"Kräutergarten":Dachaus verlorener Ort

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Drohender Verfall: Die Gewächshäuser haben die Zeit überdauert. Doch sie sind inzwischen in einem erbärmlichen Zustand. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Gewächshäuser auf dem Gelände des "Kräutergartens" rotten seit Jahren vor sich hin. Dabei ist das Areal von großer historischer Bedeutung. Doch Stadt und Freistaat schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Das wirft die Frage auf: Will sich niemand kümmern?

Von Julia Putzger, Dachau

Die Gewächshäuser auf dem Gelände am sogenannten Kräutergarten in Dachau drohen zu verfallen. Schon seit Jahren wissen alle Beteiligten - allen voran die Stiftung Bayerische Gedenkstätten - um diesen Zustand. Immer wieder ist von sofortigem Handlungsbedarf und baldiger Veränderung die Rede. Trotzdem herrscht nach wie vor Stillstand.

Wer Antworten auf die Frage sucht, warum das so ist, findet sich schnell in einem System wieder, in dem Zuständigkeiten hin und her geschoben werden und scheinbar niemand die Verantwortung übernehmen möchte: Die Gedenkstätte selbst kann sich nicht zum Status Quo äußern - für diese Fragen sei die Stiftung Bayerische Gedenkstätten zuständig. Diese wiederum sieht die Verantwortlichkeit bei der Stadt Dachau, der das Gelände gehört. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), der das Areal im Namen der Stadt schon längst in die Hände des Freistaats geben wollte, findet: "Aus unserer Sicht liegt alles Notwendige für die Übernahme vor."

Es ist ein Spiel des Verweisens: Schon 2014 wies Hartmann, damals erst wenige Monate im Amt, die Stiftung und ihren Direktor, den Landtagsvizepräsident Karl Freller (CSU) zurecht, dass der Freistaat die nötigen Gelder in die Hand nehmen müsse. Freller hingegen stellte sich die Sache als Gemeinschaftsprojekt von Stadt und Freistaat vor. 2018 dann bot Dachau dem Freistaat die Flächen zum symbolischen Preis von einem Euro an - ein Angebot, das bis heute steht. Eingewilligt hat der Freistaat bisher nicht - aber nicht aus mangelndem Interesse, sondern wegen fehlender Bodengutachten zu möglichen Altlasten. Eine Formsache, wie Freller immer wieder erklärt. Denn dass der "Kräutergarten" unbedingt für Besucher und als Teil der Gedenkstätte erschlossen werden muss, stehe für ihn außer Frage.

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Dass jeglicher Fortschritt, den "Kräutergarten" in die KZ-Gedenkstätte Dachau einzubinden, seit nunmehr drei Jahren an einem fehlenden Bodengutachten scheitert, ist eine Absurdität sondergleichen.

Kommentar von Julia Putzger

Der "Kräutergarten" war ein Teil des KZ Dachau. Auf dem Grundstück östlich der Alten Römerstraße zwangen die SS-Männer Häftlinge zu unmenschlicher Arbeit. Hinter dem Projekt stand Heinrich Himmler, der mit den Bioprodukten der Plantage die deutsche Volksgesundheit verbessern wollte. Zwischen 1939 und 1945 starben auf der Plantage mehr als 800 KZ-Häftlinge, zumeist Juden sowie Sinti und Roma.

Gespräche über einen Gedenkort auf dem historisch bedeutsamen Areal wurden viele geführt. Ideen für die Nutzung und die Gestaltung einer Ausstellung auf dem Gelände gibt es spätestens seit dem Fachsymposium im Jahr 2012 genügend. Passiert ist wenig. Nach längeren coronabedingten Gesprächspausen komme das Projekt aber wieder voran, so Freller. Im Moment gebe es die Vereinbarung, dass die Stadt ein Bodengutachten zur Verfügung stellt, das für ein Nachbargrundstück bereits vorliegt und grob vereinfacht besagt, dass von diesem keine Altlasten auf das zu veräußerende Gelände des "Kräutergartens" gelangen konnten. Sobald sich das Dachauer Bauamt und das Staatliche Bauamt Freising in dieser Sache abstimmen und eine Bewertung vorliegt, kann die Übernahme erfolgen. Sollten doch noch zusätzliche Untersuchungen nötig sein, würde die Stiftung sich laut Freller mit 50 000 bis 60 000 Euro sogar daran beteiligen - und das, obwohl sie lediglich "Interessent für die spätere Nutzung und nicht Eigentümer des Grundstücks ist", wird der Stiftungspräsident nicht müde zu betonen.

Die Intention der Aussage ist klar: Sie soll die Zweifel derjenigen ausräumen, die ob des schier endlosen Verweisens und Verschiebens unsicher wurden, wie ernst das Interesse der Stiftung am "Kräutergarten" wirklich ist. Einer von ihnen: Florian Hartmann, der am Telefon scheinbar emotionslos sagt: "Ich habe mich schon damit abgefunden, dass nichts passiert."

Freller jedoch pocht auf gute Zusammenarbeit, auf gemeinsamen Ehrgeiz für die Zukunft und betont, dass keiner der heute Beteiligten etwas für die jetzige Situation könne. Vor 50 Jahren habe man eben andere Prioritäten gesetzt. Ob der guten Stimmung will er nicht "nachtarocken" - um gleich darauf doch in einem Nebensatz zu erwähnen, dass die Stadt als Eigentümerin nach wie vor auch für den Denkmalschutz zuständig sei und möglicherweise den zunehmenden Verfall der Gewächshäuser besser verhindern hätte müssen.

Prioritäten dürften allerdings auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen: In Anbetracht der zahlreichen Großprojekte, die in nächster Zeit in der Dachauer Gedenkstätte anstehen - eine neue Ausstellung soll konzipiert, die beiden Lagerbaracken renoviert, Gebäude von der Bereitschaftspolizei übernommen und in die Gedenkstätte integriert werden -, spielt die Erschließung des "Kräutergartens" wohl nur eine untergeordnete Rolle. Kapazitäten nicht nur finanzieller, sondern auch personeller Natur zum Beispiel im Staatlichen Bauamt dürften ausschlaggebend sein. "Das kann noch Jahre dauern", sagt Freller. Man brauche einen "langen Atem".

© SZ vom 28.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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