Zwangspause für DJs:"Die Energie des Publikums fehlt"

Lesezeit: 4 min

Ganz in ihrem Element: Alma Detloff am DJ-Pult im Münchner Club "Harry Klein". (Foto: Peter Krieger/oh)

Seit einem Jahr sind die Clubs geschlossen. Alma Detloff legt trotzdem weiter Musik auf und streamt ihre Auftritte. Aber richtige Partystimmung will ohne tanzende Nachtschwärmer nicht aufkommen. Ein Gespräch über eine Kunstform in Gefahr: das Feiern.

Interview von Benjamin Emonts

Fast 15 Jahre lang hat Alma Detloff, Künstlername "Alma", jedes Wochenende in Clubs und auf Festivals elektronische Musik aufgelegt. Als ihre zweite Tochter zur Welt kam, wollte sie eine Babypause einlegen, doch Corona legte das Nachtleben lahm. Auf ihr Comeback vor Publikum wartet die Altomünstererin seit Frühjahr 2020. Im Gespräch schildert die 38-Jährige, was die Zwangspause mit jemandem macht, der sich jahrelang über das Auflegen definiert hat.

SZ: Alma, können Sie sich überhaupt noch erinnern an Ihren letzten Auftritt vor richtigem Publikum?

Alma: Klar, der war im August 2019 im Harry Klein, von Corona hatte damals noch niemand eine Ahnung. Ich war im siebten Monat schwanger und hatte entschieden, dass es mein letzter Auftritt vor meiner Babypause werden würde. Im Frühjahr 2020 wollte ich dann wieder einsteigen. Doch daraus wurde nichts, aus den bekannten Gründen.

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Wie war der Abend?

Er war schön, aber auch anstrengend. Als Schwangere fällt es einem schwerer, bis drei Uhr nachts aufzulegen, man ist schneller müde und spürt oft das Baby im Bauch, weil die Bässe doch ziemlich laut sind. Und natürlich kam auch ein bisschen Wehmut dazu, weil ich wusste, dass es mein vorerst letzter Auftritt sein würde.

Aus der Babypause sind inzwischen eineinhalb Jahre ohne Partys geworden. Was macht das mit Ihrer Psyche?

Es tut schon weh, nicht mehr vor Publikum spielen zu können, das Auflegen war für mich eine schöne und wichtige Abwechslung zum Muttersein und zum Kinderbehüten. Zudem ist es meine große Leidenschaft und auch Einnahmequelle. Aber es könnte natürlich auch schlimmer sein. Seit meine zweite Tochter da ist, habe ich wahnsinnig viele Familiensachen zu tun. Ablenkung habe ich gerade wirklich genug.

Sie wollen sagen, dass die Pandemie Sie früher härter getroffen hätte?

Die Lockdowns und Kontaktbeschränkungen hätten mich richtig umgehauen. Das Nachtleben war wie ein Anker für mich, das Auflegen und Partys waren der Mittelpunkt meines Lebens, aus dem ich Bestätigung und Selbstbewusstsein gezogen habe. Wenn das alles weggebrochen wäre, hätte ich ein echtes Problem gehabt.

Sie und Ihre Kollegen streamen jetzt regelmäßig aus den Clubs ins Internet. Wie fühlt es sich an, in einem Club ohne Menschen Musik zu spielen?

Für mich ist das schwierig. Ich musste schon früher manchmal aufpassen, dass ich das Publikum nicht vergesse, weil ich beim Auflegen in meine Gefühlswelt eintauche und eher zurückhaltend und in mich gekehrt bin. Beim Streamen muss ich jetzt noch mehr darauf achten, dass ich genug Regungen zeige. Manchmal fühlt sich das an wie ein Promo-Job. Die Energie des Publikums fehlt. Du kannst nur hoffen, dass da draußen jemand zusieht und sich freut.

Ist Ihre Musikauswahl auch anders, wenn keine Leute um sie herum sind?

