Gemeinderat Karlsfeld:Vor der Flut

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Nach tagelangem Regen liefen in Karlsfeld im August 2010 die Keller voll. Die Gemeinde setzt jetzt auf ein Frühwarnsystem - der Sinn ist umstritten.

Gregor Schiegl

Wo heute Karlsfeld steht, war früher Moor. Max IV. Joseph ließ es trockenlegen, und viele Bürger fragen sich, warum die Gemeinde es nicht einfach macht wie vor 200 Jahren der Kurfürst. Würde man die Entwässerungsgräben ordentlich frei räumen, dann würde nicht mehr passieren, was im August 2010 geschehen ist, glauben viele.

Ein Frühwarnsystem an der Würm soll die Karlsfelder beruhigen, deren Keller im August 2010 überschwemmt wurden. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Tagelang schüttete es, hunderten Karlsfeldern liefen die Keller voll. Deswegen sind die Bürger seit vergangenem Sommer in Aufruhr. Es gab Unterschriftenlisten und wütende Forderungen. Mit den Pegeln ist auch die Druck auf die Politik entstanden, etwas zu unternehmen. "Unserer Bürger wollen, dass wir handeln", sagte Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) in der Sitzung des Bauausschusses.

Alexander Kohl ist zu Gast, Diplom-Ingenieur und Geschäftsführer der Grundbaulabor München GmbH. Er hat die Auswirkungen "des Bach und Grabensystems auf den Grundwasserstand" in Karlsfeld untersucht. Das Ergebnis ist ernüchternd, weil es darauf hinausläuft, dass man an der Situation im Grunde nichts ändern kann: Das Grundwasser fließt von München Richtung Dachau, von Süd nach Nord, durch Karlsfeld.

Die Gräben in den Wiesen und Feldern verlaufen ebenfalls von Nord nach Süd, mit dem Strom mit. Deswegen haben die Gräben nur einen geringen Wirkungskreis, 15 bis 20 Meter vielleicht, sagt Kohl. Den Graben zu vertiefen, würde dazu führen, dass sich der Grundwasserspiegel noch etwas mehr absenken würde, aber auch nur im direkt angrenzenden Bereich,.

"Sinnvoller" wäre es deshalb, würden die Gräben in Ost-West-Richtung verlaufen, quer zum Grundwasserstrom: Auf der nördlichen Seite des Grabens käme dann deutlich weniger Wasser an. Klingt gut, ist aber nicht so einfach. "Diese Gräben hätten enorme Auswirkung auf den Wasserhaushalt." Das müsste vom Wasserwirtschaftsamt eingehend begutachtet und genehmigt werden.

"Aber wohin wollen Sie das Wasser leiten, wenn ringsum schon überall Wasser ist?" Klaus Arzet vom Wasserwirtschaftsamt hat die ketzerische Frage schon damals in einer turbulenten Bürgerversammlung aufgeworfen. Die Überschwemmung kann man verlagern, aber nicht verhindern. Und es wird eher noch schlimmer.

Seit 1970 hat sich die Zahl der Unwetter in Deutschland verdreifacht. Infolge des Klimawandels rechnet der Versicherungskonzern Munich Re mit noch mehr Starkregen. SPD-Gemeinderätin Hiltraud Schmidt berichtet, dass nach 58 Jahren zum ersten Mal überhaupt Wasser in den Keller ihrer Eltern in der Parkstraße gelaufen sei. Dabei wurde 2010 "der maximale Wasserstand noch gar nicht erreicht", wie Alexander Kohl berichtet. Keine guten Aussichten.

"Wir werden beobachten müssen, wie sich die Grundwasserstände bei uns verändern", sagt der Bürgermeister. Dazu sollen im ganzen Gemeindegebiet neue Messstellen eingerichtet werden, die die Pegel überwachen.

Bisher hat Karlsfeld nur eine Messstelle: in der Rothschwaige, am Nordrand der Gemeinde. "Nicht sehr günstig gelegen", findet Kohl, weil die Daten "nicht unbedingt typisch für Karlsfeld" seien. Von ihnen wird aber oft auf die ganze Gemeinde geschlossen.

Die neuen Standorte sind in der Handwerkersiedlung, am Heizkraftwerk an der Münchner Straße, westlich der Bahn, an der Allacher Straße und an der Schule in der Krenmoosstraße. Die Daten sollen die Bürger online abrufen können. Aber reicht das? "Die Karlsfelder erwarten von uns mehr als nur, zu erfahren, dass sie morgen Wasser im Keller haben werden", sagt Anita Neuhaus (SPD).

Angesichts der geschätzten Kosten von 20 000 Euro und eines Millionenlochs im Haushalt spricht ihr CSU-Kollege Wolfgang Mühlich von einem "teuren Luxus", Karlsfeld könne sich das nicht leisten.

Der Bürgermeister widerspricht: "Die 20 000 sind ein Haufen Geld, aber für unsere Bürger gut angelegt." Kolbe kämpft wie ein Löwe. Auch weil die Daten vielleicht den letztgültigen Beweis liefern, dass die großen Bauprojekte in der Gemeinde - die Verlegung der Fernwärmeleitungen und die Wasserhaltung der Zwei-Hektar-Baugrube der Neuen Mitte - nichts mit den nassen Kellern zu tun haben.

Und ganz unnütz sind die Daten ja auch für die Bürger nicht: "Wir erwarten eine Art Vorwarnsystem", sagt Kolbe. Damit man wenigstens rechtzeitig Dinge aus den Keller ausräumen kann. Und sein Parteikollege Dag Hogh-Binder ergänzt: "Es nur der erste Schritt. Wir müssen den Weg weitergehen." Nur wohin, wenn das Wasser steigt und ringsum auch? Das wüsste man doch gerne.

"Wir müssen schauen, dass wir aus dem Wasser rauskommen", sagt der CSU-Gemeinderat. Und sei es nur, dass man die Keller nicht mehr so tief in den Boden legt wie etwa SPD-Gemeinderätin Christine Kofler . 30 Zentimeter über dem Boden - das reichte nicht: "Das Wasser kommt immer durch die Kellerfenster."

© SZ vom 05.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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