Amtsgericht Dachau:Nein heißt Nein

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Der Fall des 18-jährigen Karlsfelders wird vor dem Dachauer Amtsgericht verhandelt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Vor dem Amtsgericht Dachau wird ein 28-jähriger Münchner wegen Vergewaltigung einer 21-jährigen Landkreisbewohnerin zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Verteidigung kündigt an, Berufung einzulegen.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Das Urteil des Schöffengerichts lässt keinen Zweifel daran: Ein Nein ist auch dann ein Nein, wenn kurz zuvor noch ein einvernehmlicher Kuss stattgefunden hat und über mehrere Monate sexuell explizite Chatnachrichten ausgetauscht worden sind. Ein 28-jähriger Münchner, der eine sieben Jahre jüngere Frau aus dem Landkreis Dachau vor zwei Jahren vergewaltigt hat, obwohl diese ihn mehrfach angefleht hatte, aufzuhören, wird daher vor dem Dachauer Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Seine Verteidigerin kündigt noch in der Verhandlung an, Berufung gegen das Urteil einlegen zu wollen.

Der Angeklagte bestreitet die Tat, Angaben will er weder zum Tathergang noch zu seiner Person machen. Somit bleibt dem Gericht nur die Aussage der heute 21-Jährigen. Ihren Aussagen zufolge ist am Abend des 10. Juli 2020 Folgendes passiert: Mit dem Angeklagten hatte sie bereits über mehrere Monate via Facebook hin- und hergeschrieben. Später wird man erfahren, dass sich die beiden dabei teilweise detailreich über sexuelle Vorlieben ausgetauscht haben. Vorherige geplante Treffen sagt die Geschädigte immer wieder kurzfristig ab, "ich hatte so ein schlechtes Gefühl" - heute wisse sie, warum.

Schließlich verabreden sie sich aber doch, um 23 Uhr am Dachauer Bahnhof. Weil es regnet, umarmen sie sich nur kurz und steigen dann in ihr Auto, um sich dort kurz zu unterhalten und danach zu entscheiden, wo sie noch etwas trinken gehen wollen - so denkt sie zumindest.

"Ich habe die ganze Zeit gesagt: Nein, hör auf, ich will das nicht."

Doch der damals 26-Jährige, der zu diesen Zeitpunkt offenbar bereits verheiratet ist, hat andere Pläne: Er fragt die junge Frau zunächst, ob sie sich nicht noch einmal richtig umarmen wollen. Sie willigt ein, er küsst sie ungefragt. Als sie irritiert zurückweicht und ihm sagt, dass ihr das zu schnell gehe, sie hätten sich ja gerade erst kennengelernt, sagt er, er könne sich bei ihr "einfach nicht zusammenreißen". Sie habe sich dann gedacht, so erzählt sie, dass Küssen ja nicht so schlimm sei.

Der Angeklagte versteht den nun erwiderten Kuss offenbar als Einladung weiterzugehen, er beißt sie mehrfach in die Unterlippe, schiebt sich über sie auf dem Beifahrersitz, drückt ihr so fest den Hals zu, dass sie kaum noch Luft bekommt. Als sie japst, lässt er von ihr ab. Nach Minuten des Schweigens versucht er, sie zu sich auf den Sitz zu ziehen. Als das nicht gelingt, drückt er ihren Kopf in Richtung seines plötzlich unbekleideten Genitalbereichs.

Sie schafft es wieder, ihn auf seinen Sitz zurückzudrücken. Wieder schweigen sie sich kurz an, bevor der Angeklagte sich erneut auf ihre Seite schiebt. Dieses Mal drückt er sie mit der einen Hand in den Sitz, die andere Hand schiebt er unter ihre Unterhose und dringt "mit mindestens zwei Fingern" in sie ein. Als sie es dieses Mal schafft, ihn von sich zu schieben, steigt er nach einem kurzen Moment der erneuten Stille aus. "Ich habe die ganze Zeit gesagt: Nein, hör auf, ich will das nicht", sagt die Geschädigte. Ans Aussteigen und Weglaufen, das erklärt sie auf Nachfrage, habe sie nicht gedacht. "Ich war geschockt."

