Grusical-Klassiker am Deutschen Theater München:Biss zum Fleischersatz

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Blutrausch: "Draculas Bräute" machen sich über ein Opfer her. (Foto: Jochen Klenk)

Das Deutsche Theater zeigt "Dracula". Thomas Borchert spielt mal wieder den Vampir, erst im Blut-, dann im Liebesrausch.

Von Michael Zirnstein

Bei den fortwährenden Heimsuchungen des Blutsaugers sind die Nebenerscheinungen besonders interessant. Zum Beispiel gab es 2021 auf der Ulmer Wilhelmsburg zur Freilicht-Aufführung von "Dracula - das Musical" am Gastrostand Kartoffelecken mit zwei Dips: Ketchup oder Knoblauch-Mayonnaise. Eine Snack-gewordene Gesinnungsfrage: Bist du Team Dracula oder Team Vampirjäger?

Für Thomas Borchert ist das eine Schicksalsfrage: Kein deutschsprachiger Schauspieler ist mehr Vampir als er. Es fing mit dem Grafen von Krolock an. 2003 in Hamburg spielte der Essener den Spitzzahn bei der deutschen Bühnen-Premiere und lernte vom Meister selbst: Roman Polanski, der wie in der Filmvorlage Regie führte, brachte ihm Vampir-artiges Benehmen bei. So zeigte er ihm, wie er eine Visitenkarte annehmen solle, von oben herab, zwischen die gestreckten Zeige- und Mittelfinger. Es habe die Figur sofort unheimlicher gemacht, erinnert sich Borchert: "Normalerweise sehnt man sich als Schauspieler nicht danach, etwas vom Regisseur vorgemacht zu bekommen. Bei Polanski dürstete ich danach."

Auch wenn der polnische Starregisseur später selbst verteufelt werden sollte, geschadet hat die Unterweisung seinem damaligen Zögling Borchert nicht. Der wurde inzwischen vier Mal mit dem Deutschen Musical Award als bester Darsteller ausgezeichnet, auch für seinen Grafen von Krolock, den er über die Jahre immer wieder gab, 2016 etwa in München. Zu diesem verflucht Komischen, der töten muss, was er liebt, kam noch ein anderer Untoter hinzu: "Dracula", das Ur-Unviech, eine Ausgeburt der Hölle und der Fantasie des irischen Schriftstellers Bram Stoker. Dessen Horror-Briefroman von 1897 gebar einen Schwarm von Fledermausfilmen, der blut- und bilderrauschendste war Francis Ford Coppolas Gewaltwerk von 1992 mit Gary Oldham als siebenbürgischem Prinz. Im Sog dieses Publikumsrenners schuf der New Yorker Komponist Frank Wildhorn ein arg blutsverwandtes Musical, das es 2004 an den Broadway schaffte, dort aber bald die Flatter machte.

Mach die Flatter! Abraham van Helsing (Patrick Stanke, rechts) auf seinem Kreuzzug gegen Dracula (Thomas Borchert). (Foto: Jochen Klenk)

Im deutschsprachigen Raum biss es sich durch. Schon bei der ersten Aufführung in St. Gallen setzte Regisseur Matthias Davids auf einen Fachmann für den Aderlass: Thomas Borchert. Der hat seit 2007 bereits unter drei Regisseuren den Dracula gespielt. Stemmte sich Davids mit einer "schüchternen" Inszenierung im Look der prüden Fünfziger noch gegen das schwülstige Klischee, gab Andreas Gergen kurz darauf in Graz dem Publikum schon mehr, wonach es lechzte: eine üppige Ausstattung im viktorianischen Stil, "voll auf der Dracula-Welle", oder wie Komponist Wildhorn es sich wünschte: "Larger than life." In Ulm zuletzt bekam das auf der 20-Meter-Freilichtbühne vor Burgkulisse "noch mehr Raum", "große Leidenschaft", "Grusel", also "großes Kino".

