Flüssigkeit austritt und dann mit Sahne ablöschen. Mehlzugabe unbedingt vermeiden, sonst verliert der Steinpilz seinen Biss. Ein royales Mahl für Feinschmecker.

Der Täubling: Ein unterschätzter Begleiter

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dem Täubling wird nachgesagt, dass er sich gut zum Saufüttern eignet, was kein Kompliment ist und zeigt, wie unterschätzt dieser Schwammerl ist. Ob mit roter oder blauer Kappe ist das "Deiberl" ein solider Begleiter für Steinpilz, Reherl oder Reizger in einer Bratensoße oder Schwammerlsuppe. Der Täubling ist so etwas wie das Schwarzbrot der Pilzfamilie: In der richtigen Kombi nicht nur nahr-, sondern auch schmackhaft. Und: selbst in schlechten Schwammerljahren (wozu 2019 sicher nicht zählt) ist das Deiberl eine treue Seele. Ein wahrer Treubling.

Der Habichtspilz: Ausgezeichnete Rarität zum Würzen

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(Foto: Christian Endt)

Der Habichtspilz trägt seinen Namen zurecht, weil seine struppige Kappe dem Raubvogel zum Verwechseln ähnelt. Um den Pilz zu finden, braucht es allerdings Adleraugen. Prominenz weit über die Schwammerlplätze des Ebersberger Forsts hinaus erlangte dieser Speisepilz 1996, als ihn die Deutsche Gesellschaft für Mykologie zum Pilz des Jahres erkor. Ein angenehm würziger Schwammerl, der rar geworden ist und deshalb geschont werden sollte. Die Empfehlung des Experten: Nur einen Schwammerl mitnehmen, ihn trocknen und grammweise als Würzpilz verwenden.

Baumschwamm: Nahrhaft fern des Speisetellers

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(Foto: Christian Endt)

Eine aus kulinarischer Sicht zurecht unbeliebte Schwammerlart, die auf einem Teller nichts verloren hat, sondern auf einem Baum. Auf abgebrochenen Holzstücken im Ebersberger Forst fühlt sich der Baumschwammerl wohl. Seine Aufgabe: totes Holz zersetzen und Nährboden schaffen - für frische Bäume und neue hoffentlich schmackhafte Speisepilze. In Bayern "Baamschwammerl" genannt wird er treffenderweise auch als Baumschwamm bezeichnet: Wenn ein Ast abbricht und auf dem Waldboden liegen bleibt, hat er seinen Einsatz. Dann heißt es: Baumschwamm drüber.

Der Birkenpilz: Kleiner Bruder mit großem Herz

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(Foto: Christian Endt)

Ein schlanker Verwandter des Steinpilzes. Wie ein Bub, der dem großen Bruder stets das Pausenbrot abtreten musste. Optisch wie geschmacklich kommt der Birkenpilz mit weniger Wucht als der Steinpilz daher. Mit seiner milden leicht säuerlichen Note eignet er sich als Anreicherung für Ragout vom Wildschweinherz in Rotweinsoße. Die Birkenpilze in Scheiben oder Stücke schneiden und erst ganz am Schluss zugeben. Angereicht mit frischem Blattsalat und Bucheckern ergibt sich ein beherztes Mahl, bei dem man den Ebersberger Forst in jedem Bissen raus schmeckt.

Das Reherl: Wird in Pastasoße zum Italiener

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(Foto: Christian Endt)

Sehr beliebt bei Wildsäuen, man sollte den Reherlplatz deswegen vor einer Sau finden. Bei mäßigem Sucherfolg eigenen sich Reherl auch schon in geringer Menge in einer Pastasoße aus Eigelb, Sahne und Reibekäse - gewürzt mit Muskat, Pfeffer und Salz. Die Reherl werden bei starker Hitze in Öl angebraten, am Ende kommen Schalotten in die Pfanne - anschließend würzen. Für die üppigere Variante Speckwürfel anbraten - die nehmen dem Reherl aber die geschmackliche Oberhand. Mit dem Käserest und Petersilie bestreut ist der Italiener unter den Pilzgerichten fertig.

