Prozess:Kurioser Brauch führt zu Anklage wegen Kinderpornografie

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Symbolfoto. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein Ritual seiner Heimat bringt einen Bulgaren als Angeklagten vor das Ebersberger Amtsgericht.

Aus dem Gericht von Wieland Bögel, Ebersberg

Woanders ist es anders, weiß eine Redewendung und manchmal können kulturelle Unterschiede - beziehungsweise die Unkenntnis davon - schwere Folgen haben. Wie nun im Fall eines 32-jährigen Landkreisbewohners, der wegen Herstellens und Verbreitens von Kinderpornografie angeklagt war. Wie sich herausstellte, war aber nicht Perversion der Antrieb des Angeklagten, sondern ein kurioser Brauch seiner Heimat in Verbindung mit den Tücken moderner Technik.

Laut Staatsanwaltschaft machte der 32-jährige Fensterputzer im April vorvergangenen Jahres ein kurzes Video vom unbekleideten Schritt seines damals dreijährigen Sohnes. Dieses verschickte er dann nicht nur auf einem Messenger-Dienst an mindestens einen Bekannten, sondern stellte es auch einer weit größeren Öffentlichkeit zur Verfügung. Sowohl auf Facebook wie auf Tiktok war das wenige Sekunden lange Video vom Angeklagten eingestellt worden - und zwar so, dass theoretisch sämtliche Nutzer der Plattformen es hätten sehen und herunterladen können.

Diesen Sachverhalt bestätigte ein als Zeuge geladener Gutachter. Er habe drei beim Angeklagten beschlagnahmte Mobilgeräte ausgewertet und sei auf das fragliche Video gestoßen. Wie viele Leute das Video tatsächlich im Netz gesehen haben, wollte Richterin Vera Hörauf wissen und ob der Film inzwischen aus dem Web verschwunden sei. Ersteres lasse sich nicht feststellen, so der Sachverständige, zu zweiterem gehe er davon aus, dass die Betreiber das Video nach der Meldung inzwischen gelöscht hätten, dies entspreche der üblichen Vorgehensweise der Plattformen.

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Der Angeklagte selbst räumte über seine Verteidigerin die Vorwürfe ein, allerdings habe der 32-Jährige nicht gewusst, dass er sich strafbar mache. Er habe zunächst gar nicht verstanden, was die Polizei von ihm wollte. Dies sagte auch ein Kripo-Beamter, der bei der Durchsuchung beim Angeklagten dabei war. Dieser habe "eher unwissend" gewirkt - sofern man das durch die Sprachbarriere sagen könne. Seine Unwissenheit beteuerte der Angeklagte in der Verhandlung auch mehrmals, entschuldigte sich ausführlich und brach zuletzt sogar in Tränen aus.

Pornografie? Der Angeklagte hatte mit dem Video etwas anderes im Sinn

Seine Verteidigerin erklärte die Genese des Videos mit einem Brauch aus der Heimat des Angeklagten. Demnach sei es unter der türkischen Minderheit in Bulgarien üblich, dass Väter anlässlich des Beschneidungsfestes ihrer kleinen Söhne deren Geschlechtsteil etwa den Verwandten zeigen. Wie der Angeklagte aussagte, sei dieser Brauch mit der Digitalisierung ins Netz gewandert. In seiner Heimat sei es demnach üblich, dass Väter Videos, wie das in der Anklageschrift, mit ihren Freunden und Bekannten teilen. Wie die Verteidigerin erklärte, habe das nichts mit Pornografie zu tun, und auch das nach der Anklageerhebung zugezogene Jugendamt sei der Auffassung, dass in der Familie des Angeklagten keine Kindeswohlgefährdung vorliege.

Warum er das Video so ins Internet gestellt habe, dass es nicht nur Freunde und Verwandtschaft sondern theoretisch alle sehen konnten, wollte der Staatsanwalt wissen. Er habe das Video hochgeladen, damit es nicht verloren gehe, so der Angeklagte, dass das dann alle Nutzer hätten sehen können, habe er nicht gewusst.

Die Verteidigerin beantragte Freispruch für ihren Mandanten, "Pornografie ist ein unbestimmter Begriff und abhängig von Wertesystemen". In dem des Angeklagten sei das angeklagte Video eben nicht pornografisch und es liege kein entsprechender Vorsatz vor. Die Staatsanwaltschaft berief sich dagegen auf den altbekannten Grundsatz, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt und forderte eine Bewährungsstrafe von acht Monaten. Darin enthalten ist auch die letzte Verurteilung des Angeklagten wegen notorischen Schwarzfahrens.

Die Vorsitzende folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft, außerdem muss der Angeklagte 1000 Euro an das Haunersche Kinderspital spenden. Zwar sei der kulturelle Hintergrund des Angeklagten zu seinen Gunsten zu werten, aber nach hiesiger Rechtslage sei das Video eben eindeutig kinderpornografischer Natur. "Und wenn man so etwas ins Internet entlässt, was werden Leute mit entsprechender Neigung damit machen?" Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft nahmen das Urteil an.

© SZ vom 21.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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