Wer die KZ-Gedenkstätte Dachau besucht und dem Tor mit der zynischen Aufschrift "Arbeit mach frei" den Rücken zuwendet, kann die ehemalige Zentrale des Terrors von weitem sehen, aber nicht betreten. Das Gebäude mit rosafarbenen Ecksteinen und prägnantem Krüppelwalmdach steht hinter einem Zaun auf dem Areal der Bayerischen Bereitschaftspolizei. An der langen Wand hat es zwölf Fenster. Eine kleine Treppe führt ins Innere des Hauses.
Darin, in der ehemaligen Kommandantur, plante und organisierte die SS von 1933 bis 1945 den Massenmord an mehr als 41 500 Gefangenen im Dachauer Häftlingslager, in dem in zwölf Jahren mehr als 200 000 Menschen aus ganz Europa eingesperrt waren. Es war der Dienstsitz der Lagerkommandanten wie Hans Loritz, Alex Piorkowski, Martin Weiß oder Theodor Eicke, der das sogenannte "Dachauer Modell" entwickelte und damit den Lagerterror systematisierte.
Sie befehligten von hier aus die Wachtruppen und leiteten den Kommandanturstab. Die ehemalige Kommandantur sei "ein Zentrum der Organisation der Verbrechen, unmittelbar in Sichtverbindung zum Lagertor gelegen", sagt Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. "Sie ist für die Erinnerungsarbeit wichtig."
Das SS-Gelände war der größte Teil des KZ Dachau. Es grenzte direkt an das Häftlingslager an. Heute befindet es sich auf dem Areal der Bayerischen Bereitschaftspolizei. Besuchern der Gedenkstätte ist der Zutritt untersagt. Jetzt will die Polizei aber drei historische Gebäude der Gedenkstätte überlassen: die ehemalige Kommandantur, das frühere Werkstättengebäude, wo sich die Lagerbäckerei befand, und das sogenannte "Trafohaus", mit dessen Hilfe der Zaun um das Häftlingslager unter Strom gesetzt wurde. Das rote Gebäude ist damit bedeutend für den Tod vieler Menschen. Aus Verzweiflung warfen sich Häftlinge gegen den Zaun, um dem Lagerterror durch Selbstmord zu entgehen.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat beim Gedenkakt zum 76. Jahrestag der Befreiung des KZ seine Unterstützung für die Erweiterung der Gedenkstätte deutlich gemacht. Angesichts zunehmender Demokratiefeindlichkeit und Hetze brauche es eine "lebendige Gedenkkultur, um die Erinnerung an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte wachzuhalten", sagte Herrmann. Die ehemalige Kommandantur sei ein "historisch bedeutender Ort". Dieser soll laut Herrmann Besuchern ab 2025 wieder zugänglich sein. Landtagsvizepräsident Karl Freller freute sich über die Nachricht seines Parteikollegen. "Die historischen Gebäude auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei haben für die Arbeit der Stiftung eine herausragende Bedeutung", sagt er.
Ab 2025 soll die Kommandantur für Besucher zugänglich gemacht werden
Für die Gedenkstätte ist es ein Durchbruch. Sie bemüht sich seit längerem um eine Vergrößerung. Konkret fehlen Räume, in denen Lehrer oder Referenten mit Schulklassen den Gedenkstättenbesuch aufarbeiten können. Zudem braucht die Verwaltung mehr Platz. Im Herbst 2019 hat die Gedenkstätte dem Freistaat ein Konzeptpapier mit Perspektivvorschlägen für die Erneuerung und Erweiterung in den kommenden Jahrzehnten vorgelegt. Darin enthalten ist die Neugestaltung des Eingangsbereichs der Gedenkstätte unter Einbeziehung der drei genannten Gebäude. Wie ein Sprecher des Innenministeriums der SZ erklärt, arbeite nun eine interministerielle Arbeitsgruppe an der konkreten Umsetzung der Erweiterung.
Auch ein grober Zeitplan steht. Aktuell ist in der ehemaligen Kommandantur der medizinische Dienst der Bereitschaftspolizei untergebracht. Doch durch einen ohnehin notwendigen Neubau auf dem Gelände werden räumliche Kapazitäten frei. Das neue Gebäude soll laut Innenministerium im Herbst 2022 fertig sein. Dann könne der medizinische Dienst umziehen. Das ehemalige Trafohaus nutze die Polizei gerade als Garage. Die Lagerflächen könnte aber auch an anderer Stelle geschaffen werden. "Die Kommandantur und das Trafogebäude können dann Besucherinnen und Besuchern zugänglich gemacht werden, voraussichtlich ab 2025", sagt der Sprecher. Etwas komplizierter scheint die Übergabe der ehemaligen Lagerbäckerei zu sein. Darin befindet sich das polizeiliche Kfz-Ausbauzentrum Südbayern. Für den nötigen Ersatzbau müsse zuerst zusätzliches Baurecht geschaffen werden, berichtet der Sprecher. Gespräche mit der Stadt Dachau seien geplant.
Christoph Thonfeld leitet die wissenschaftliche Abteilung an der Gedenkstätte. Beim "stillen Gedenken" an die KZ-Befreiung nannte er die anstehende Erweiterung der Gedenkstätte "eine Herausforderung für das nächste Jahrzehnt". Er erklärte, man wolle die ehemalige Kommandantur in Zukunft für Ausstellungen nutzen, aber auch für pädagogische Zwecke oder als weiteren Platz für die Verwaltung. Für Thonfeld ist die Erweiterung mit der Übernahme der drei Gebäude noch nicht zu Ende. Auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei steht noch immer das Gebäude, in dem zwischen 1945 und 1948 in der amerikanischen Besatzungszone fast 5000 Militärgerichtsverfahren stattfanden, die "Dachauer Prozesse".
Dachau ist ein Ort, an dem Deutsche schlimme Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen. Gleichzeitig wurden diese Verbrechen hier auch juristisch aufgearbeitet. "Auch dieses Gebäude würden wir gerne übernehmen", sagt Thonfeld. Das Problem sei allerdings, dass es sich etwas abgelegen auf dem Areal befinde und die Bereitschaftspolizei aus Sicherheitsgründen eine Nutzung ablehne.
Im Vergleich dazu wäre es logistisch kein Problem, den "Kräutergarten" in die Gedenkstätte einzubeziehen. Auf dem Grundstück östlich der Alten Römerstraße zwangen die SS-Männer Häftlinge zu unmenschlicher Arbeit. Hinter dem Projekt stand Heinrich Himmler, der mit den Bioprodukten der Plantage die deutsche Volksgesundheit verbessern wollte. Die alten Gewächshäuser haben die Zeit überdauert. Seit Jahren rotten sie vor sich hin, weil sich die Stadt Dachau und der Freistaat nicht einigen können. Die Stadt hat das Grundstück für den symbolischen Kaufpreis von einem Euro angeboten.
Doch weil die Staatsregierung Altlasten im Boden vermutet, deren Entsorgung wohl teuer wäre, zögert sie, den Deal einzugehen. Aktuell laufen allerdings Vorbereitungen für ein Gespräch zwischen der Stadt Dachau, der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, der Gedenkstätte Dachau und dem Kultusministerium "zu den erforderlichen Verfahrensschritten". Das geht aus einer Antwort des Staatsregierung auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Gabriele Triebel hervor. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege macht sich große Sorgen wegen der Gewächshäuser, die mehr und mehr verfallen. Landeskonservatorin Susanne Fischer sagte dem BR: "Da ist es kurz vor Zwölf."