Der Mohrenkopf: Ausgesprochen gut mit Rührei

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(Foto: Christian Endt)

Darf man Mohrenkopf-Milchling noch sagen? Schaumkopf-Milchling oder Dickmann-Milchling sind jedenfalls keine Optionen, weil dieser Schwammerl weder schäumt noch einen Ranzen hat. Rank und schlank wie er ist, zählt er zu den milden Brätlingen im Ebersberger Forst. Empfehlenswert in Kombination mit Rührei. Den Milchling separat in der Pfanne in Butter anbraten - ohne Salz, weil das den Pilz austrocknet. Den Schwammerl erst nach dem Anbraten mit Gewürzen garnieren. Eine kleine aber feine Köstlichkeit, bei der jeglicher Schaum vorm Mund verschwindet.

Der Bovist: Eine Kokosnuss namens "Fuchsfurz"

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(Foto: Christian Endt)

Erinnert an eine Kokosnuss in Miniaturformat, nur dass der Erdstern-Bovist weder an einer Palme hängt noch essbar ist. Die sternförmige Schale gibt den Kern des Schwammerls frei: Ein winziger Staubsaugerbeutel, der bei Berührung braune Wölkchen absondert. Wer dem Wald und seiner Vielfalt etwas gutes tun will, sollte den sehr seltenen Erdstern-Bovist stehen lassen. Keinesfalls sollte er jedenfalls in einer Schwammerlsuppe landen. Allein schon, weil der Name Bovist aus der frühneuhochdeutschen Vokabel fohenfist abgeleitet ist, was nichts anderes heißt als Fuchsfurz.

Der Bitterling: Zerstörer mit Tarnkappe

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(Foto: Christian Endt)

Eine Speisewarnung: Der Bitterling weist Ähnlichkeiten mit dem Steinpilz auf und eignet sich daher ideal dafür, ein Schwammerlgericht zu vernichten. Dieser Schwammerl ähnelt dem Steinpilz nämlich lediglich optisch. Der Bitterling ist zwar weder roh noch gekocht giftig. Wer aber nur einen Bissen riskiert, nimmt in Kauf, dass der beißende Geschmack auf der Zunge mindestens eine Stunde anhält. Ein Bovist ist ein Furz dagegen - ihm sieht man die Geruchsbelästigung von weitem an. Der Bitterling hingegen ist mit einer hinterhältigen Tarnkappe ausgestattet.

Der Sechzger: Wer ist der Unbekannte in Blau?

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(Foto: Christian Endt)

Beim Schwammerlsuchen ist es wie beim Fußballschauen: Mit Pilzen kennt sich auch jeder irgendwie aus. Doch der Sachverstand hat Grenzen, so auch bei Rudi Maierbacher aus Bergfeld, der seit 45 Jahren in die Schwammerl geht. Vor ihm auf dem Waldboden steht ein blauer Pilz, standhaft wie ein Sechzgerfan, der trotzdem noch ins Stadion geht. Vielleicht ein violetter Lacktrichterling? Oder ein Haarschleierling? Hier will der sechzig Jahre alte Experte keine Kochempfehlung aussprechen. Ist es doch mit Schwammerln wie mit Fußballfans: Manche von ihnen sind ungenießbar.

Maierbacher kommt aus Bergfeld bei Grafing und ist der Dienstälteste im Ebersberger Forst. Seit 45 Jahren arbeitet er im Holz, ein Mann wie mit dem Wald verwachsen. An diesem Spätsommervormittag ist der 60-Jährige vom Dienst befreit, doch auch dann geht er am liebsten in den Forst und schaut auf den Boden. Und zwar eher nicht aus Gründen der Trittsicherheit. Gerade hat er zwischen dem Laub etwas blitzen sehen. Ein Eierschwammerl, Pfifferling - oder wie er sagt: Reherl. Ein Pilz alleine macht zwar noch kein Gericht. Aber nicht selten verrät einer die Gruppe. Maierbacher kniet nieder, wischt das Laub zur Seite und legt ein Reherlfeld frei. So wird eine Speise draus.

