Mahnwache:"Es ist die Aufgabe jedes Einzelnen, dem Judenhass Einhalt zu gebieten"

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150 Menschen setzen bei strömendem Regen in der Dachauer Altstadt ein Zeichen gegen Antisemitismus. (Foto: Toni Heigl)

150 Menschen setzen am Sonntagabend bei strömendem Regen in der Dachauer Altstadt ein Zeichen gegen Antisemitismus.

Von Helmut Zeller, Dachau

Marese Hoffmann, Fraktionssprecherin der Grünen im Dachauer Kreistag, hat keinen Regenschirm dabei. Die etwa 150 Teilnehmer einer Mahnwache gegen Antisemitismus vor der Schranne in der Altstadt stehen mit Laternen und Kerzenlichtern im Regen, der nicht enden will. Sonntag, 17 Uhr. Hoffmann sagt: "Das ist doch das Mindeste, dass wir Mitgefühl und Solidarität mit den Opfern zeigen." Sie meint das Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas an israelischen Zivilisten am 7. Oktober. Ungefähr 1200 Männer und Frauen, Kinder und Babys wurden hingeschlachtet, mehrere tausend Menschen verletzt, ungefähr 240 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Auch arabische Israelis und in den überfallenen Kibbuzim tätige Arbeiter aus Thailand waren unter den Opfern.

Die 150 Teilnehmer der Mahnwache wollen gegen den seit dem 7. Oktober entflammten Antisemitismus in Deutschland protestieren. Die Initiatorin Andrea Heller, Geschäftsführerin des Fördervereins für Internationale Jugendbegegnung, freut sich, wie sie sagt, über die vielen Teilnehmer trotz des schlechten Wetters. In ihrer Rede sagt sie, das Bundeskriminalamt habe seit dem 7. Oktober 2600 Straftaten bezogen auf den Krieg der Hamas gegen Israel registriert. Heller beschreibt, wie deutsche Jüdinnen und Juden seit dem Terrorangriff der Hamas unter einem entflammten Judenhass leiden. Ihr Leben habe sich drastisch verändert. Häuser, in denen sie wohnen, würden mit Davidsternen beschmiert, Hitlergrüße, Anfeindungen gegenüber dem jüdischen Sportverein Maccabi, die Wochenzeitung Jüdische Allgemeine werde mittlerweile in neutralen Umschlägen an die Abonnenten verschickt - das alles ist beschämend, wie Heller sagt, und nicht hinnehmbar. "Deshalb sind wir hier. Es ist die Aufgabe jedes Einzelnen, dem Judenhass Einhalt zu gebieten."

Die Mahnwache soll Anstoß für weitere Veranstaltungen sein

Heller hat ein breites Bündnis geschmiedet: Die KZ-Gedenkstätte Dachau, der Landkreis und die Stadt Dachau, das Dachauer Forum, die Evangelische Versöhnungskirche, der Kreisjugendring, die Dachauer Lagergemeinschaft, die Katholische Seelsorge an der KZ-Gedenkstätte und der Runde Tisch gegen Rassismus sowie der Verein Zum Beispiel Dachau. Später wird Heller sagen, sie hoffe sehr, dass diese Mahnwache den Anstoß für weitere Veranstaltungen gebe. Nötig sei eine Aufklärung über die Ursachen, die Geschichte und die Hintergründe des israelisch-palästinensischen Konflikts - um auch einmal deutlich zu machen, dass nicht Israel an allem schuld sei. "Die Mahnwache war ein klares Bekenntnis zu Israel und den jüdischen Menschen, die seit dem 7. Oktober wieder in Angst leben müssen. Sie leben in existentieller Bedrohung, ihr normales Leben ist nicht mehr möglich. Das ist für uns nicht hinnehmbar", sagt Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann. "Keineswegs wollen wir, dass wie so oft zum Tagesgeschäft übergegangen wird."

Mit Plakaten, Kerzen und Laternen setzen die Teilnehmer der Mahnwache auf dem Dachauer Schrannenplatz ein Zeichen gegen Antisemitismus. (Foto: Toni Heigl)

Fakten gingen viele Menschen durch Relativierungen und eine Täter-Opfer-Umkehr aus dem Weg. "Antisemitismus wird in der Mitte der Gesellschaft immer größer, so gut wie kein Milieu ist nicht betroffen." So sei, sagt Hammermann, diese Mahnwache auch ein Zeichen gegen den wachsenden Antisemitismus in diesem Land, ob er nun von rechts, von links oder aus Teilen der muslimischen Bevölkerung komme. Bisher gab es so viel Unterstützung für Israel nicht: Landrat Stefan Löwl (CSU) hat zuvor auf Facebook die "laue Unterstützung" in Deutschland, aber auch im Landkreis Dachau moniert. Der Landkreis Dachau und der Kreisjugendring hatten eine Mahnwache eine Woche nach dem Massaker der Hamas organisiert.

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Als erster Kommunalpolitiker hatte Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) reagiert. Am 10. Oktober, drei Tage nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, verurteilte er in der Sitzung des Stadtrates das Massaker mit scharfen Worten und forderte die Stadtratsmitglieder auf, sich zu einer Gedenkminute für die Opfer zu erheben. Zu der Veranstaltung am Sonntagabend sagte er: "Es ist eigentlich traurig, dass man so eine Veranstaltung braucht, gerade in Deutschland." Gerade wir Dachauer, so Hartmann, stünden in der Verantwortung aus der Geschichte. Dem verstärkten Antisemitismus seit dem 7. Oktober dürfe man, wie Hartmann sagt, nicht wort- und tatenlos zusehen. Deshalb habe er auch persönlich an der Veranstaltung teilgenommen. Er gibt zu bedenken, wie schlimm die Lage in Deutschland sei: Jüdische Kinder hätten Angst, sich als Juden sichtbar zu machen.

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