"Tier-Bilder" in der Gemäldegalerie Dachau:In freier Wildbahn

Lesezeit: 5 min

Die Gemäldegalerie Dachau zeigt eine bunte Auswahl von "Tier-Bildern" aus dem Zeitraum von 1810 bis 1940 und thematisiert darin auch die Rolle von Kühen, Schafen und Ziegen in der Freilichtmalerei. Die heitere Ausstellung ist auch gut geeignet für Kinder

Von Gregor Schiegl, Dachau

Durch schlammfarbenes Wasser pflügt die Schweinemeute, suhlt sich dicht zusammengedrängt, Borste an Borste. Ein vorwitziges Jungtier drückt der Leitsau den Rüssel unters Schlappohr, als wollte es ihr ein Küsschen geben. Und all das ist so hinreißend gemalt mit einem derben, schweinsvitalen Pinselstrichs, dass man gleich mit hineinspringen möchte in die lehmige Brühe: keine Hygiene, keine Distanz, keine Berührungsängste, nur quiekfideles Planschen mit Artgenossen. Was für eine herrliche Sauerei!

Das Ölgemälde des Impressionisten Friedrich Eckenfelder (1861-1938) ist das erste der "Tier-Bilder", die derzeit in der Dachauer Gemäldegalerie zu sehen sind. Die "Schweine im Dorfweiher" begrüßen den Besucher am Eingang und setzen dort auch schon gleich den richtigen Ton. "Es ist eine fröhliche Ausstellung", sagt Kuratorin Elisabeth Boser. Konzipiert hatte sie die Ausstellung bereits vor dem Corona-Lockdown und beweis damit eine glückliche Hand. Jetzt kommt so ein heiteres, leichtes Thema genau richtig für das von Homeoffice und Homeschooling zermürbte Publikum: wilde, eindrucksvolle, niedliche und ulkige Viecher. Darunter übrigens auch eine Schar Ziegen, die genüsslich eine Leinwand verspeisen.

Ein Pferderennen am Oktoberfest gemalt von Albrecht Adam 1810. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Gezeigt werden rund 80 Werke, das Gros davon Leihgaben, vornehmlich Gemälde, aber auch Plastiken, Grafiken und Bücherillustrationen aus Märchenbüchern: "Der gestiefelte Kater" und "Die sieben Geißlein" lassen grüßen. Vis-à-vis zu einer Ente aus Rosenthaler Porzellan thront ein Uhu mit silbergrauem Federkleid. Die Augen dieses mehr als 62 Zentimeter großen Keramikungetüms aus Wiener Produktion wären sogar imstande zu leuchten, handelt es sich bei dem Objekt doch um eine Lampe, nur leider ist der Uhu nicht ans Stromnetz angesteckt. Auch richtige Exoten sind zu bewundern bunte Papageien, ja sogar Löwen, Elefanten und heilige Affen. "Es ist natürlich auch spannend für Kinder, denn wo sieht man sonst so viele Tiere auf einmal", sagt Oberbürgermeister und Zweckverbandsvorsitzender der Dachauer Galerien und Museen, Florian Hartmann, in seiner Eröffnungsrede. Die musste er diesmal ohne Publikum halten. Es gab ja auch keine Vernissage. Maximal 19 Besucher dürfen die Sonderausstellung gleichzeitig ansehen - mit Mundnasenschutz und unter Einhaltung der Mindestabstände. Eine Einbahnregelung durch die Ausstellung minimiert den Begegnungsverkehr.

Obwohl die Gemäldegalerie sich auf Tierbilder im vergleichsweise kurzen Zeitraum zwischen 1810 und 1940 beschränkt, ist auch dieses Feld ein weites und die Bandbreite der Bilder sehr groß, je nachdem, um welches Tier es geht und welche Rolle es spielt: Ob es ästhetisches Studienobjekt oder Requisit bäuerlicher Idylle ist, liebevoll porträtiertes Familienmitglied, galoppierendes Fortbewegungsmittel auf vier Hufen, exotische Staffage in fremdländischen Szenerien oder wie im Märchen die sinnbildliche Verkörperungen guter und böser Kräfte.

