Dachau:Warten auf den "epochalen Durchbruch"

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Ein neues Gesamtkonzept für die Erinnerungskultur in Bayern soll Opferorte wie die KZ-Gedenkstätte Dachau stärken. Zu sehen ist davon bisher wenig.

Von Helmut Zeller, Dachau

In Dachau, so schien es damals, im Dezember 2019, macht die Erinnerungskultur in Bayern einen gewaltigen Sprung nach vorne. Am Tag vor Heilig Abend besichtigte eine sechsköpfige CSU-Delegation die KZ-Gedenkstätte Dachau. An der Spitze: Hausherr Karl Freller. Der Landtagsvizepräsident und Direktor der bayerischen Gedenkstättenstiftung sagte: "Wir brauchen einen großen Wurf, um diesem Ort und seiner Geschichte gerecht zu werden." Die Besucher, darunter Landrat Stefan Löwl, die Bundestagsabgeordnete Katrin Staffler sowie der CSU-Kreischef und Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath, nickten beifällig. Sie hatten es ja gerade gesehen: Das Internationale Mahnmal bröselt, die Gebäude weisen Schäden auf, die Ausstellung aus dem Jahr 2003 gilt als veraltet, die zwei rekonstruierten Häftlingsbaracken sind einsturzgefährdet; und der "Kräutergarten", die ehemalige SS-Plantage, verrottet.

Neue Einsichten waren das nicht, aber bei Holocaust-Überlebenden wie Ernst Grube, Präsident der Lagergemeinschaft, und Abba Naor, Vizepräsident des Comité International de Dachau (CID), wurde die Erwartung geweckt, dass die Politik nun doch handeln wird. Schon fast vier Jahre davor, im April 2016, hatte sich der damalige Dachauer SPD-Landtagsabgeordnete Martin Güll in Begleitung eines Bild-Reporters an der Gedenkstätte umgesehen. Er kehrte mit dem denkbar schlechtesten Eindruck in den Landtag zurück. Als Vorsitzender des Bildungsausschusses wollte er sich von der Ausstattung der bayerischen Gedenkorte ein Bild machen, ob sie denn überhaupt in der Lage sind, die Schüler über die Naziverbrechen aufzuklären. Das hängt auch von der Vor- und Nachbereitung einer Führung durch die Lehrkräfte ab. Doch an der Gedenkstätte Dachau gäbe es nicht einmal Räume dafür. Güll wollte mehr Geld vom Freistaat herausholen. Aber sein unangemeldeter Besuch löste in Dachau große Empörung aus, er habe sich eingeschlichen, wurde kolportiert. Trotz Dringlichkeitsantrag seiner Fraktion und einer Debatte im Plenum des Landtags geschah: nichts.

Dachau sei als "zentraler Opferort" von besonderem Interesse für die Weltöffentlichkeit

Von der Opposition lässt sich die CSU eben nichts vorschreiben, auch nicht das Gedenken und Erinnern. Aber seltsam mutete Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) an, dass der Rundgang vier Jahre später, wie er sagte, als parteiinterne Veranstaltung organisiert worden war. "Das hat mich erstaunt." In einer so bedeutsamen Frage solle man doch besser parteiübergreifend denken und wirken, meinte Hartmann, der auch im Stiftungsrat der Gedenkstättenstiftung sitzt. Nach dem Weihnachtsfest - dem letzten vor der Corona-Pandemie - gab Seidenath eine Pressemitteilung heraus. Das Statement hatte etwas ungewohnt Aufrührerisches an sich. "Wenn Freistaat und Bund viel Geld in die so genannten Täterorte investieren - ich erinnere hier nur an das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg oder den Obersalzberg -, dürfen sie Opferorte wie die KZ-Gedenkstätte Dachau nicht vergessen! Nach Nürnberg und den Obersalzberg fließt ein dreistelliger Millionenbetrag. Dies ist für die KZ-Gedenkstätte Dachau nur angebracht."

