Protest:"Ich schäme mich für diesen Krieg"

Lesezeit: 2 min

Die Russin Madina Magomedova aus Erdweg demonstriert regelmäßig gegen die Politik Wladimir Putins und für die Freilassung eines Inhaftierten. (Foto: privat)

Die Russin Madina Magomedova aus Erdweg demonstriert regelmäßig gegen die Politik Wladimir Putins, allein mit ihrem Hund. Vor allem hofft sie auf die Freilassung eines Inhaftierten.

Interview von Jessica Schober, Erdweg

Sie lebt seit 22 Jahren in Deutschland, seit zwölf Jahren wohnt sie in Erdweg im Landkreis Dachau, seit zehn Jahren bezeichnet sie sich als Menschenrechtsaktivistin. Für ihr Herkunftsland Russland schämt sich die 59-jährige Frührentnerin Madina Magomedova jedoch so sehr, dass sie regelmäßig gegen die Politik Wladimir Putins demonstriert. Zuletzt stand sie wieder mit einem Plakat am Münchner Marienplatz - gemeinsam mit ihrem Hund Alba.

Frau Magomedova, warum haben Sie kürzlich am Münchner Marienplatz demonstriert?

Madina Magomedova: Mein Herzensthema ist das Schicksal von Alexej Pichugin. Ich will, dass die Menschen erfahren, wer ist. Er war in meinen Augen das erste Opfer einer Kampagne Wladimir Putins. Ich habe Flyer verteilt und von ihm erzählt. Er ist kein Oligarch, aber er wurde als politischer Gefangener festgenommen. Dieser Mann ist seit über 7600 Tagen eine Geisel Putins und im Gefängnis. Er wurde damals verhaftet, als der Ölkonzern Yukos zerschlagen wurde - von dem übrigens auch Europa profitiert hat.

Die NZZ berichtete vor 19 Jahren, dass Pichugin als Ex-Chef der Yukos-Sicherheitsabteilung wegen Beihilfe zum Mord zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde - obwohl es keine Leichen und einige Ungereimtheiten im Prozess gab. Er wird als am längsten inhaftierter politischer Gefangener Russlands bezeichnet. Warum geht Ihnen sein Schicksal so nahe?

Bei mir kocht innerlich alles seit Jahren. Wir alle müssen etwas unternehmen, das in unserer Kraft liegt. Seit zehn Jahren schreibe ich Briefe mit Pichugin. Von jeder meiner Aktionen schicke ich ihm ein Foto. Er sagt nur: Danke. Ich glaube, er ist ein sehr mutiger Mensch. Ich habe auch schon vor einigen Jahren 120 Stunden Hungerstreik gemacht und eine Nachricht an Angela Merkel geschickt, als Pichugin 5000 Tage im Gefängnis saß. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ihn für unschuldig befunden. Wenn jemand fast 20 Jahre unschuldig im Gefängnis sitzt, dann muss das laut gesagt werden. Wir müssen etwas über diese Menschen wissen, die da eingesperrt sind.

Und was bringt es, wenn Sie in Deutschland, gemeinsam mit ihrem Hund, gegen die Politik Putins demonstrieren?

Ich demonstrierte in München, weil ich nicht zurückkann nach Moskau - ich wurde dort 2015 verhaftet für eine Plakataktion. Auf meinem Schild stand: "Ihr habt unsere Verfassung mit Füßen getreten." Seitdem stehe ich auf einer schwarzen Liste. Ich habe schon damals geahnt, dass eines Tages ganz Europa die Geisel Putins sein würde. Mein Herz schreit. Ich schäme mich auch so sehr für diesen Krieg in der Ukraine. Ich arbeite seit zwei Jahren ehrenamtlich mit ukrainischen Flüchtlingen. Das Leid, das ich sehe und höre, ist unvorstellbar. Ich habe immer noch einen russischen Pass und ich betrachte es als meine Pflicht, darauf aufmerksam zu machen. Seit dem Tod von Alexej Nawalny sind viele Oppositionelle am Ende und haben den Glauben verloren. Nawalny hat alles getan, damit das Volk einen friedlichen Aufstand wagt. Ich weiß: Die Freiheit Russlands liegt nur in den Händen des Volkes.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusNach Irans Angriff
:"Wir Israelis werden uns nicht unterkriegen lassen"

Der Holocaust-Überlebende Abba Naor hat schon viele Attacken auf Israel erlebt. Vor dem Luftangriff der Islamischen Republik hatte er keine Angst. Er erklärt, warum in seinem Land keine Panik ausbrach.

Interview von Helmut Zeller

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: