Verkehrsstatistik:Die Radlerstadt auf dem Papier

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An der Einmündung an der Ludwig-Thoma-Straße vom Karlsberg aus kommend fehlt beim Abbiegen immer noch ein Radweg. (Foto: Niels P. Joergensen)

Fast die Hälfte der Verletzten bei Verkehrsunfällen in Dachau im Corona-Jahr 2020 sind Radfahrer. Das bestürzt die Stadträte, aber die meisten geplanten Verbesserungen der Radwegeinfrastruktur sind teuer - und dafür ist weder Geld noch ausreichend viel Personal vorhanden

Von Julia Putzger, Dachau

Fast die Hälfte der 167 Verletzten bei Verkehrsunfällen in der Stadt Dachau im Jahr 2020 sind Radfahrer. Das ließ die Stadträte im Umwelt- und Verkehrsausschuss aufhorchen, als Polizeihauptkommissar Andreas Knorr die Unfallstatistik für 2020 vorstellte. Noch in der Sitzungspause diskutierten die Kommunalpolitiker dieses Ergebnis. Auch die Unfallschwerpunkte in der Stadt, zumeist an eigentlich mit Ampeln gesicherten Kreuzungen, warfen viele Fragen auf. Doch: Die Verkehrssituation in der Stadt bleibt problematisch, schnelle Lösungen sind nicht in Sicht. Das Corona-Jahr hatte immerhin etwas Gutes, denn es passierten weniger Verkehrsunfälle.

Auf den Straßen im Stadtgebiet krachte es zwar immer noch 1345 Mal, doch somit ganze 21 Prozent seltener als noch 2019. Verletzt wurden dabei 167 Menschen, 20 davon schwer. Tote gab es glücklicherweise nicht zu beklagen. Damit bestätigte sich der Trend, der in den Verkehrsstatistiken für Bayern und den Landkreis bereits deutlich geworden ist. Besonderes Augenmerk legte Knorr auf die Unfallschwerpunkte: Mit insgesamt 14 Unfällen war die Kreuzung von Alter Römerstraße und Sudetenlandstraße trauriger Spitzenreiter. Der Schwerpunkt der Vorjahre, die südlich gelegene Kreuzung von Alter Römerstraße und Schleißheimer Straße habe sich lediglich wegen der Bauarbeiten dort verschoben. Unfallursache ist laut Knorr meist ein Problem bei Einbiegen. Einen weiteren Unfallschwerpunkt bildet der hochfrequentierte Parkplatz vor dem MVZ in der Münchner Straße; dort kam es 2020 zu zwölf Unfällen, zwei Drittel davon ohne schwerwiegenderen Schaden. An der Kreuzung von Frühlingstraße und Schleißheimer Straße wurde die Polizei zu sechs Unfällen gerufen, in zwei Fällen wurden beim Abbiegen Radfahrer übersehen. Eine gewisse Häufung von Unfällen stellt Knorr auch bei weiteren Kreuzungen der Schleißheimer Straße fest, nämlich mit der Friedenstraße und der Theodor-Heuss-Straße. In diesen Fällen dürfte das Problem nur schwierig zu lösen sein. Aber an der Kreuzung von Gröbenrieder Straße und Schillerstraße sieht der Polizeihauptkommissar Potenzial für mehr Sicherheit: "Hier ist oft viel Verkehr, sodass für den Autofahrer an der Kreuzung irgendwann ein gewisser Druck entsteht, endlich einzubiegen". Er schlug deshalb vor, zu prüfen, ob eine Ampel die Situation entschärfen könnte. Abschließend fasste Knorr zusammen: "Wir dürfen uns nicht ausruhen, nur weil die Unfallzahl eingebrochen ist." Die Lage der Radfahrer, die nicht nur wegen ihrer fehlenden Knautschzone die gefährdetsten Verkehrsteilnehmer seien, könne durch bessere Infrastruktur "massiv verbessert" werden. Doch damit beginnt schon das Problem. In der Sitzungspause diskutierten die Stadträte immer noch, warum denn gerade Kreuzungen mit Ampeln, an denen also eigentlich doch genaue Regeln herrschten, Unfallschwerpunkte in Dachau sind. Doch diese Frage konnte ebenso wenig geklärt werden wie der Grund dafür, dass an rund der Hälfte der Unfälle mit Radfahrern diese laut Polizei eine Mitschuld tragen. Zumindest für manchen schien sich hier das Narrativ des sogenannten Kampfradlers zu bestätigen, der sich wider alle Verkehrsregeln durch die Straßen bewegt und dem somit auch keine Radstreifen helfen können.

Doch so klar der Appell des Hauptkommissars auch war - auch abseits der Pausendiskussion zeigte sich im weiteren Sitzungsverlauf, dass es in Dachau in den nächsten Jahren wohl schwierig werden dürfte, die Radinfrastruktur wesentlich zu verbessern. Das liegt einerseits am knappen Haushalt der Stadt und andererseits an Personalengpässen in der Verwaltung - besonders im für Straßenbaumaßnahmen zuständigen Tiefbauamt. Deshalb müssen auch staatliche Förderprogramme links liegen gelassen werden. So hatte das Bündnis beantragt, zu prüfen, welche Radverkehrsmaßnahmen bis spätestens Ende 2023 abgeschlossen werden können. Denn sie würden durch das neue Radverkehrsförderungssonderprogramm "Stadt und Land" mit bis zu 80 Prozent der Kosten gefördert werden. Doch die Verwaltung kam zum ernüchternden Ergebnis: Keines der anstehenden Projekte wäre bis zu diesem Zeitpunkt zu schaffen.

Antragsteller Michael Eisenmann (Bündnis) war enttäuscht, auch Stadtrat Thomas Kreß (Grüne): "Das sind doch noch zweieinhalb Jahre, da geht doch ein bisschen was." Wenn man das Verkehrsproblem in Dachau anpacken wolle, dann müsse man auch wirklich etwas für den Radverkehr tun. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) entgegnete: "Das ist zeitlich gesehen ein Wahnsinn. Es braucht ja Planungen. Da sind zwei Jahre nichts." Wo man "nur ein bisschen Farbe aufpinseln" müsse, spiele das Geld kaum eine Rolle.

Heftig, jedoch ohne Ergebnis wurde noch über die Schleißheimer Straße diskutiert: Die Verwaltung hatte für einen ersten Lückenschluss im Radwegenetz schon vor Auflage des Förderprogramms Radschutzstreifen von der neuen Emmy-Noether-Straße bis zum Kreisel Kopernikusstraße geplant. Auf diesem Stück soll ohnehin noch die Fahrbahn erneuert werden. Die Voraussetzungen des Förderprogramms wären zwar erfüllt, doch für den Förderantrag ist eine Entwurfs- und Genehmigungsplanung erforderlich - und für die gibt es im Haushalt kein Geld. Nach langem Hin und Her blieben die Stadträte dabei: So schön neue Fahrradinfrastruktur wäre, in nächster Zeit wird es wohl bei den Ideen auf dem Papier bleiben.

© SZ vom 17.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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