Dachauer Kommunalpolitik:"Was fehlt, ist das Gesellige"

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Auf der kommunalen Ebene kommen sich Politiker und Wähler so nah wie nirgendwo sonst. Eigentlich. Stadt- und Gemeinderäte tun sich in der Corona-Krise schwer, den Kontakt zu den Menschen vor Ort zu halten.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Schon Tage vor der Kommunalwahl im März waren die letzten Wahlkampfstände abgebaut und politische Veranstaltungen von zahlreichen Parteien vorsorglich im gesamten Landkreis abgesagt worden. Der 15. März, der Tag der Wahl, war gleichzeitig der letzte Tag, an dem Menschen in Bayern aktiv dazu aufgerufen wurden, das Haus zu verlassen - sofern sie nicht ohnehin schon per Brief gewählt hatten. Danach galten zunächst Ausgangsbeschränkungen, nun gelten seit ein paar Wochen nur noch Kontaktbeschränkungen. Doch auch wenn das öffentliche Leben langsam wieder hochfährt, größere Veranstaltungen sind immer noch nur unter strengen Auflagen und mit geringer Teilnehmerzahl möglich. Wie also bleiben Politiker in Zeiten der Krise mit den Bürgern und Wählern in Kontakt?

Arthur Stein, neuerdings zweiter Bürgermeister von Röhrmoos und Gründungsmitglied des Grünen-Ortsverbands, erzählt am Telefon, dass sich er und seine Parteifreunde in der Corona-Zeit einmal bei ihm auf dem Hof getroffen hätten. In der Scheune, mit reichlich Abstand. Da sei es aber eher darum gegangen, die Ergebnisse der Kommunalwahl noch einmal zu besprechen, als darum, wie man Bürger erreicht. Natürlich wolle man in Zukunft auch jüngere Menschen für die Themen der Grünen begeistern und auch runde Tische will Stein in Zukunft organisieren. Aber in der jetzigen Situation? Da mache es keinen großen Sinn, etwas zu planen, meint Stein. Alle würden doch nur über Corona sprechen. Außerdem seien etwa zu der Veranstaltungsreihe "Grünes Kino" ohnehin immer nur ein Handvoll Besucher gekommen. Es sei sinnlos, das jetzt mit viel Aufwand hygienegerecht zu planen. Und was ist mit Vorträgen per Videoübertragung? "Das sage ich Ihnen ganz ehrlich: Da sind wir überfordert." Vier in der Gruppe seien schon 70 und dann komme er selbst mit 61 Jahren, ein sogenannter Digital Native ist keiner von ihnen. Zwar gebe es wenige, die sich mit Facebook auskennen und ab und zu etwas posten würden, aber das sei dann auch schon alles.

"Ich weiß noch nicht, wie wir das durchführen sollen"

Ähnlich ergeht es Harald Sprattler. Er ist Vorsitzender des Vereins der Freien Wähler (FW) in Petershausen und sagt, es sei gerade nicht so einfach, in Kontakt zu bleiben. Vor allem jene, die bei der Wahl für die FW angetreten seien, wolle man nicht verlieren. "Es wäre schade, wenn das im Sande verläuft und wir dann in sechs Jahren wieder bei null anfangen müssen", so Sprattler. Auf Facebook und Instagram würde zwar hin und wieder etwas geteilt, aber da sei die Wirkung "nicht so gewaltig". Sicherlich habe das aber auch damit zutun, dass man in der Vergangenheit in diesen Bereich zu wenig Zeit investiert habe, gibt Sprattler zu. Sorgen, potenzielle Wähler durch fehlende Präsenz verlieren, macht er sich jedoch nicht. "Das gleiche Problem wie wir haben ja sämtliche Parteien und Gruppierungen gerade." Wie Stein glaubt auch Sprattler, dass die Menschen ohnehin kein Interesse an etwaigen Veranstaltungen hätten. Und wenn er jetzt den Parteivorsitzenden Hubert Aiwanger oder die Europaabgeordnete Ulrike Müller einladen würde, dann würden die ihm doch den Vogel zeigen. Sorge bereitet dem Vereinsvorsitzenden etwas ganz anderes: In diesem Jahr sollten eigentlich die Hauptversammlung sowie Neuwahlen stattfinden. "Ich weiß noch nicht, wie wir das durchführen sollen", sagt Sprattler. Per Mail könne er vielleicht 90 Prozent der Leute erreichen, aber eine Telefon- oder Videokonferenz sei "nicht machbar". Ein Glück, dass er die Versammlung im Notfall verschieben kann. Um seinen Posten als Vorsitzender werde sich wohl ohnehin niemand reißen, glaubt Sprattler.

