SZenario:Sangeskunst mit Wadlstrümpfen

Lesezeit: 3 min

Zwischen den einzelnen Gängen zeigt die Oper, was sie zu bieten hat. (Foto: Florian Peljak)

Minister Markus Blume kommt in der Lederhose, Bariton Erwin Schrott küsst die Hand und 500 Gäste speisen, wo sonst die Operngötter stehen: Wer beim Bühnendinner in der Bayerischen Staatsoper nicht spendet, tut es nimmermehr.

Von Susanne Hermanski

Es gibt Benefizveranstaltungen, die absolviert die Münchner Gesellschaft anstandshalber. Nach dieser hier aber ist sie verrückt. "Ich war beim ersten Mal schon dabei, und wir kommen jedes Jahr wieder", sagt Swantje von Werz, die sich gemeinsam mit ihrem Mann Georg an vielen Stellen in Bayerns Kulturleben engagiert. Ebenso still wie großzügig. Beim Empfang in den Ionischen Sälen, mit dem jedes Bühnendinner der Bayerischen Staatsoper am Tag vor der Saisoneröffnung beginnt, perlt die Vorfreude wie der Sekt.

Fast 500 Gäste, mehr als im vergangenen Jahr, sind zum Bühnendinner gekommen. (Foto: Florian Peljak)

Die Kleiderordnung heißt "Black Tie", also Smoking und langes Abendkleid, und bei kaum einer anderen Festivität in München wird die so lustvoll eingehalten wie hier. Nur einer schert aus: Markus Blume, Bayerns Kunstminister und Novize hier ("Ich weiß auch nicht, was vergangenes Jahr an dem Abend los war", sagt er). Er kommt in Lederhose und Wadlstrümpfen direkt von der Wiesn. "Da hat die Zeit zum Umziehen nicht gereicht." Einige der Mäzenatinnen lächeln - ebenfalls großzügig: "Anfängerfehler".

War doch so manche von ihnen ebenfalls gerade noch bei der "Damenwiesn" im vollsten Dirndl-Ornat samt Flechtfrisur gesessen. Und jetzt stehen sie schon wieder in bodenlanger Robe mit hochgestecktem Haar. "Alles eine Frage der Organisation."

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Fast 500 Gäste sind gekommen zum Bühnendinner der Bayerischen Staatsoper, noch ein paar mehr als im vergangenen Jahr. Intendant Serge Dorny spricht am Ende von "fast 500 000 Euro", die der Abend 2023 eingebracht hat. Denn die Leute zahlen nicht nur für den Platz am Tisch, die meisten spenden überdies. Eine halbe Million Euro, das ist eine Spitzensumme in Zeiten, da im Kulturbetrieb fast überall das Geld knapp wird. Wie jedes Jahr wird die Summe vor der Oper in die Vermittlung von Musik an junge Menschen fließen. "Danke, dass Sie dafür auch direkt in die Stadtviertel zu den Leuten gehen", sagt Blume (CSU).

Das Bühnendinner - ein Schmaus für Ohren, Augen und Gaumen. (Foto: Florian Peljak)

Wer hier sitzt, der glaubt an die verbindende Kraft der Musik über politische, gesellschaftliche und stilistische Schranken hinweg. Das wird spätestens gegen Mitternacht erprobt, wenn ein DJ auflegt und bis zur Engelsloge hoch die Rhythmen von aktueller House-Musik und die unsterblichen Freddie-Mercury- und Eurythmics-Songs wummern. Davor jedoch das eigentliche Herzstück dieses ebenso glamourösen wie coolen Abends, das Dinner selbst.

Es ist wohl deshalb so erfolgreich, weil es ermöglicht, was allerorten gerade gefordert wird: den großen Perspektivwechsel. Hier wird er endlich einmal eingelöst. Die Zuschauer, sonst brav in Rängen und Reihen mit Blick auf die Bühne, sitzen hier ebendort - auf den weltbedeutenden Brettern selbst. Dort, wo sonst die Operngötter dieser Tage stehen wie Jonas Kaufmann, Marlis Petersen, Klaus Florian Vogt, und bis vor Kurzem auch noch Anna Netrebko oder der Ballerino Sergej Polunin, auf dessen Brust und Armen mittlerweile drei große Putin-Konterfeis prangen.

Im Wald... Szenen aus dem Mittsommernachtstraum. (Foto: Florian Peljak)

An großen ovalen Tischen wird gespeist. Und zwischen den vier Gängen zeigt die Oper, was sie zu bieten hat. Über den Köpfen prangt der Lüster aus "La Bohème", der vom Schnürboden mit all seinen Apparaturen hängt. Die seitliche Brandmauer verhüllt ein glitzernder Vorhang aus "Das schlaue Füchslein". Der Blick auf die winzige Inspizientenkammer mit allerlei Notizzetteln an der Wand ist frei, über dem Orchestergraben ist eines von drei Podien aufgebaut und der leere Publikumsraum ist in wechselnde Lichtspiele getaucht.

Wie in jedem Jahr treten die jungen Sängerinnen und Sänger des Opernstudios, der Talentschmiede, auf. Diesmal mit Motiven aus dem Sommernachtstraum. Aber jede Perfektion verträgt einen kleinen Makel, und so gibt es auch in diesem Programm eine Seltsamkeit. An Anfang und Schluss hat die Regie Gaukler gesetzt, niemanden aus dem Ensemble, sondern von außen engagierte Akrobaten wie aus einer Spiegelzelt-Dinnershow, nur noch ein bisschen langweiliger.

Immer ein großer Charmeur: der Bassbariton Erwin Schrott. (Foto: Florian Peljak)

Der Star dieser Nacht aber ist das Gegenteil davon: Erwin Schrott, ganz nebenbei auch noch Ex von Anna Netrebko. Damit in jederlei Hinsicht Experte für große Leidenschaften, obliegt es ihm, die Überraschung des Abends präsentieren: konzertante Ausschnitte aus Carmen, der Bariton selbst als Prototyp des Toreros Escamillo. Wer da nicht spendet - Beifall, Euros, Ovationen -, tut es nimmermehr.

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