Zu bestaunen gibt es in der Gemäldegalerie auch Elefanten und Löwen (aus dem Skizzenbuch von Albert Lang). (Foto: Niels P. Jørgensen)

In den Fokus der Ausstellung hat Elisabeth Boser die Freilichtmalerei um die Jahrhundertwende gerückt. Das ist naheliegend in einer Stadt wie Dachau, die in der Zeit um 1900 eine florierende Künstlerkolonie war. Philipp Kester, einer der großen Bildjournalisten und Fotoreporter der frühen deutschen Fotogeschichte, hat das Treiben der Freilichtmaler in Dachau - darunter viele Freilichtmalerinnen, die sogenannten Malweiber - in großartigen Aufnahmen festgehalten, die man im Entree zur Ausstellung sehen kann. Ein Foto von 1906 zeigt, wie ein Rindviech, von Bauernkindern am Zaum gehalten, emsig pinselnden Damen Modell steht.

An Kunstakademien und Malschulen ließ sich Tiermalerei studieren. Walther Klemm (1883-1957) berichtet aus seiner Zeit als Malschüler von chaotischen Zuständen: "Affen turnten frei herum, Hühner, Truthahn, Pfau waren da. Raubvögel in großen Bauern. Selbst einen kleinen Esel schafften wir unters Dach. Dachs, Fuchs und Marder wurden von einer Zoologischen Handlung ausgeliehen." Ob das immer alles artgerecht war: zweifelhaft.

In der Zunft der "Thiermaler" war Heinrich von Zügel (1850-1941) eine zentrale Figur. Er unterhielt die größte private Schule für Freilicht- und Tiermalerei. (Das kann man im Katalog zur Ausstellung nachlesen, den man übrigens noch bis zum 31. Mai versandkostenfrei beim Zweckverband Dachauer Museen bestellen kann.) Viele Künstler, die in dieser Ausstellung versammelt sind - unter anderem Otto Dill, Eugen Osswald und Julius Paul Junghanns - waren seine Schüler. Mit ihnen wanderte von Zügel über Land, um Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu studieren. Schon Anfang der 1880er Jahre entdeckte er die Hochmoorlandschaft bei Dachau als Studiengebiet und begann dort, im Freien zu malen. Dadurch entfernte er sich von der Nahsicht und stellte die Tiere als Teil eines erweiterten Landschaftsraumes dar.

Arthur Wardles "Blaustirnamazone mit Malerutensilien" von 1896. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Dieses Prinzip des Tiers als Bestandteil der Landschaft kann man wunderbar am Beispiel Carl Friedrich Steinheils (1860-1917) Nachtbild "Heimkehrende Schafherde" von 1890 nachvollziehen. Es zeigt ein Paar mit seinen Tieren auf dem Nachhauseweg; die Herde löst sich gleich bauschigen Wolken in den Weiten der dunklen Fläche auf, entfernt am Horizont glimmt das letzte Abendlicht.

Durch die Textur ihres Fells sind Schafe besonders reizvoll für die Malerei, und wenn sie auch noch mit Effekten von Licht und Schatten kombiniert werden, wie Arnold Moeller (1866-1963) das auf seinem Ölbild von 1912 mit dem schlichten Titel "Schaf" tut, wird der Anblick eines an sich so schlichten Tiers zu einer sinnliche Sensation. Wenn es um Schafe in der Kunst geht, kommt man um den Namen Otto Strützel (1855-1930) kaum herum. Er hat in seinem 75 Jahre währenden Leben so viele Schafe gemalt, dass man beim Zählen vermutlich einschlafen würde.