Unabhängig von politischer Couleur und Gemeinde fällt auf, dass abgesehen von ein paar Posts in den sozialen Netzwerken in den vergangenen Wochen vergleichsweise wenig unternommen worden ist, um eigene politische Akzente zu setzen. Die Corona-Krise ist auch für die Politiker im Landkreis eine Zeit zum Innehalten. Für politische Weisung richten sich die Blicke derzeit auf die Landes- und Bundesebene. Gemeinde-, Stadtrats- und Kreistagssitzungen finden in den Landkreisgemeinden auch in Zeiten der Krise wie gewohnt statt, wenn auch mit reichlich Abstand. Wichtige politische Entscheidungen werden somit nicht verschoben, nur gibt es weniger Gelegenheiten, die breite Öffentlichkeit davon zu unterrichten. In einigen Sitzungen wurde anlässlich dessen erneut darüber diskutiert, ob es nicht möglich wäre, die Sitzung live im Netz zu übertragen, Anträge und Beschlussvorlagen vorab auf der jeweiligen Homepage zum Download bereit zu stellen - bislang stießen diese Vorschläge jedoch weder in Dachau noch in Karlsfeld auf allzu viel Zuspruch. Wie bei vielen anderen Entscheidungen spielt auch hier der Faktor Geld eine Rolle. Was nicht umgesetzt werden muss, wird lieber vertagt.

"Zoom den Landrat"

Sören Schneider geht entspannt mit der Situation um. Der Vorsitzende der Dachauer SPD sagt, man setze lieber auf wenige, dafür aber "qualitative Kontakte", sowohl im echten Leben, als auch in den sozialen Netzwerken - auch ganz unabhängig von der Krise. Darüber hinaus gehe die parteipolitische Arbeit aber kontinuierlich weiter. Sofern es aber keinen Anlass gebe, aktiv zu werden, werde man abwarten, wie sich die Lage entwickle und kein Risiko eingehen. Auch deshalb finden Sitzungen derzeit intern nur per Videokonferenz statt.

In der Zeit vor der Krise hatte Landrat Stefan Löwl (CSU) in der Regel vier bis fünf Abendtermine, aktuell sind es nur noch zwei bis drei. Die meisten davon finden nach wie vor per Video oder Telefon statt. Vieles davon sind natürlich interne Gespräche, aber zusammen mit dem Kreisjugendring war er etwa auch bei "Zoom den Landrat" dabei, um sich mit jungen Landkreisbewohnern auszutauschen. In der Hochphase der Verunsicherung habe er sich zudem auf Facebook in Diskussionen eingeschaltet, sagt Löwl. Durch die veränderte Kommunikation erreiche man jetzt auch Menschen, die man vielleicht vorher nicht erreicht habe, sagt er. Deshalb wolle man das in Zukunft auch in Teilen beibehalten. Er nennt das "Hybridveranstaltungen", halb analog, halb digital. Das sei eine Errungenschaft, auch wenn er, der sonst immer das Gespräch sucht, den Small Talk vor und nach Veranstaltungen vermisst: "Was fehlt, ist das Gesellige."

Sabrina Spallek (Grüne) ist ein Neuling in der Gemeindepolitik von Haimhausen, doch Berührungsängste hat sie keine. Für den Besuch beim Bäcker plane sie, sagt die dritte Bürgermeisterin halb im Scherz, immer eine halbe Stunde mehr ein, denn immer gebe es jemanden, der mit ihr sprechen wolle. Oft gehe es zwar dann eher um sie als Politikerin und weniger um Kommunalpolitik generell, aber ein Austausch mit Bürgern finde ja dennoch statt.

Als Service für Bürger hat der Haimhausener Ortsverein der Grünen gerade Flyer drucken lassen, auf denen alle wichtigen Nummern für den Notfall aufgelistet sind. Die Flyer sollen nun an alle Haushalte verteilt werden. Ansonsten laufe die Kommunikation mit den Bürgern vor allem über das "sehr beliebte" Gemeindeblatt, sagt Sabrina Spallek. Dort will sie nach einer Aufräumaktion mit dem Stand Up Paddle nun auch einen Artikel zum Thema Müllsammeln schreiben. Gerade jetzt könnte solch eine Müllsammelaktion ja auch ein Zeitvertreib für die ganze Familie sein. Vor allem die Kinder würden die Greifzangen lieben, die man sich zu diesem Zweck bei der Gemeinde ausleihen kann. Ihre Erfahrungen könnten alle Teilnehmer ihr per E-Mail zukommen lassen können, sagt die Grünen-Politikerin. Es ist eine von vielen Möglichkeiten, um auf kommunaler Ebene in Zeiten der Krise im Austausch mit den Bürgern zu bleiben.

© SZ vom 16.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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