Wer traut sich zu singen? Die Traumata aus dem Musikunterricht sitzen tief. Alleine vor Publikum ein Lied anzustimmen - schwitz! Aber in der Masse tönt man stark. Deshalb wird gerade so viel gesungen wie seit Gotthilf Fischers Massenaufläufen mit seinen Chören in den Achtzigerjahren nicht mehr: In den Fan-Kurven der Fußballstadien, beim Mantra-Chanten in den Yoga-Studios, wenn Maestro Mano Ezoh Zig-Tausende Laien zum Gospel-Weltrekordversuch in der Olympiahalle zusammenbringt und bei den "Rudelsingen"-Veranstaltungen, wo jeder einfach Karaoke-mäßig mitträllern kann.
Gut, so weit wie in Österreich, wo der nationale Chorwettbewerb im Fernsehen übertragen wird wie bei uns die Bundesliga, sind wir noch nicht. Aber Chöre haben in München gerade großen Zulauf. Etwa 300 Gesangsvereine gibt es hier, vom Bayerischen Sing-Kreis St. Georg und klassischen Liederkränzen über den Polizeichor und Barbershop- und A-cappella-Ensembles bis zum Shanty-Chor Isar-Möven.
Den größten Ansturm gibt es auf jene Gruppen, die man vielleicht unter dem Begriff "Szenechöre" zusammenfassen kann. Der 1. Münchner Kneipenchor hat damit vor vier Jahren angefangen, Biertrinken und Singen - "mit Anspruch!" - zu verbinden. Heute ist er so überlaufen, dass sich ein für alle offener Ableger gegründet hat.
Der Bud- Spenzer-Heart-Chor singt im Jeans- und Holzfäller-Look nur Lieder aus den Filmen des Schauspielerriesen. Und der Kösk-Chor probt in einer Subkultur-Galerie. In allen stand anfangs das Gemeinschaftsgefühl vor der Sangeskunst - das ändert sich gerade. Wir stellen vier Ensembles vor.
Bud-Spenzer-Heart-Chor
Wenn sich an diesem Dienstag der Todestag der Haudrauf-Ikone Bud Spencer jährt, erreicht ein Chor aus Giesing einen Höhepunkt in seiner jungen Geschichte. Zum ehrenvollen Anlass erscheinen Sondermarken der Post, und der Bud-Spenzer-Heart-Chor (das "Z" ist absichtlich gesetzt) gibt in der Milla sein erstes Konzert. Sein erstes umfassendes Konzert mit einem Repertoire aus 17 Songs. Ausschließlich Lieder aus den Spencer-Hill-Filmen erklingen dann zu zwei Gitarren und einer Cajón. "Banana Joe" ist dabei, "Bulldozer", "Miss Robot". Hymnen, die jeder Fan kennt (Beginn um 20.30 Uhr). Diese Truppe ist das Lalala unter den beschwipsten Melodien, der breit grinsende Mitwipper in der Schar der Laiensänger.
Das Spaßprojekt um den Chorleiter Dominik Schauer macht Furore, und seit ein paar Wochen überschlagen sich die Ereignisse. Von der ersten Probe im Improvisationsschuppen Flo Stern über Kurzauftritte beim Maibaumaufstellen und beim Walky-Talky-Straßenfest bis hin zur kleinen München-Tournee (Open Air am Marsmarkt, 30. Juni, Vereinsheim, 3. Juli) ist knapp ein halbes Jahr vergangen. Inzwischen bringen sich 60 Sängerinnen und Sänger ein, darunter überdurchschnittlich viele Männer, und das Ergebnis kann sich von Mal zu Mal mehr hören lassen. Wo anfangs schiefe Töne waren, sind jetzt schöne Harmonien und Timing. Schauer gibt der Gruppe ein Gesicht. Mit seiner Akustikgitarre steht der Musiklehrer und Musiker vor den Jeansfrauen und Karohemdenmännern und macht ihnen sozusagen den "Sheriff".
Eine Riesenanerkennung gab's neulich beim Filmfest, als die Doku "Sie nannten ihn Spencer" Weltpremiere hatte und Ehrengäste wie Giuseppe Pedersoli, Buds Sohn, oder Riccardo Pizzuti, der Oberbösewicht aus den Filmen, im Mathäser saßen. Schauers Chor durfte vor der Vorführung singen, und in dem Moment, als die Blockflöten "Flying Through The Air" verzierten, ging ein wohliges Aaaaaaaah durchs Publikum. Als dann der Sopran zum lieblichen wie allseits bekannten "Lalalalalala" ansetzte, waren eh alle hingerissen.
So viel Glamour ist nicht immer, der Chor-Alltag sieht anders aus: Jeden Montagabend, um viertel nach sieben, treffen sich die Sänger im Obergiesinger Flo Stern, um Bekanntes zu verbessern und Neues einzustudieren. Und um Bier zu trinken, das gehört bei einem Kneipenchor selbstredend dazu. Inzwischen gibt es T-Shirts und Buttons, und ein gemeinnütziger Verein ist gegründet. Nur beim Arrangement möchte Dominik Schauer nicht weiter aufmotzen. "Wie eine kleine Skiffle-Band" sollen die Musiker klingen, sagt er, nicht üppiger.
Auch die Größe des Ensembles soll nicht erweitert werden. Und obwohl bereits 80 Leute auf der Warteliste stehen, kann sich jeder bewerben (wer ein Instrument spielt und Chor-Erfahrung hat, ist klar im Vorteil). Große Ziele hat Schauer sehr wohl: Kooperationen mit anderen Chören wären schön, sagt er, oder Aufritte bei Fan-Treffen. "Mein persönlicher Knaller wäre Wacken. Da möchte ich unbedingt hin." Warum ausgerechnet zu dem Hard-Rock-Festival in Schleswig-Holstein? "Die Schnittmenge aus Metal- und Bud-Spencer-Fans ist groß."