Ausstellung in Augsburg:Die Lücken der Erinnerung

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Die australisch-amerikanische Künstlerin Denise Green hat Fotos aus dem Krieg, aufgenommen von ihrem Vater, mit ihren Zeichnungen verschmolzen und dabei eigene Traumata aufgearbeitet.

Von Sabine Reithmaier, Augsburg

Auf den alten unscharfen Schwarzweiß-Fotos marschieren Menschen in endlosen Kolonnen, explodieren Tanker, werden Tote geborgen. Doch die Fotos sind zerteilt durch unterschiedlich breite und grafisch gestaltete Streifen, gerade so als sollten sie einen Filmriss verdecken. Oder Leerstellen in der Erinnerung markieren, vielleicht letztere auch als Erfindung kennzeichnen. Die 33 bislang noch nicht gezeigten Collagen der australisch-amerikanischen Künstlerin Denise Green bieten viel Deutungsspielraum. Und sie passen gut in die Halle 1 des Augsburger Glaspalasts.

Der Vater war Fahrer eines Sanitätscorps - zufällig entdeckte Green sein Fotoalbum

Anlass der Ausstellung ist ein Fotoalbum ihres Vaters, das Denise Green, 1946 in Melbourne geboren und heute in New York lebend, vor fünf Jahren entdeckte. Während des Krieges war er Fahrer eines Sanitätscorps bei den australischen Truppen gewesen, hatte 1940 und 41 an den Feldzügen in Nordafrika und Griechenland teilgenommen. "Er sah Menschen seines Alters verwundet, leidend, traumatisiert. Er sah Gleichaltrige, die getötet wurden", schreibt Green in ihrem Text zur Ausstellung. Zuhause sprach er abgesehen von einer einzigen grauenvollen Geschichte nie über seine Erfahrungen. Er schwieg und trank exzessiv, seine Art, die furchtbaren Erlebnisse zu bewältigen. Posttraumatische Belastungsstörungen waren damals noch kein Thema; die Familie litt unter dem trinkenden Vater und den wachsenden Schulden. Denise Green musste früh arbeiten, um die Familie zu unterstützen. 54-jährig beging der Vater Selbstmord.

2016 brachte ihr Bruder Warren ein Fotoalbum des Vaters, von dem bis dahin kein Familienmitglied gewusst hatte. 240 Fotos aus dem Krieg einschließlich eines Index', der Plätze und Handlungen beschrieb. Denise Green entdeckte, dass der Vater große Schlachten im Mittelmeerraum miterlebt hatte. Er hatte die nächtlichen Luftangriffe in Alexandria fotografiert, aber auch die Explosion eines britischen Schiffs, die Scharen italienischer Kriegsgefangener in der libyschen Wüste oder tote Körper, die unter Schutt geborgen wurden. Dramatische Fotos, die die Ereignisse dokumentierten, ohne sie aufzubauschen.

Green war tief berührt. Schon 2012 hatte sie begonnen, Fotos in ihre Arbeiten zu integrieren und eine Collagen-Serie entwickelt mit Landschaften, die durch den Zweiten Weltkrieg in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Sie entschied, den Fotos des Vaters durch ihre Zeichnungen eine zusätzliche emotionale Dimension hinzufügen. Diese seien aber nicht als Reaktion auf die Fotos entstanden, schreibt sie, wurden nicht mit den Fotos im Sinn geschaffen. Andere persönliche Erfahrungen waren da wohl prägender. Green musste miterleben, wie die Alzheimer-Krankheit ihres Mannes dessen Wesen veränderte. "Eine fortschreitende Krankheit mitzuerleben, heißt ein Trauma ohne Ende zu erfahren" (Green). Daher erzählen die subtilen Collagen auf eine sehr feine Art vom künstlerischen Umgang mit der eigenen Geschichte. Und belegen zugleich durch Greens intensives Nachempfinden das Nachwirken kollektiver Kriegstraumata.

Denise Green: How we remember, bis 19. September, Halle 1 im H2-Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast Augsburg. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, 90 Seiten, Preis 19,80 Euro

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