BR-Portrait über Max Mannheimer:Ganz nah dran

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Mit fast 93 Jahren ist Max Mannheimer immer noch als Mahner und Erinnerer unterwegs. Der Journalist Peter Dermühl hat ihn mit einem Kamerateam begleitet - Ergebnis ist das Porträt "Ich kann nicht hassen".

Gregor Schiegl

Als Max Mannheimer 1945 aus dem KZ befreit wurde, hatten die Nazis bis auf seinen Bruder Edgar alle Familienmitglieder ausgelöscht. Jetzt ist der fast 93-Jährige wieder zuhause in einer großen munteren Familie mit fünf Urenkeln. (Foto: N/A)

Auch mit 92 Jahren ist Max Mannheimer immer noch ein Charmeur. Er bezirzt die Schauspielerin Iris Berben, wie sehr er sich freue, "mit einer schönen Frau auf der Bühne zu sitzen". Als er kurze Zeit später auf dem Podium der Münchner Kammerspiele mit gebrochener Stimme von dem Leiden erzählt, das die Nazis über die Menschen, über seine Familie, über ihn gebracht haben, bekommen die Zuhörer feuchte Augen. Auch Iris Berben streicht sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Das sieht nur, wer ganz nahe dran ist.

Peter Dermühl war ganz nah dran. Ein halbes Jahr lang hat der 66-jährige Journalist Max Mannheimer mit einem Kamerateam begleitet. So ist das Portrait mit dem Titel "Ich kann nicht hassen" entstanden, das heute Abend um 22.45 Uhr im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt wird. "Ich habe nur etwas angerissen, angetippt", sagt Peter Dermühl. Mehr ist wohl kaum möglich im Rahmen von 45 Minuten Sendezeit über einen Mann mit einer so dramatischen, bedrückenden und zugleich dank Mannheimers Naturell so trotzig lebensbejahenden Geschichte.

Max Mannheimer ist dem Tod oft begegnet. Die Nazis deportierten seine Familie 1943 nach Auschwitz. Von den acht Familienmitgliedern überlebten nur er und sein Bruder Edgar das KZ Theresienstadt, das KZ Warschau und das KZ Dachau - mit knapper Not, abgemagert bis auf die Knochen, von Typhus geschwächt. 1964 wähnte sich Max Mannheimer todkrank und schrieb als Erinnerung für die Nachwelt sein "Spätes Tagebuch". Und jetzt ist er immer noch unterwegs als Mahner und Erinnerer. "Der Terminkalender quillt über", heißt es im Film über den Unermüdlichen. "Er schont sich nicht." Aber irgendwann wird er diese Mission beenden müssen.

Aufklärung ohne Zeitzeugen werde sehr schwer werden, sagt der Extremismus-Forscher Klaus Schröder von der Freien Universität Berlin, denn sie wirkten immer noch am stärksten. "Sie sind eindrucksvoll, sie hinterlassen Spuren auch im historischen Gedächtnis von Menschen, gerade von Jugendlichen." Filme können diese Lücke nicht füllen. Aber zumindest könnten die Filme Fragen der Zuschauer beantworten, sagt Mannheimer. Und das ist es auch, was Dermühl will: "Leute informieren". Das, was man als Journalist eben so macht.

Es ist nicht der erste Film über Max Mannheimer: Die Münchner Filmemacherin Carolin Otto hat ihm ein Denkmal gesetzt mit dem Dokumentarfilm "Der weiße Rabe". Es ist eine liebevolle, durchaus persönliche Hommage. Dermühl hat den Film gesehen, zumindest Teile davon, "aber ich wollte mir ganz persönlich ein Bild von diesem Mann machen." Mannheimer habe es ihm sehr leicht gemacht und auch Nähe zugelassen: Gemeinsam besuchten sie die Überreste des Außenlagers Mühldorf, wo Mannheimer als 25-Jähriger erleben musste, wie die Mithäftlinge unter den mörderischen Arbeitsbedingungen neben ihm tot umfielen und er dachte: Gut, dass es nicht dich erwischt. "Man musste so denken, um das zu überleben." Es ist ein Ort voll schmerzlicher Erinnerungen, die Mannheimer auch mit 92 Jahren noch einholen.

"Ich war in manchen Momenten kurz davor zu sagen: Macht die Kameras aus", sagt Peter Dermühl. Mannheimer habe aber mit seiner seelischen Stärke diese schwierigen Augenblicke am Ende doch immer selbst gerettet. "Natürlich kann man die Emotionen nicht einfach abschalten", sagt Max Mannheimer der SZ. "Aber man wird über die Jahre auch ein bisschen immun." Er hat sich diesen schwierigen Momenten schon oft ausgesetzt. Und er hat auch immer wieder Hilfsmittel eingesetzt, um diese schrecklichen Erinnerungen auszuhalten: Tabletten, seine Malerei und das Reden. Immer wieder das Reden. Seine Arbeit als Zeitzeuge, sagt er, sei auch so eine Art Therapie für sich selbst.

Anders als Carolin Otto hat sich der Journalist Dermühl strenge professionelle Distanz zu seinem Protagonisten auferlegt. Heute duzen sie sich zwar, aber während der Dreharbeiten war Max immer "Herr Mannheimer". Mehrfach zitiert Dermühl den Grandseigneur des Nachrichtenjournalismus Hanns Joachim Friedrichs im Gespräch mit der SZ: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache." Er habe auch gebohrt und nachgehakt. Das, was man als Journalist eben so macht. "Es war nicht immer harmonisch."

Die Verleihung des Europäischen Karlspreises der Sudetendeutschen Landsmannschaft an Max Mannheimer vor drei Monaten sei so eine "haarige Geschichte" gewesen: In der Laudatio konnte man den Eindruck gewinnen, den Vertriebenen sei das gleiche Unrecht widerfahren wie den Überlebenden des Holocaust. "Sie haben sich seiner bedient, und Max Mannheimer hat das zu spät erkannt", sagt Peter Dermühl. Auch solche bitteren Erkenntnisse gibt es, wenn man bohrt und nachhakt.

Im Film klingt der Konflikt lediglich am Rande an, aber das ist letztendlich wohl auch nicht der entscheidende Punkt. Preise seien nur Dekoration, sagt Max Mannheimer im Kreis seiner Familie. Die Menschen sind ihm wichtiger. Vor allem die jungen, denen er immer wieder erklärt, sie seien nicht verantwortlich für die Gräueltaten der Nazis - wohl aber, dass sich Derartiges nie wiederhole.

Im Gespräch mit einem ehemaligen Mithäftling scherzt er, er werde mit hundert in Pension gehen. Lediglich dieses eine Detail muss man als überholt betrachten: Max Mannheimer teilte per Fax mit, er habe jüngst mit einer Pianistin telefoniert, die das KZ Theresienstadt überlebt hat und jetzt in London lebt; die Dame ist 109 Jahre alt. Erst vor wenigen Tagen habe er eine 103-jährige Jüdin aus Kattowitz getroffen, die unter falscher Identität in Paris überlebt habe. "Angesichts dieser Beispiele finde ich es nicht richtig, mit 100 Jahren in Rente zu gehen und lasse den Termin offen." Am morgigen Mittwoch feiert Max Mannheimer seinen 93. Geburtstag.

© SZ vom 05.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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