Im Spätsommer füllt sich der Ebersberger Forst wie durch wundersame Weise mit Menschen, die abseits der Wege zwischen Borke und Baum durch den Wald streifen. In aller Herrgottsfrüh schleichen sie an geheime "Plätze" - und Maierbacher schleicht mit, möglichst unerkannt, wie ein Kleinganove auf Beutezug. "Ich vermeide, dass ich Spuren hinterlasse", sagt er, legt das letzte Reherl ins Körberl und formt das Laub zurecht, als wäre es ein fremdes Bett, in dem er heimlich gelegen hat. Es muss sein, weil alles andere Hinweise auf den Fundort preisgeben würde, was unter Schwammerlsuchern als Hochverrat gilt, wie Forstamtsleiter Heinz Utschig erklärt, ebenfalls ein passionierter Schwammerlkoch und -sucher. Im Ebersberger Forst schätzt Utschig Böden mit Buchenlaub. Maierbacher bevorzugt Moosstellen. Und wo genau suchen sie? Bei dieser Frage grinsen beide nur. Wer Schwammerlsuchen ernsthaft betreibt, schützt seine Plätze wie Schätze.

Rund um den Schwammerl ranken sich allerlei Mythen und Wahrheiten, bei der Suche angefangen über die Trennung vom Waldboden bis hin zur Säuberung, Zubereitung und Vertilgung. Die einen drehen den Stiel aus dem Boden, andere zücken das Messer und schneiden ihn über dem Boden ab, was gerüchteweise als waldschonender gilt. Maierbachers Theorie geht anders: Dass beim Rausdrehen winzige Schwammerlwurzeln aus dem Boden entfernt werden, ist zu vernachlässigen, weil sich das für Baum wie Pilz wichtige Myzelgeflecht auch so über 9000 Hektar Forstboden erstreckt. "Und dem Schwammerl selbst ist es wurscht, ob man ihn dreht oder schneidet."

Rudi Maierbacher (links) geht im Forst seit 1974 in die Schwammerl. Forstchef Heinz Utschig ist ebenfalls ein Pilznarr. (Foto: Christian Endt)

Je mehr sich seine Schwammerl der Küche nähern, desto bestimmter wird Maierbacher in der Vorgehensweise. Herkömmliche Reinigungsarten scheut er. Mit dem Messer entstehen Beschädigungen, sagt er, "und mit dem Pinsel ist es eine Fieselarbeit". Bei der Reinigung seiner Fundstücke hat der 60-Jährige deswegen seine ganz eigene Methode entwickelt: Ein Kompressor pustet die Lamellen durch und trennt Erde und Pilz verletzungsfrei voneinander. Andere Sucher behelfen sich mit Pilzbürsten - Maierbachers Element ist Druckluft.

Zurück an die Waldluft. Bovist, Habichtpilz und Bitterling bleiben stehen. Reherl, Steinpilze Täuberl und Mohrenkopf-Milchlinge wandern ins Körberl. Maierbachers Favorit: ein riesiger Hexenröhrling - im Rohzustand giftig, gekocht aber durchaus köstlich. "So einer darf in einer Schwammerlsuppe auf keinen Fall fehlen", sagt Maierbacher. Dem Schwammerlsucher bleiben jetzt drei Optionen: Trocknen, einfrieren oder umgehend kochen oder braten. Rezepte und Verarbeitungsvorschläge gebe er liebend gerne preis, sagt er. Wo man die Zutaten findet, behält der Käfer- und Schwammerlsucher Rudi Maierbacher aber liebend gerne für sich.

© SZ vom 14.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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