Vor Publikum wird man vermutlich in eine andere Richtung getrieben, ohne dass ich jetzt genau sagen könnte, in welche. Die Energie reißt einen da einfach anders mit. Beim Mixen vor der Kamera ist man noch mehr darauf bedacht, keine Fehler zu machen, weil die Leute zu Hause viel mehr mitbekommen als in einem lauten, stickigen Club. Jedes Set können sie daheim 1000 Mal nachhören.

Welche Auswirkungen hat die Situation finanziell für Sie?

Ich habe das Glück, mehrere Standbeine zu haben. Ich lege auf Promo-Veranstaltungen auf und arbeite als freiberufliche Kommunikationswirtin. Trotzdem fallen mir 50 Prozent meiner Einnahmen weg, weil sich meine Arbeit fast immer um Veranstaltungen dreht. Wenn ich alleine wäre und keinen berufstätigen Partner hätte, müsste ich mir neben der Kindererziehung zusätzliche Nebenjobs suchen in Bereichen, die mir fremd sind.

Haben Sie staatliche Hilfe bekommen?

Nein, das ist in meiner Situation sehr schwierig, weil ich aus dem Raster falle. Ich bin weder Solo-Selbständige noch freiberufliche Musikerin noch in der Künstlersozialkasse, was Voraussetzung für eine Unterstützung ist.

Das Nachtleben ist die einzige Branche, die noch keinerlei Aussichten auf eine zeitnahe Wiedereröffnung hat. Wie ist die Stimmung in der Szene?

Die meisten in meinem Umfeld sind keine hauptberuflichen DJs, sie haben noch andere Standbeine, auf die sie sich jetzt mehr konzentrieren. Viele haben wie ich glücklicherweise auch einen Geld verdienenden Partner oder eine Partnerin, die die Familie weiter ernähren kann. Oder andere arbeiten jetzt als Lagerist oder Verkäufer. Irgendwie wurschteln sich alle durch.

Was ist mit den Clubs?

Die Clubbesitzer haben nach meinem Gefühl die große Hoffnung, dass es Anfang Sommer wieder losgeht, doch wenn das nicht passiert, wird es für viele wirklich zappenduster. Für meinen Resident-Club, das Harry Klein, gab es aktuell glücklicherweise die Kulturhilfe von der Stadt München für die Live-Streams und wir haben zwei Crowd-Funding-Aktionen gestartet. Aber dieses Geld wird auch bald aufgebraucht sein. Bislang halten alle noch den Kopf über Wasser. Am Ende werden wohl nur die überleben, die aus der Situation das Beste machen und gute Überlebensstrategien entwickeln.

In der jüngsten Exit-Strategie von Bund und Ländern kamen Clubs nicht vor. Vermissen Sie den Rückhalt der Politik?

Ich finde das ziemlich traurig, weil Clubs genauso zum Kulturgut gehören wie Theater und Museen, auch wenn manche das nicht so sehen. Es sollten doch alle angesprochen werden, die Hilfe brauchen.

Vor der Pandemie galt die Feierszene als unverwüstlich. Was wird sich durch Corona ändern in der Clubkultur?

Ich befürchte, dass sich in den kommenden zwei Jahren noch nichts normalisieren wird, aber früher oder später werden die Clubs wieder voll sein. Vielleicht hat die Krise den Leuten auch ein bisschen zu denken gegeben. Vor Corona ging es mit den Partys immer nur höher, schneller, weiter, es folgte ein großes Festival auf das nächste und jeder DJ, der nur ein bisschen erfolgreich war, flog um die halbe Welt. Das war vielleicht zu viel. Ich vermute, dass besonders am Anfang die Städte und Clubs auf ihre eigenen DJs setzen, um Reisekosten zu sparen und Flüge zu vermeiden. Viele Residents haben in der Krise auch geholfen, ihre Clubs am Leben zu halten. Vielleicht weiß man sich in der Szene jetzt mehr zu schätzen. Das fände ich gut.

Wenn Partys mit Publikum wieder erlaubt sind, wie wünschen Sie sich Ihren ersten Gig?

Ich wünsche mir eine ebenerdige Bühne nahe an den Leuten, eine intime Runde. Es ist schwitzig, man kommt sich nahe, alle tanzen, lassen sich gehen und es ist einfach nur schön.

© SZ vom 20.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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