Filmvorführung zur kolonialen Vergangenheit:Von den Verbrechen erzählen

Lesezeit: 3 min

Prinz Manga Bell (rechts) und sein Freund Tube waren in Aalen bei der Lehrerfamilie Oesterle untergebracht. (Foto: Privat)

Das Museum Fünf Kontinente zeigt einen neuen Film über den König Rudolf Manga Bell, den die Deutschen 1914 in Kamerun ermordeten. Doch eigentlich geht es um dessen Urgroßneffen, der hier in Bayern Kolonialgeschichte aufwühlt.

Von Joshua Beer

Es dürfte nur eine einzige Geschichte über Deutschlands Kolonialverbrechen geben, die an einer Förderschule in Erding bei München ihren Lauf nahm. Dort unterrichtete Jean-Pierre Félix-Eyoum in den Neunzigern im bunten Strickpulli, spielte Gitarre, sang und erzählte seinen Schülern von seinem Urgroßonkel, einem waschechten König aus Kamerun. "So wie hier in Bayern", sagte er, und ein Junge rief beherzt: "Ludwig!" Ganz genauso. Der Münchner Filmemacher Peter Heller fing diese Szenen ein, er war fasziniert von diesem Mann, einem Kamerundeutschen, der so locker mit den weißen Förderschülern umsprang. Das erzählt Heller heute.

Zwei Filme hat er über Félix-Eyoum und dessen koloniale Aufarbeitungsarbeit gedreht, zwischen ihnen liegen 26 Jahre, der jüngere feiert dieses Jahr Premiere. Es sind zwei Dokumentationen, die zusammengehören, sich gegenseitig vervollständigen, weshalb sie Heller auch im Doppelpack vorführt. In München laufen sie diesen Sonntagabend im Museum Fünf Kontinente. Mit dabei: Félix-Eyoum, inzwischen im Beamtenruhestand. Allerdings in einem sehr ruhelosen, wie man im Film mitkriegt.

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Denn Félix-Eyoum hat ein Ziel: Er will den deutschen Bundestag dazu bringen, den Justizmord an seinem Vorfahren, dem König, anzuerkennen. Im Jahre 1914 henkte die deutsche Kolonialverwaltung in Kamerun Rudolf Duala Manga Bell, König des Volkes der Duala. Die Deutschen wollten ihn loswerden, weil er die brutale Umsiedlung der Schwarzen in der damaligen Hauptstadt Duala nicht mittrug. Mehr noch: Er machte von seinem Recht Gebrauch und legte Beschwerde beim Reichstag in Berlin ein. Kamerun machte den Widerständler Manga Bell zum Nationalhelden, in Deutschland kennt ihn viele Jahrzehnte lang kaum jemand. Das hat sich inzwischen verbessert, auch die SZ schrieb sowohl über den König als auch seinen Urgroßneffen aus Erding.

Peter Heller zeichnet im Film nach, wie der Fall von einer persönlichen Mission zur hochpolitischen Angelegenheit wurde. Heller, der sich als "Alt-68er" bezeichnet, drehte mehr als 30 Filme über Afrika; er sagt, er habe Félix-Eyoum überhaupt erst mit der Idee "infiziert", dem Urgroßonkel nachzuforschen. Seine Doku "Manga Bell - Verdammte Deutsche" von 1997 folgt dem Lehrer auf Spurensuche in Duala sowie in Aalen und Ulm, wo Manga Bell zur Schule ging. Denn der König lernte nicht nur deutsche Kultur kennen, er liebte sie auch, war beseelt von aufklärerischen Idealen wie "der Gleichheit aller Menschen", wie er schrieb. In der Kolonie aber herrschte keine Gleichheit, sondern die Nilpferdpeitsche. Und Manga Bells Vorstellung von den vernünftigen Deutschen zerschellte alsbald.

Jean-Pierre Felix-Eyoum hat die Geschichte seines Urgroßonkels recherchiert. (Foto: privat)

Dieser erste Film sei "viel zu früh" gewesen, sagt Heller. Es gab keine breitere Öffentlichkeit, die sich für koloniale Aufarbeitung interessierte. Es gab nur Vereinzelte wie Félix-Eyoum, die in der Vergangenheit wühlten. Heller begleitete den "bayerischen Beamten" weiter mit der Kamera, und als viele Jahre später Straßen umgewidmet und geraubte Kulturgüter aus deutschen Museen zurückgefordert wurden, fanden sich Zeit und Geld für einen zweiten Film.

"Der Gute Deutsche" dauert eine ökonomische Stunde, in der Heller Material aus drei Jahrzehnten verbaut. Alte Aufnahmen genauso wie moderne Drohnenflüge über den brüchigen Palast von Manga Bell in Duala. Das historische Unrecht bildet aber nur den Unterbau, im Fokus ist Félix-Eyoum im Strudel postkolonialer Diskurse. Man sieht ihn, wie er 2014 an der ersten "Decolonize München"-Debatte über Raubkunst teilnimmt. Ausgerechnet im Museum Fünf Kontinente ist bis heute der Kameruner Schiffsschnabel ausgestellt, ein Hoheitszeichen der Duala.

Rudolf Duala Manga Bell war König des Volkes der Duala. (Foto: privat)

Man sieht Félix-Eyoum durchs Land und zwischen den Kontinenten herumreisen, um zu vermitteln. Zwischen den Duala, die Reparationen fordern, und deutschen Politikern, denen es schon schwerfällt, den getöteten König zu rehabilitieren. "Ich stehe da irgendwo ziemlich in der Mitte", sagt Félix-Eyoum. Doch von da aus hat er viel erreicht: In Berlin ist er dabei, als der Nachtigalplatz 2022 in Manga-Bell-Platz umgetauft wird. Auch in Aalen und Ulm tragen Plätze den Namen des Königs, eingeweiht vom aktuellen Regenten der Duala.

Heller zeigt seinen Freund und Protagonisten als einen, der mit allen und überall das Gespräch sucht, mit den Anwohnern eines umbenannten Platzes genauso wie mit Zeitzeugen und Museumsbesucherinnen. Man hört ihn mit sanfter Stimme darüber erzählen, wie schwierig es anfangs war, Deutschen von ihren Kolonialverbrechen zu erzählen. "Das wollten sie nicht so gerne hören." Doch Félix-Eyoum glaubt ja an das Gute im Menschen, er sagt: "Es gibt kein einziges Kind auf der Welt, das in Hass geboren wird."

Hellers Film hat keinen Verleih, er sei eine Art "Hobby-Produkt". Mit den Vorführungen will er etwas Aufmerksamkeit erzeugen. "Wir müssen uns am Sonntag nur gegen die Wiesn-Besucher durchsetzen", sagt er.

Peter Hellers "Manga Bell" (1997, 45 Minuten) und "Der Gute Deutsche" (2023, 52 Minuten) laufen am 17. September, 19 Uhr, im Museum Fünf Kontinente, einen Tag davor sowie am 20. in Aalen, und zwei Mal in Dorfen am 22. September.

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