"Ich habe mich geschämt"

Als er schließlich von ihr ablässt, sendet sie ihrer Cousine eine Sprachnachricht und schildert, was geschehen ist. Diese rät ihr, zur Polizei zu gehen. Das will die damals 19-Jährige jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht: "Ich habe mich geschämt". Auf den Rat ihrer Cousine macht sie aber Fotos von den Würgemalen am Hals und ihren angeschwollenen Lippen. Zehn Tage nach der Tat geht sie mit diesen Fotos doch zur Polizei.

Seitdem sind zwei Jahre vergangen, doch der Geschädigten geht es immer noch schlecht. So schlecht, dass sie nun eine Therapie beginnen möchte. In einem ersten Gespräch sei, so erzählt sie, der Verdacht geäußert worden, dass sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer dadurch ausgelösten Depression leiden könnte.

Die Verteidigung will das alles nicht so recht glauben: In den unterschiedlichen Vernehmungen seien die zeitlichen Abläufe, so sagt die Anwältin, nicht übereinstimmend. Wann etwa das mit dem Würgen passiert sein soll, sei unklar. Auch will der Verteidigerin nicht einleuchten, wie ihr Mandant sich in dem kleinen Auto so viel hin und her bewegt haben soll.

Die Verteidigerin will von der als Zeugin geladenen Cousine und dem mit der Geschädigten befreundeten Zeugen wissen, ob diese in der Vergangenheit jemals physisch auffällig gewesen sei und ob sie sich vielleicht mal die Lippen habe aufspritzen lassen. Die Echtheit der Bilder zweifelt sie an. Außerdem sagt sie, frage sie sich, warum die angeblich so guten Freunde keine oder nur sehr wenig über das angeblich Passierte wissen. Und noch etwas beschäftigt die Verteidigerin: Hat womöglich die Cousine, die selbst vor Jahren Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden ist, die Geschädigte zu einer Anzeige gegen ihren Mandaten gedrängt?

Ein Motiv für eine "Falschbelastung" sei nicht erkennbar

In ihrem abschließenden Plädoyer fordert die Verteidigern einen Freispruch für ihren Mandaten. Bei einer "Aussage-gegen-Aussage-Situation" brauche es laut Bundesgerichtshof mehr Beweise. Es brauche ein Sachverständigengutachten, das kläre, ob die beschriebene Tat physikalisch überhaupt möglich ist, ebenso wie einen Rechtsmediziner, der prüfe, ob die Wunden auf den Bildern von einem Würgegriff stammen können. Es sei, so die Verteidigerin, durchaus möglich, dass sich die Geschädigte nur habe "wichtig machen wollen", vielleicht sei sie ja eine, "die spinnt".

Der Angeklagte setzt in seinen letzten Worten an zu erklären, dass die Geschädigte wohl einfach nur beleidigt gewesen sei, weil er "abgeturnt" gewesen und gegangen sei. Zu weiteren Ausführungen kommt es nicht, seine Verteidigerin untersagt ihm einmal mehr das Wort.

Doch auch ohne eine richtige Aussage des Angeklagten widersprechen sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch die Nebenklägervertreterin der Einschätzung der Verteidigung: Für sie steht fest, dass die Vergewaltigung sich im Wesentlichen so zugetragen hat, wie beschrieben. Ein Motiv für eine "Falschbelastung" sei nicht erkennbar. Beide fordern eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten.

Auch Richter Christian Calame und die Schöffen sind überzeugt, dass der Angeklagte sich "gewaltvoll" etwas genommen hat, von dem er glaubte, es stünde ihm zu. Dabei habe er den "Willenswechsel" der 21-Jährigen einfach ignoriert, dabei gelte ein Nein von genau der Sekunde an, in der es geäußert werde - verbal, wie nonverbal.

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