Lebensgefühl und Corona:Von Sehnsüchten und verwirrenden Gefühlen

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All die widersprüchlichen Coronagefühle auszubalancieren ist anstrengend. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein gefühlsverwirrter Münchner hat normalerweise viele Möglichkeiten, seine Innenwelt zu beruhigen. Doch in Corona-Zeiten ist das schwierig.

Kolumne von Laura Kaufmann

Eine der seltsamen Coronakrisen-Begleiterscheinungen ist es, dass der Mensch Zustände vermisst, von denen er niemals gedacht hätte, sie jemals zu vermissen. In einem voll besetzten U-Bahn-Abteil gegen seine Mitmenschen gepresst zu werden und sich dabei über deren Körperausdünstungen zu ärgern, zum Beispiel. Oder hinter dem Wort Aerosol nicht mehr zu vermuten als eine luftige Schweizer Schokolade. Wäre das schön! Mit diesen Sehnsüchten verhält es sich ähnlich wie mit der Lust des Nichtrauchers auf eine Zigarette, wohl wissend, dass er sie nicht mehr haben kann, aber auch wissend, dass es so vernünftiger ist.

Mancher Sehnsucht konnte Linderung verschafft werden. Auf der Terrasse des Lieblingscafés sitzen zum Beispiel. Einen lieben Menschen in den Arm nehmen. Wobei sich das eine oder andere im Nachhinein noch nicht richtig anfühlt. Was, wenn der jetzt doch...? All die widersprüchlichen Coronagefühle auszubalancieren ist anstrengend. Wie schön der Anblick von glücklichen Münchnern ist, die am Isarufer die Sonne genießen! Aber sitzen die nicht zu nah? Und die Gewissensbisse wegen einer Umarmung in der Familie? Das sind Gefühle, an die man sich nicht gewöhnen will, aber sind sie gerade dennoch nicht berechtigt?

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Ein gefühlsverwirrter Münchner hat normalerweise viele Möglichkeiten, seine Innenwelt zu beruhigen. Manches davon fällt allerdings flach. Einen Hausberg am Sonntag zu erklimmen, das ist vielleicht noch nichts. Bahnen ziehen im Müllerschen Volksbad, der Vollrausch in der Eckboazn oder eine durchtanzte Nacht im Club, das ist ganz sicher noch nichts.

So ist man schnell wieder bei den Sehnsüchten. Wer hätte geahnt, sich einmal heftig nach Gemeinschaftserlebnissen zu sehnen? Nach donnerndem Applaus im Theatersaal, nach Gedränge auf dem Festivalgelände? Nach ausgelassenen Geburtstagspartys? Natürlich ist es gerade vernünftiger so, die schönen Augenblicke fehlen trotzdem. Anders als beim Aufgeben von Zigaretten und anderen ungesunden Vorlieben und Süchten ist der feine Unterschied jetzt aber, dass diese schönen Augenblicke wieder kommen werden. Ganz ohne Gewissensbisse.

© SZ vom 02.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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