Die Spezialisierung auf bestimmte Tiergattungen war keine Seltenheit. Der Maler Alexander Koester (1864-1932) machte sich einen Namen als "Enten-Koester". Auf dem Kunstmarkt waren seine Enten so gefragt, dass die Faustregel galt: je mehr Enten desto teurer. "Pro Ente 20 000 Euro", sagt Kuratorin Elisabeth Boser und lacht. Die ausgestellten sieben "Enten am Ufer des Ammersees" müssten es demnach auf stolze 140 000 Euro bringen. Wenn man sieht, wie kunstvoll Koester das Licht auf dem weißen Gefieder spielen lässt und wie natürlich diese Entenschar wirkt, versteht man, dass so eine Koester-Ente ihren Preis wirklich wert ist.

Ein Rind steht Modell. Die Aufnahme von Philipp Kester stammt von 1906. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auf Katzen abonniert ist Julius Adam (1852-1913), der "Katzen-Adam" aus der Tiermalerfamilie Adam. Seine Miezen sehen sehr drollig aus und die flauschigen Katzenkinder mit ihren Kulleraugen, die er miteinander tollen lässt, sind so niedlich, dass es einem schon fast zu viel werden kann. Als Korrektive hat Elisabeth Boser immer wieder "kleine Irritationen" eingebaut, die den Bilderlauf nicht zu glatt werden lassen. Zwischen bäuerlichen Idyllen und Katzenkindern hängt auch ein kleinformatiger Lovis Corinth mit einem geschlachteten Ochsen - der an den Hinterläufen von der Decke baumelt. Oder, nicht ganz so drastisch: zwischen den Porträts von hochbeinigen Rassepferden das Bild eines kurzbeinigen Hundes, der ein bisschen neidisch auf diese goldgerahmten Edeltraber schaut.

Von Emil Adam (1843-1924) stammt ein recht unspektakulär aussehendes Bild einer braunen Stute. Doch hierbei handelt es sich um eine wahre Berühmtheit, die Englische Vollblutstute Kincsem (1874-1887), die als erfolgreichste Rennpferd der Welt in die Geschichte einging. Alle 54 Rennen, zu denen sie antrat, hat sie gewonnen. "Diese Stute war ein wahres Wundertier", sagt Elisabeth Boser und man merkt ihr den Stolz an, dass das Wundertier auch ihre Ausstellung schmückt. Richtig Tempo legt Eugen Osswald (1879-1960) in seinem Ölbild "Ein Lot Galopper auf der Geraden der Rennbahn Riem" an den Tag. Aus den flirrenden Strichen und Punkten, die die Landschaft mehr andeuten als zeichnen, brechen die braunen Leiber der heranpreschenden Pferde. Das ist so stark und unmittelbar gemalt, dass man unwillkürlich beiseite tritt, um nicht unter die Hufe zu kommen.

Paul Ehrenberg (1876-1949), Bruder des Komponisten Carl Ehrenberg und ganz nebenbei auch Vorlage für die Figur des Rudi Schwerdtfeger in Thomas Manns Roman "Doktor Faustus", steuert ein anrührendes und zugleich sehr würdevolles Portrait eines Bernhardiners zur Ausstellung bei. "Der Spielzeugwächter" heißt es. Mit seinen riesigen Tatzen beschützt der Hund verstreut herumliegende Puppen und Kasperlfiguren vor unbefugtem Zugriff. Und wer es am Spielzeugwächter vorbeigeschafft hat, ist schon bei den Tieren angelangt, die gerade die Herzen von Kindern höher schlagen lassen dürften: Löwen, Affen. Elefanten. Inzwischen ist auch der "Tiger im Berliner Zoo" von Otto Dill (1884-1957) eingetroffen, der es wegen coronabedingter Reisebehinderungen erst kurz vor Ausstellungsbeginn in die Gemäldegalerie geschafft hat. Dort schleicht er nun mit melancholischem Blick durch seinen Gitterkäfig. Vermutlich träumt er von der Freiheit, weit weg im indischen Dschungel.

Tier-Bilder: Gemäldegalerie Dachau. Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag 11 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertag 13 bis 17 Uhr . Die Ausstellung geht bis 13. September.

© SZ vom 20.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: