Verkehrsunfall:"Der wird mich schon sehen mit meiner S-Bahn"

Lesezeit: 3 min

Der unbeschrankte Bahnübergang Obermoosmühle, an dem sich der Unfall im Dezember des vergangenen Jahres ereignete, liegt nur wenige Hundert Meter entfernt vom beschrankten Übergang am Gewerbegebiet. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Beim Schneeräumen gerät ein 22-Jähriger auf die Gleise am Übergang Obermoosmühle. Eine S-Bahn zerreißt sein Winterfahrzeug. Der Fahrer soll seinen Führerschein für einen Monat abgeben und 2000 Euro Strafe zahlen. Seinen Einspruch zieht er nun vorm Amtsgericht zurück.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Dass der junge Mann heute aufrecht auf der Anklagebank des Dachauer Amtsgerichts sitzen kann, ist reines Glück. Das zumindest meint Richter Stefan Lorenz. Der angeklagte 22-jährige Fahrzeugführer war vor acht Monaten beim Schneeräumen auf die Gleise am Übergang Obermoosmühle geraten. Eine S-Bahn, die aus Markt Indersdorf kam, zerriss das Winterfahrzeug in zwei Teile. Der Fahrer verletzte sich schwer. Als Strafe für den schweren Eingriff in den Bahnverkehr bekam der junge Berufskraftfahrer ein einmonatiges Fahrverbot und eine Zahlung von 2000 Euro auferlegt. Dagegen hatte der 22-Jährige Einspruch eingelegt. Doch Richter Lorenz blieb am Dachauer Amtsgericht dabei: Es sei auch reines Glück, dass außer dem Fahrer niemand verletzt worden sei. Und riet dazu, den Einspruch gegen die Strafe zurückzunehmen, weil diese sonst womöglich noch höher ausfallen könnte. Etwas, das die Verteidigung nach Rücksprache mit ihrem Mandanten auch tut, damit ist die Entscheidung rechtskräftig. Der 22-Jährige hat nun einen Monat Zeit, seinen Führerschein abzugeben.

Ereignet hatte sich der folgenschwere Unfall am 16. Dezember 2022 gegen 10.36 Uhr. Der Indersdorfer war an jenem Tag für seinen Arbeitgeber in der Früh zum Schneeräumen ausgerückt. Auf dem Rückweg habe er, wie er aussagt, bedingt durch das Schneetreiben, schlechte Sicht gehabt und die nahende S-Bahn, die auf dem Weg nach Altomünster war, zu spät gesehen. Er habe daraufhin noch versucht, auf die Bremse zu steigen, sei aber aufgrund von Glätte trotzdem auf die Schienen gerutscht. Was danach passiert sei, daran könne er sich nicht mehr genau erinnern, er sei erst auf dem Feld wieder zu sich gekommen, wo man ihn aus dem Fahrzeug habe schneiden müssen. Eine gerissene Milz, ein Schädelhirntrauma sowie zwei gebrochene Rippen seien die Bilanz des Zusammenstoßes gewesen. Nach zwei Wochen im Krankenhaus und vier Monaten Krankschreibung habe er heute außerdem noch immer Schmerzen.

War es ein "Schneegestöber" oder hat es nur "ein bisschen geschneit"?

"Das hätte für Sie auch ganz anders ausgehen können", bilanziert Richter Lorenz mit Blick auf Bilder, die ein Winterdienstfahrzeug zeigen, das durch den Zusammenstoß mit der S-Bahn, die mit knapp 80 Stundenkilometern unterwegs gewesen ist, in zwei Teile gerissen ist. Gleichwohl müsse sich der Angeklagte vorhalten lassen, dass er gerade bei der von ihm beschriebenen eingeschränkten Sicht noch vorsichtiger hätte fahren müssen. Zudem zeigten die Bilder vom Unfallort, dass die Sicht an dieser Stelle nicht von Bäumen oder Ähnlichem eingeschränkt wird, auch ein Polizist und der Lokführer sagen aus, dass man den Bahnübergang gut einsehen könne - schlechte Sicht hin oder her. Denn wie genau die Wetterverhältnisse an jenem Tag gewesen sind, darüber gehen die Aussagen tatsächlich auseinander: Der Angeklagte sowie ein Polizist sprechen von einem "Schneegestöber", der Lokführer und eine Passagierin sprechen indes davon, dass es nur "ein bisschen" geschneit habe.

Am Tag des Unfalls liegt Schnee. Diesen hatte der Angeklagte räumen wollen und war dabei auf die Schienen gelangt. (Foto: THW Dachau)

Der Lokführer, ein 35-Jähriger aus Kirchseeon, bestätigt allerdings, dass der Angeklagte tatsächlich nicht schnell unterwegs gewesen ist. Vielmehr habe er aus der Ferne sogar gedacht, dass dessen Fahrzeug am Bahnübergang zum Stehen gekommen sei. Erst beim Näherkommen habe er gesehen, dass es sich leicht bewege. Er sei aber davon ausgegangen, dass der Angeklagte am Bahnübergang Schnee räume und nicht über die Schienen fahren werde, weil er sich gedacht habe: "Der wird mich schon sehen mit meiner S-Bahn." Er habe daher auch weder ein Warnsignal abgegeben noch abgebremst, ohnehin sei er etwas langsamer unterwegs gewesen als in diesem Streckenabschnitt erlaubt.

Als das Fahrzeug dann wider Erwarten im letzten Moment doch auf die Schienen gekommen sei, habe er es wohl an der vorne anmontierten Schneeschaufel erwischt und daraufhin eine Vollbremsung eingeleitet. Rund 140 Meter hinter dem Bahnübergang sei die S-Bahn dann zum Stehen gekommen. Der Unfall, sagt der 35-Jährige, sei für ihn schon ein Schock gewesen, immerhin sei es sein erster Unfall als Lokführer überhaupt gewesen. Die Entschuldigung, die der 22-jährige Angeklagte in Richtung des Lokführers und der Passagierin ausspricht, nehmen beide jedoch ohne zu zögern an. "Sie haben mir leid getan", so die 64-jährige Karlsfelderin zu dem Angeklagten.

Schwere Verletzungen und Totalschäden an den Fahrzeugen

Neben den schweren Verletzungen, die dieser erlitten hat, ist auch der Sachschaden beachtlich: Sowohl der Traktor als auch die S-Bahn gelten als Totalschaden. Allein die Reparatur des Zuges hätte 700 000 Euro gekostet und wäre laut Richter Lorenz "nicht wirtschaftlich" gewesen. Auch deshalb hält die Staatsanwaltschaft das einmonatige Fahrverbot für "sehr moderat". Dass der Angeklagte aufgrund seines Jobs als Berufskraftfahrer auf seinen Führerschein angewiesen ist, könne man daher auch nicht als Argument gelten lassen, um von einem Fahrverbot gänzlich abzusehen. Das sehen schließlich auch der Angeklagte und dessen Verteidiger ein und ziehen ihren Einspruch gegen das Fahrverbot zurück.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCorona-Langzeitfolgen
:"Eine Treppe ist für mich eine Bergbesteigung"

Nicole Röschmann besuchte eine Post-Covid-Fortbildung und wurde kurz darauf selbst zur Patientin: Heute hilft die 51-jährige Physiotherapeutin anderen am Dachauer Klinikum, nach einer Corona-Infektion wieder zu Kräften zu kommen.

Interview von Jessica Schober

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: