Süddeutsche Zeitung

Pilze im Ebersberger Forst:"Ich vermeide, dass ich Spuren hinterlasse"

Seine geheimen Fundorte preiszugeben gilt unter Pilzesammlern als Hochverrat. Der Waldarbeiter Rudi Maierbacher spricht deswegen lieber über die Geheimnisse der Reinigung und Zubereitung. Eine kulinarische Recherche im Wald.

Von Korbinian Eisenberger (Texte) und Christian Endt (Fotos)

Es ist die Zeit der Schwammerl, und dieser Tage kann man Rudi Maierbacher um seinen Beruf nur beneiden. Er ist beim Forstbetrieb als Wegepfleger angestellt und soll zudem Ausschau nach Bäumen halten, die vom Borkenkäfer befallen sind. Eine Tätigkeit, bei der man nicht nur einen Blick für Schädlinge bekommt. Maierbacher kniet mit Sonnenhut auf dem Waldboden und dreht einen Schwammerl aus dem Geflecht. "Beim Käfersuchen muss man ja auch auf den Boden schauen", sagt er. "Aus Sicherheitsgründen". Wegen der Trittsicherheit also - und wegen der kulinarischen Schätze, die im Ebersberger Forst aus dem Boden wachsen.

Maierbacher kommt aus Bergfeld bei Grafing und ist der Dienstälteste im Ebersberger Forst. Seit 45 Jahren arbeitet er im Holz, ein Mann wie mit dem Wald verwachsen. An diesem Spätsommervormittag ist der 60-Jährige vom Dienst befreit, doch auch dann geht er am liebsten in den Forst und schaut auf den Boden. Und zwar eher nicht aus Gründen der Trittsicherheit. Gerade hat er zwischen dem Laub etwas blitzen sehen. Ein Eierschwammerl, Pfifferling - oder wie er sagt: Reherl. Ein Pilz alleine macht zwar noch kein Gericht. Aber nicht selten verrät einer die Gruppe. Maierbacher kniet nieder, wischt das Laub zur Seite und legt ein Reherlfeld frei. So wird eine Speise draus.

Im Spätsommer füllt sich der Ebersberger Forst wie durch wundersame Weise mit Menschen, die abseits der Wege zwischen Borke und Baum durch den Wald streifen. In aller Herrgottsfrüh schleichen sie an geheime "Plätze" - und Maierbacher schleicht mit, möglichst unerkannt, wie ein Kleinganove auf Beutezug. "Ich vermeide, dass ich Spuren hinterlasse", sagt er, legt das letzte Reherl ins Körberl und formt das Laub zurecht, als wäre es ein fremdes Bett, in dem er heimlich gelegen hat. Es muss sein, weil alles andere Hinweise auf den Fundort preisgeben würde, was unter Schwammerlsuchern als Hochverrat gilt, wie Forstamtsleiter Heinz Utschig erklärt, ebenfalls ein passionierter Schwammerlkoch und -sucher. Im Ebersberger Forst schätzt Utschig Böden mit Buchenlaub. Maierbacher bevorzugt Moosstellen. Und wo genau suchen sie? Bei dieser Frage grinsen beide nur. Wer Schwammerlsuchen ernsthaft betreibt, schützt seine Plätze wie Schätze.

Rund um den Schwammerl ranken sich allerlei Mythen und Wahrheiten, bei der Suche angefangen über die Trennung vom Waldboden bis hin zur Säuberung, Zubereitung und Vertilgung. Die einen drehen den Stiel aus dem Boden, andere zücken das Messer und schneiden ihn über dem Boden ab, was gerüchteweise als waldschonender gilt. Maierbachers Theorie geht anders: Dass beim Rausdrehen winzige Schwammerlwurzeln aus dem Boden entfernt werden, ist zu vernachlässigen, weil sich das für Baum wie Pilz wichtige Myzelgeflecht auch so über 9000 Hektar Forstboden erstreckt. "Und dem Schwammerl selbst ist es wurscht, ob man ihn dreht oder schneidet."

Je mehr sich seine Schwammerl der Küche nähern, desto bestimmter wird Maierbacher in der Vorgehensweise. Herkömmliche Reinigungsarten scheut er. Mit dem Messer entstehen Beschädigungen, sagt er, "und mit dem Pinsel ist es eine Fieselarbeit". Bei der Reinigung seiner Fundstücke hat der 60-Jährige deswegen seine ganz eigene Methode entwickelt: Ein Kompressor pustet die Lamellen durch und trennt Erde und Pilz verletzungsfrei voneinander. Andere Sucher behelfen sich mit Pilzbürsten - Maierbachers Element ist Druckluft.

Zurück an die Waldluft. Bovist, Habichtpilz und Bitterling bleiben stehen. Reherl, Steinpilze Täuberl und Mohrenkopf-Milchlinge wandern ins Körberl. Maierbachers Favorit: ein riesiger Hexenröhrling - im Rohzustand giftig, gekocht aber durchaus köstlich. "So einer darf in einer Schwammerlsuppe auf keinen Fall fehlen", sagt Maierbacher. Dem Schwammerlsucher bleiben jetzt drei Optionen: Trocknen, einfrieren oder umgehend kochen oder braten. Rezepte und Verarbeitungsvorschläge gebe er liebend gerne preis, sagt er. Wo man die Zutaten findet, behält der Käfer- und Schwammerlsucher Rudi Maierbacher aber liebend gerne für sich.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2019
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