Den klaren Worten folgte im Januar 2020 ein Auftritt des Kultusministers Michael Piazolo (Freie Wähler) auf einer Pressekonferenz, der rasch klar machte, dass die Dachauer CSU-Spitze so mutig nun auch wieder nicht gewesen war - denn das Geld sollte ohnehin fließen. Der Minister sprach sogar von einer "besonderen Verpflichtung", als er ein "Gesamtkonzept" präsentierte, mit dem die Staatsregierung "die Erinnerungsarbeit an die Opfer des Nationalsozialismus und den Kampf gegen Antisemitismus ausbauen will". Zudem stehe 75 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft "generell eine Zäsur an, weil uns die Zeitzeugen langsam verloren gehen". Daher sei es wichtig, mit dem Konzept auch weiter "Lehren aus dem "beispiellosen Zivilisationsbruch" zu ziehen. Piazolo sprach von "200 Millionen plus".

KZ-Gedenkstätte Dachau
:Die Zentrale des Terrors

Die KZ-Gedenkstätte wird um drei historische Gebäude des früheren SS-Lagers erweitert: Die ehemalige Bäckerei, das Trafohaus und die Kommandantur, in dem die Verbrechen an den Häftlingen organisiert wurden.

Von Thomas Radlmaier

Dachau sei als "zentraler Opferort" von besonderem Interesse für die Weltöffentlichkeit. Er hoffe aber, dass sich der Bund an der Finanzierung der Großprojekte beteiligen wird. Nürnberg, München, Obersalzberg, Dachau, Flossenbürg und die vielen ehemaligen KZ-Außenlager - nach einer gefühlten Ewigkeit schien jetzt Bewegung hineinzukommen. Freller sprach von einem "epochalen Durchbruch für die Erinnerungskultur in Bayern, besonders für die Opferorte". Dann aber wurde es still um das "Gesamtkonzept", sehr still. Lag es schon in einer Schublade im weitläufigen Gebäude des Kultusministeriums am Salvatorplatz 2 in München. Oder war es noch in Arbeit? Das fand so richtig auch die Grünen-Landtagsfraktion nicht heraus. Deren erinnerungspolitische Sprecherin Gabriele Triebel kritisiert, es fehle an Transparenz. Das "Gesamtkonzept" erscheint ihr eher als "Merkzettel ohne klare Zielvorgaben". Sie hätte sich mehr Mut und ein "klares finanzielles Commitment" gewünscht. Von den lokalen CSU-Vertretern hört man seit dem Besuch an jenem kalten Dezembertag des Jahres 2019 ohnehin nichts mehr. In 13 Jahren - 2033 - jährt sich die Errichtung des Konzentrationslagers zum 100. Mal. Seidenath wollte bis dahin ein "Zukunftsbild" gemeinsam mit allen Akteuren der Erinnerungsarbeit konzipieren und möglichst weit umgesetzt haben. Vielleicht liegt es auch am Wahlschock - zunächst in der Kommunalwahl 2020, dann in der Bundestagswahl im September - und natürlich an Corona. Wie wird die neue Bundesregierung auf das bayerische Gesamtkonzept reagieren? Konkret: Wie viel Geld wird sie geben? Auch das ist unklar. Stiftungsdirektor Freller setzt da, wie er sagt, große Hoffnungen auf die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Dabei hat sich die Bundesrepublik im Jahr 1963 im deutsch-französischen Freundschaftsvertrag verpflichtet, die Grabstätten ehemaliger Häftlinge zu erhalten. Punkt. KZ-Gedenkstätten sind auch Friedhöfe. Alles nur heiße Luft? Nein, sagt Freller im SZ-Interview entschieden, "das ist auf den Weg gebracht". Es ist eben ein langer Weg - und begann so mühsam. Der Dachauer Landrat Heinrich Junker wollte 1955 noch das historische Krematorium abreißen. Er war auch von der CSU. Doch es hagelte weltweite Proteste. 1965 wurde die KZ-Gedenkstätte errichtet, auf Druck des CID und gegen massive Widerstände in Politik und Gesellschaft.

© SZ vom 17.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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