Seine Ulmer Inszenierung bastelt Regisseur Alex Balga nun in die Zehn-Meter-Bühne des Deutschen Theaters hinein (wo er "Miami Nights" und "Dirty Dancing" machte). Balga will hier "noch mehr das Dunkle herausarbeiten", obwohl sein Raum clean und kaum verspinnwebt wirkt. Er komme mit wenig Requisiten aus, sagt er. Blut könne man auch anders darstellen als mit roter Farbe, er setze da voll auf die Theatermagie. "Ein Eimer Kunstblut bedeutet ja nicht zwangsweise, dass es einen gruselt", sagt er, "vielleicht löst gerade, was man nicht sieht, kalten Schweiß aus". Und beim Biss in den Hals könne schon mal ein Augenzwinkern dabei sein, sagt er, der auch Komödien wie "Kein Pardon" inszenierte. Aber spaßig wie beim "Tanz der Vampire" wird es nicht, er setze auf "Personenregie" und rücke die von Dracula verzehrte Mina Murray in den Fokus: als "Psychogramm einer Frau, gefangen in einer Gesellschaft, vernachlässigt von ihrem Mann", die eine Begierde verspüre nach sexueller Befreiung, Liebe "und einem Bad Boy".

Die süffigen, emotionssatten Songs kommen von Frank Wildhorn

Die Rolle übernimmt neu Roberta Valentini, die schon als Sissi in "Elisabeth" mit der Schattenwelt liebäugelte. Der Action wegen gibt es beim wirren Hin und Her zwischen Transsylvanien und London auch den Vampirjäger Abraham van Helsing. Patrick Stanke wird das meistern, wie er nun auch die Pendelei schafft zwischen den Aufführungen in Füssen (als Ludwig II.) und München (wo er von 22. bis 27.11. auch eine Musical-Salon-Reihe mit Mark Seibert betreibt). Der Everding-Akademie-Absolvent freut sich auf Dracula, auch auf die süffigen, emotionssatten Songs von Frank Wildhorn. Den halten viele Musical-Puristen ja für zu poppig, genau das gefällt Stanke: Während Andrew Lloyd Webber oft mal "eher so uff-ta-ta" wäre, wisse Wildhorn, "wie es am meisten knallt". Vom 17-köpfigen Orchester unter Leitung des Ex-Gärtnerplatz-Kapellmeisters Andreas Kowalewitz gibt es also Van Halen-Gitarren für Van Helsing.

Stahnke zählt Wildhorn zu seinen persönlichen Freunden, der Komponist hat ihm einst die Rolle des "Artus" in St. Gallen auf den Leib geschrieben. Mit Van Helsing musste er erst warm werden. In Horror-Filmen über ihn lernte er auch andere Heldentaten und die Vorgeschichte kennen, nämlich dass der Monster-Schlächter seine Freundin Roseanne in einem ähnlichen Konflikt wie Mina verlor. Das kommt im Dracula-Musical nicht vor, seltsamerweise aber ein Stück "Roseanne", das Wildhorn in Europa hineinbastelte, nachdem ihm die Broadway-Produzenten einst sechs Schmachtnummern herausgestrichen hatten. Jedenfalls mimt Stanke van Helsings inneren Konflikt eher "im stummen Spiel" und legt ihn ansonsten so an, als "käme er gerade aus einem Action-Film und wischt sich noch das Werwolfblut aus dem Gesicht".

Borchert ist froh, selten schlichte Helden spielen zu müssen (auch wenn er im Deutschen Theater wieder den Adventsabend "Beflügelte Weihnachten" spielt, 17.12.). Die zerrissenen Bösen, auf die er quasi abonniert ist, seien doch die spannenderen. Er spiele den Dracula ja nicht als das Monster aus dem Roman und "beiße mal hier und sauge mal da". Das Bedrohliche hier liege im Zwischenmenschlichen. Mina zwinge den skrupellosen Blutsauger durch die Liebe, ein anderer zu werden. Just als sie sich ihm hingebe und ihm in die kalte Ewigkeit folgen wolle, bekomme er Zweifel: "Mein Leben: Fuck, was ist das denn? Das kann ich ihr nicht antun!" In der Rolle, findet Borchert, sei doch "wesentlich mehr Fleisch drin. Und das sage ich als Veganer."

Dracula, Premiere Fr., 20. Okt., 20 Uhr, bis 13. Nov., München, Deutsches Theater, Schwanthalerstr. 12

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