Amtsgericht Ebersberg:66 Jahre alte Frau muss wegen 3,30 Euro ins Gefängnis

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Mit dem Deutschlandticket wird sich der Tarifdschungel deutlich lichten. (Foto: Johannes Simon)

Wegen Schwarzfahrens in der S-Bahn wird eine Rentnerin vom Amtsgericht Ebersberg zu einer Haftstrafe verurteilt.

Aus dem Gericht von Wieland Bögel, Ebersberg

Manchmal hat eine sehr kleine Ursache eine große Wirkung, wie nun im Fall einer 66-Jährigen, der am Amtsgericht Ebersberg verhandelt wurde. Das Vergehen, welches der Rentnerin vorgeworfen wurde, war denkbar unbedeutend: Sie war im vorvergangenen Sommer beim Schwarzfahren in der S-Bahn erwischt worden. Laut Anklageschrift ist der Bahn dadurch ein Fahrpreis von 3,30 Euro entgangen. Für diesen doch recht geringen Schaden muss die 66-Jährige nun aber sehr harte Folgen tragen: Amtsrichterin Vera Hörauf verurteilte sie zu zwei Monaten Haft und das ohne Bewährung.

Die Angeklagte hatte ausgesagt, sie sei auf dem Rückweg von einem Arzttermin und etwas durcheinander gewesen. Darum habe sie einfach nur vergessen, eine Fahrkarte zu kaufen. Bei der Hinfahrt hätte sie aber eine gehabt, versicherte die 66-Jährige. Auch das "erhöhte Beförderungsentgelt", also die 60 Euro, welche die Bahn von Schwarzfahrern kassiert, habe sie beglichen.

Die Angeklagte ist elfmal vorbestraft

Dass ihr das am Ende wenig genützt hat, lag vor allem daran, dass die Rentnerin bei Gericht keine Unbekannte ist. In den vergangenen 20 Jahren hat sie elf Vorstrafen angesammelt, bis auf einen Fall von Meineid haben alle mit Eigentumsdelikten zu tun, etwa Untreue und Diebstahl. Wegen letzterem sind für die Angeklagte auch noch zwei Bewährungen offen. Besonders oft hat sich die 66-Jährige aber beim "Erschleichen von Leistungen", wie Schwarzfahren in der Sprache der Juristen heißt, erwischen lassen. Insgesamt viermal ist sie deswegen verurteilt, jedes Mal für eine ganze Reihe von einzelnen Schwarzfahrten.

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Von Wieland Bögel

Die nun angeklagte Fahrt ohne Fahrschein ereignete sich ausgerechnet wenige Tage nach der letzten Verurteilung wegen Diebstahls, damals hatte das Gericht noch eine Geldstrafe verhängt, trotz der offenen Bewährungen. Die im übrigen offenbar auch nicht besonders gut laufen, laut der Vorsitzenden habe der Bewährungshelfer seit fast zwei Monaten keinen Kontakt mehr mit der Angeklagten herstellen können - sie geht offenbar nicht ans Telefon, wenn er anruft.

Was einen durchaus ernsten Hintergrund hat, die Angeklagte leidet nachgewiesenermaßen unter psychischen Problemen. Von Depressionen war in der Verhandlung die Rede, auch Angststörungen treten offenbar auf. Wegen dieser habe sie in der Tat kaum noch Kontakt zu irgendwem, so die Angeklagte. Sie verlasse ihre Wohnung so selten und so kurz wie möglich, etwa zum Einkaufen. Sie habe auch schon den Notarzt rufen müssen, wenn die Panikattacken zu schlimm geworden seien, sagte sie aus.

Die 66-Jährige will sich in Therapie begeben

Die Richterin fragte darum nach, wie es denn mit einer Therapie aussehe. Eine solche beginnen zu wollen, hatte die Rentnerin bei den vergangenen Verhandlungen erklärt. Sie stehe kurz davor, in eine Tagesklinik aufgenommen zu werden, sagte die 66-Jährige aus. Dass sie sich nicht schon früher in eine solche Einrichtung begeben hatte, erklärte sie damit, dass sie zuvor noch einige Arztbesuche zu absolvieren gehabt hätte und wegen Corona habe sich ohnehin alles verzögert. Aber nun sei alles abgearbeitet und sie sei richtig froh, wenn sie nun endlich in die Klinik könne, so die Angeklagte. Eine Aussage, welche sie von dieser schon öfter gehört habe, meinte die Vorsitzende.

Die Vertreterin der Anklage bescheinigte der Angeklagten eine "hohe Rückfallgeschwindigkeit" und, dass diese sich von den bislang verhängten Strafen offenbar nicht habe abschrecken lassen. Daher beantragte sie eine Haftstrafe von drei Monaten ohne Bewährung. "Das ist schon ganz schön heftig", sagte dagegen Pflichtverteidiger Florian Alte in seinem Plädoyer. Immerhin gehe es lediglich um einen Schaden von 3,30 Euro. Trotz der vielen Vorstrafen sei daher Strafe von einem Monat angemessen, die man ausnahmsweise noch einmal zur Bewährung aussetzen könne, wenn man der Angeklagten gleichzeitig zur Auflage macht, so schnell wie möglich in Therapie zu gehen. Die Vorsitzende folgte aber größtenteils dem Antrag der Staatsanwältin, auch wenn die Strafe einen Monat kürzer ausfiel. "Wir hören lauter Ausreden, warum die Therapie nicht geklappt hat, genau wie bei den letzten Malen - da fällt mir nichts mehr ein."

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