"Hypnogirl 23" in der Villa Stuck:Kunst in Trance

Lesezeit: 3 min

Im Rauchsalon der Villa Stuck hat die französische Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster ihre holografische Illusion "Hypnogirl 23" inszeniert. (Foto: Jann Averwerser)

Die unter Hypnose tanzende Magdeleine Guipet sorgte einst für Aufsehen in München. Nun erinnert die französische Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster mit einer holografischen Illusion an die "Traumtänzerin".

Von Evelyn Vogel

Ein Tanz im herkömmlichen Sinne ist dies nicht - auch wenn die Arbeit von Dominique Gonzalez-Foerster in der Villa Stuck ein Auftragswerk des Münchner Dance-Festivals ist. Doch wer bestimmt, was Tanz ist? Sind die vollständig durchchoreografierten Schreit- und Wiegeschritte von Walzer & Co. mehr Tanz als die ritualisierten Bewegungen indigener Stämme, die wirbelnden Drehungen von Sufi-Derwischen oder die exzesshaften Zuckungen von Körpern in Discos und Techno-Clubs? Muss Tanz also etwas Kontrolliertes sein, um als solcher zu gelten? Oder ist die gedankenverlorene körperliche Hingabe an Klänge und Rhythmen, wie sie die meisten Menschen zumindest von Partys kennen, nicht auch Tanz - mag diese Hingabe noch so amateurhaft wirken?

Als Magdeleine Guipet Anfang des 20. Jahrhunderts nach einer Behandlung mit Hypnose in tranceähnliche Zustände verfiel und sich zur Musik von Chopin und Schubert im Stil einer Isadora Duncan bewegte, war auch dies eine Form von Tanz. Was zunächst diverse Ärzte und einige Künstler faszinierte, begeisterte alsbald ein immer größeres Publikum - wofür wohl auch die parapsychologische Begeisterung jener Zeit ausschlaggebend war.

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Unter ihrem Künstlernamen Magdeleine G. ließ sie sich live und vor aller Augen in Salons und Theatern weltweit hypnotisieren. Abhängig von der Musik entwickelte sich die Darbietung, die, wenngleich sie nicht den Geschmack aller traf, doch überall für reichlich Gesprächsstoff sorgte.

So auch in München, wo sie 1904 unter anderem in den Kammerspielen auftrat, zuvor aber im Atelier von Franz von Stuck antanzen und eine Probe ihres Könnens geben musste. Stuck hatte damals als Münchner Malerfürst erheblichen Einfluss darauf, was kulturell in der Stadt geschah. 1902 hatte er Isadora Duncan zum Vortanzen in seine Villa geladen, bevor sie im Münchner Künstlerhaus öffentlich auftreten konnte. Magdeleine G.s Auftritt im Schauspielhaus zwei Jahre später war nach dem Besuch bei Stuck jedenfalls auch gesichert.

Ein Foto der historischen Madeleine G., wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts unter Hypnose tanzte. (Foto: Fred Boissonas)

In eben jenen Räumen, in denen Magdeleine G. vor fast 120 Jahren ihre hypnotische Hingabe vor Stuck zelebrierte, nähert sich ihr nun die vielfach ausgezeichnete Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster an. Die 57-jährige Französin ist bekannt für ihre experimentellen Formen. In ihren Environments verbindet sie viele Disziplinen, sie hat mit Künstlern und Komponisten wie Pierre Huyghe, Philipp Parreno, Liam Gillick, Ari Benjamin Meyers oder Olga Neuwirth gearbeitet. Seit 2012 schafft sie Live-Performances, in denen sie ereignishafte Auftritte prominenter Personen verarbeitet, zuletzt in Form "holografischer Illusionen" wie dem nun in der Villa Stuck gezeigten Werk "Hypnogirl 23".

Die Arbeit, die auf einer Fotoserie von Magdeleine G. basiert, nimmt im Stuck'schen Rauchsalon Form an. Gonzalez-Foerster inszeniert diesen kleinen Seitenraum des Esszimmers wie einen Bühnenraum. Ein Stuhl ist Teil der Projektion - ein historisches Zitat aus der Live-Hypnose von Magdeleine G.; zwei Stühle stehen auf der Bühne selbst und das Motiv setzt sich fort in den Stuhlreihen für die Besucherinnen und Besucher, die im Speisezimmer aufgestellt sind. Die Bewegungen der in ein weißes Tuch gekleideten Künstlerin erinnern in Gestik und Mimik mitunter an die Expressivität alter Stummfilmdarsteller: weit aufgerissene Augen, wie vor Schreck verkrampfte Hände. An anderen Stellen wirken sie hingegen fließend, die Gestalt wie versunken.

Auch die fünf Musikstücke von Julien Perez scheinen Anleihen bei der Stummfilmzeit genommen zu haben. Ein hübsches Detail am Rande: Das Museum Villa Stuck hat das Bildnis des Wächters des Paradieses an seinem angestammten Platz gelassen. Er wirkt mit seiner Lichtgestalt aus dem Hintergrund wie ein Pendant zur holografischen Darstellung von Gonzalez-Foerster. So kommen Stuck'sche Raumkunst, Tanz, Musik und zeitgenössische Interpretation auf eine sehr eigene, auch eigenartige, aber zugleich faszinierende Weise zusammen.

Übrigens: Gemalt hat Franz von Stuck die "Traumtänzerin" Magdeleine G. letztlich nicht. Wer weiß, vielleicht hätte dann ihr Ruhm ihr frühes Ende - sie starb 1915 im Alter von nur 40 Jahren - überdauert. Doch Stuck überließ dies seinem Zeitgenossen Albert von Keller. Dieser fotografierte die Tänzerin mit dem seiner Meinung nach "göttlich schönen Schauspiel" nicht nur mehrfach, er malte auch 20 Bilder von ihr. Eines davon wurde für die Neue Pinakothek angekauft, in deren Sammlung es sich bis heute befindet.

Dominique Gonzalez-Foerster: Hypnogirl 23, Villa Stuck , Prinzregentenstraße 60, bis 4. Juni

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