Klassik:Wenn fünf Tuben dröhnen

Lesezeit: 2 min

Unter der Leitung von Michael Meyer spielen die 80 Instrumentalisten beim Jahreskonzert Stadtkapelle Dachau auf. (Foto: Toni Heigl)

Bei ihrem Jahreskonzert zeigt die Stadtkapelle, dass sie mehr kann als heimatverbundene Blasmusik. Von Harry-Potter-Filmmusik bis Big-Band-Sound spielen 80 Musiker zeitgenössische Kompositionen auf hohem Niveau.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Musikologen verbreiten immer noch gerne den Mythos vom Blasorchester, das ausschließlich Heimatverbundenes oder Altbewährtes im Bierzelt, beim Feuerwehrfest oder in der Fronleichnamsprozession spielt. Dass das ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten ist, zeigte die Stadtkapelle Dachau am vergangenen Samstag bei ihrem Jahreskonzert unter dem schönen Titel "Mythen und Märchen". Und das ausschließlich mit Werken von zeitgenössischen Komponisten. Es war ein Abend schönster sinfonischer Blasmusik, voller furioser Klänge und geheimnisvoller Geschichten, die die mehr als 80 Musikerinnen und Musiker unter der Leitung von Michael Meyer mit ihren Instrumenten erzählten. Dominik Härtl moderierte das Konzert und war zugleich ein kenntnisreicher und amüsanter Übersetzer der Musik ins gesprochene Wort.

Mehr als 80 Instrumentalisten nehmen im Festsaal des Dachauer Schlosses ziemlich viel Platz ein. Doch zeigen sie zugleich unübersehbar, was musikalische (Früh-)Förderung und engagierte Nachwuchsarbeit bewirken können. Schon der Konzertauftakt hatte es in sich. Die 2005 entstandene Programmmusik "The Witch and the Saint - die Hexe und die Heilige" des US-amerikanischen Komponisten Steven Reineke ist die Geschichte eines Zwillingspärchens, von dem die eine - man ahnt es schon - in finsteren mittelalterlichen Zeiten als Hexe verunglimpft wird und die andere die brave, fromme Nonne ist. Die Geschichte geht nicht gut aus, die Musik lässt einen erbeben und erschauern. Michael Meyer lässt sein Orchester mit sicherer Dirigentenhand grummeln und grollen, lässt es engelsgleich schweben und das dramatische Ende mit einem Knalleffekt voll auskosten.

Das Instrument des Jahres 2024 ist gleich fünfmal vertreten

Mario Bürki hat die - womöglich heute als nicht mehr Kinderzimmer-tauglich apostrophierte - Moritat von den bösen Buben Max und Moritz vertont. Dominik Härtl - mit farblich auf den in Türkis und Barbie-Pink gepolsterten Sessel abgestimmter Krawatte - las sie mit sichtlichem Vergnügen vor. Die Stadtkapelle spielte sie mit mindestens ebenso großer Freude, und das Publikum war endgültig gefangen von der Qualität und der Ausstrahlungskraft dieses sinfonischen Blasorchesters mit seiner Mischung aus jungen und schon etwas älteren Musikern sowie der großzügigen Besetzung der einzelnen Instrumente, darunter gleich fünfmal die Tuba, Instrument des Jahres 2024. Nicht zuletzt zeigten die vielen solistischen Glanzleistungen an den jeweiligen Instrumenten, auf welch hohem Niveau die Stadtkapelle spielt.

Weiter ging es mit einem Ausflug in die griechische Sagenwelt. Satoshi Yagisawa hat dem Helden Perseus und seinem Sieg über die schreckliche Medusa ein musikalisches Denkmal gesetzt. Die Stadtkapelle machte daraus ein Drama mit Chorbegleitung, das in jedem antiken Theater für Furore gesorgt hätte. Göttlich blieb es auch nach der Pause in mehrfacher Hinsicht. Rossano Galante hat für die unübersichtliche Götterwelt ein "Lexicon of the gods" komponiert. Die Stadtkapelle verlieh Göttervater Zeus und seinen Standesgenossen mit hinreißender Musik die entsprechenden Charaktere.

Die Alpina Saga wird zur Après-Ski-Party

Mindestens so bildgewaltig wie in Richard Strauss' "Alpensinfonie" ging es in Thomas Doss' "Alpina Saga" zu. Allerdings ist die Alpina Saga viel lustiger, spielt sie doch nicht nur mit den Naturgewalten, sondern versetzt ihre gespannt lauschenden Zuhörer rockend und swingend in Gedanken auf eine ausgelassene Après-Ski-Party. Da wird die sinfonische Blaskapelle zur Big Band, die auch stimmlich zeigt, was sie so alles drauf hat. Ein Riesenspaß.

Die Musiker nebst Dirigent und Moderator steigern sich noch einmal. Denn zum krönenden offiziellen Abschluss steht Filmmusik aus "Harry Potter und der Feuerkelch" in einer Bearbeitung von Robert Sheldon auf dem Programm. Es ist - Harry Potter-Fans wissen das genau - ein Film, der gleichzeitig zum Lachen und zum Gruseln ist, denn das Böse ist plötzlich überall. Die Stadtkapelle spielt das so überzeugend, dass man sofort das dringende Bedürfnis hat, zu Hause endlich mal wieder schlaflose Nächte mit der Lektüre der gesammelten Abenteuer des Zauberlehrlings zu verbringen. Doch noch warten - Stammgäste der Jahreskonzerte kennen das Prozedere - nach der Lösung dreier Musikrätsel drei Zugaben aufs Publikum und Standing Ovations auf die fabelhafte Stadtkapelle.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKriseninterventionsteam
:"Menschen wären sonst allein mit ihren schlimmen Eindrücken"

Wenn Erste Hilfe für die Seele benötigt wird, sind Irmgard Haas und ihre Kollegen von der Notfallseelsorge im Einsatz. Seit mehr als 25 Jahren helfen sie Betroffenen, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Haas erzählt, worauf es in ihrem Ehrenamt ankommt.

Von Greta Kiso

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: