Einbürgerung:Zwei Briten nach dem Brexit

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Billy Lord und Robert Harrison leben seit Jahrzehnten im Landkreis Ebersberg. Der Austritt ihres Herkunftslands aus der Europäischen Union hat für sie einiges verändert. Warum beide nun einen deutschen Pass besitzen

Von David Beer, Anzing/Zorneding

Was tun, wenn man Gefahr läuft, das Wahlrecht zu verlieren, die Bewegungsfreiheit, oder einem das Recht auf Arbeit eingeschränkt oder abgesprochen wird? Natürlich würde man versuchen, einen Ausweg zu finden. Zu diesem Schluss sind die Briten Billy Lord und Robert Harrison gelangt. Die beiden wohnen seit Jahren im Landkreis Ebersberg. Lord in Anzing, Harrison in Zorneding. Nach dem Brexit haben sich beide einbürgern lassen. Sie sind nun offiziell Deutsche geworden und gehören damit zu 140 Briten, die sich seit 2015 im Landkreis Ebersberg einbürgern ließen.

Insgesamt gab es seither 742 Einbürgerungen - Briten machen davon fast 20 Prozent aus. Vergangenes Jahr waren gar zwei von fünf Neueingebürgerten im Landkreis Briten. Das entspricht einem deutschlandweiten Trend, der am 24. Juni 2016 seinen Anfang nahm. Es war der Tag, als das Ergebnis der Brexit-Wahl verkündet wurde. Vor der Abstimmung hat der 71 Jahre alte Billy Lord, der seit 25 Jahren mit Behinderten im Steinhöringer Theaterklub arbeitet, nie daran gedacht, den deutschen Pass zu beantragen, sagt er. Als er aber das Abstimmungsergebnis zum Brexit sah, hatte er zwei Gedanken. "Das gibt es nicht!" Und: "Ich muss sofort Deutscher werden."

So begann der Einbürgerungsprozess, und der verlief rasant. Es hilft eben, wenn man schon durch jahrzehntelange ehrenamtliche Arbeit im Rathaus bekannt ist. Lord ist im Vergleich zu anderen Eingebürgerten außen vor - er hatte eigentlich schon fast sein ganzes Leben in Deutschland verbracht. Die geforderten Tests waren für ihn Formalitäten. Zudem musste er seine Geburtsurkunde aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen lassen und bestätigen, dass er kein Mitglied einer radikalen Partei ist. Ein paar Wochen nach der Abstimmung wurde er dann Deutscher.

Billy Lord wurde vor 71 Jahren in einem britischen Militärkrankenhaus in Wuppertal geboren. Sein Vater war britischer Soldat in der Rheinarmee, also war Lord von Geburt an Brite. Er verbrachte als kleines Kind Jahre bei seinen Großeltern in England, wo die Nachbarskinder ihn prügelten, weil er dort "der Deutsche" war. Mit sieben Jahren kehrte er nach Deutschland zurück und wurde im Rheinland großgezogen, wo er nun "der Tommy" war. "Bei den Kindern war es brutal", erinnert er sich. Seine Erziehung zu Hause sei von beiden Ländern beeinflusst worden. Obwohl seine Mutter von den Menschen als Britin gesehen wurde, war sie in der Tat Deutsche. Ihrem Mann zuliebe war sie Britin geworden. Zu der Zeit war doppelte Staatsangehörigkeit kein Thema, sie blieben Briten.

Lord habe dann schon als Junge überlegt, was er machen musste, um anerkannt zu werden und in Deutschland mittendrin zu sein. Für den Jungen, der später Leistungssportler in der Leichtathletik wurde, war Sport da offenbar eine Möglichkeit. "Ist man im Sport gut, dann kann man an nationalen Wettkämpfen teilnehmen", dachte er.

Hinzu kam sein Faible für Staatsbürgerkunde. Es wurde Lords kleines Hobby, herauszufinden, wie Deutschland tickt, und zu wissen, was von unterster Ebene bis zur oberen Politik im Land passiert. Damit er mitreden konnte. Mit der Zeit habe Lord das Gefühl bekommen, er sei ein Teil vom Land geworden. "Ich bin im Kopf eigentlich eher Deutscher als Brite. Und, ich bin Europäer."

Robert Harrison hört sich die Sorgen und Nöte seiner Landsmänner an. (Foto: privat)

Vor dem Maastrichter Vertrag durfte er aber in Deutschland nicht wählen - nicht einmal bei der Europawahl, weil er dort keinen Wohnsitz hatte. Mit 40 konnte er also zum ersten Mal in seinem Leben wählen. "Super. Jetzt bin ich ein Teil von euch, ich darf mitbestimmen." Einen deutschen Pass brauchte er dafür nicht. Er war Europäer, und durfte wählen. Als der Brexit drohte, ihm dieses Wahlrecht abzusprechen, entschloss er sich für den nächsten Schritt.

Robert Harrison, britischer Patentanwalt in Zorneding und FDP-Mitglied, durfte bei der Brexit-Wahl nicht abstimmen, weil er seit fast 30 Jahren in Deutschland wohnt. Der 59-Jährige wollte vermeiden, dass er wegen des Brexits Probleme bei seiner Arbeit bekommt. Deswegen ließ auch er sich einbürgern. Der Knackpunkt: Es war ihm unklar, ob er nach einem eventuellen Brexit in anderen europäischen Ländern noch arbeiten könnte. Als Patentanwalt mit Mandanten in Frankreich und Österreich wäre das zum Problem geworden. Als das Ergebnis feststand, hatte er den Einbürgerungstest schon bewältigt, kurz danach auch den Sprachtest. Dennoch war es erst Juni 2018, als er seine Einbürgerungsurkunde vom Landratsamt Ebersberg abholte. "Das war eine massive Entlastung."

Seine neue Staatsangehörigkeit hat er nicht auf die leichte Schulter genommen. Er sehe es so, dass Deutschland ihm dadurch die Hand reichte. "Also sehe ich mich in der Pflicht, Verhältnisse zwischen Großbritannien und Deutschland zu verbessern." Einige Wochen, nachdem er Deutscher geworden war, hielt er zu diesem Thema eine Rede vor den neu Eingebürgerten im Landkreis Ebersberg. Er sagte, doppelte Staatsangehörigkeit sei nicht nur eine Ehre. Man solle wie eine Brücke zwischen dem Geburtsland und dem neuen Land dienen.

Das habe er selbst versucht, indem er sich für die Rechte und Sorgen von Briten in Bayern eingesetzt habe. 2016 hat er zum Beispiel "British in Bavaria" mitbegründet, eine Beratergruppe für Briten in Bayern. Das bot ihm die Gelegenheit, Gespräche zu Themen wie Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen mit dem ehemaligen britischen Generalkonsul in München, Paul Heardman, zu führen.

© SZ vom 30.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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