Münchner Momente:Warum das Bierzelt keinen Wahlkampf verträgt

Lesezeit: 2 min

Im Bierzelt sind immer öfter Wahlkampfreden zu hören. (Foto: Claus Schunk)

Politiker nutzen die Volksfeste als Location für den Stimmenfang. Doch die Auftritte stören mitunter erheblich die Gemütlichkeit.

Glosse von Wolfgang Görl

Vor wenigen Wochen hat ein Orkan in Kissing ein Bierzelt weggefegt, und mittlerweile gibt es keinen Zweifel, dass es sich bei dem Desaster um einen Fingerzeig von ganz oben handelt, vom Himmelspförtner Petrus, wenn nicht gar von dessen Chef. Die Botschaft ist klar: Der Herr hat euch Bayern das Bierzelt geschenkt, auf dass ihr darin Freude habt, bierselige Stunden mit euren Mitmenschen genießt und gottgefällige Werke tut, also Freibier spendiert und den Reichtum des Wirts mehrt.

Nicht aber sollt ihr diese Location für anderweitige Zwecke missbrauchen, etwa für den Wahlkampf und das Propagandageschrei der Parteien. Das Wort "Location" hat der Heilige Geist hineinredigiert, weil er der Ansicht ist, göttliche Botschaften sollten heutzutage irgendwie hip klingen. Aber dies nur am Rande. Wesentlich ist, dass der himmlische Wink komplett ignoriert wird, sogar von der CSU, die doch sonst auf das Wort des Herrn hört, sofern es ihr nützt.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Folgt man den Nachrichten, dann entsteht der Eindruck, dass es sich beim bayerischen Landtagswahlkampf um einen Wettbewerb handelt, bei dem der gewinnt, der die meisten Bierzeltreden hält. Kein Volksfest ist derzeit vor Politikern sicher, jeder Zecher muss damit rechnen, statt eines "Prosits der Gemütlichkeit" die mit reichlich Achselschweiß zelebrierte Rede eines Kandidaten oder einer Kandidatin vernehmen zu müssen.

Eben noch war man mit einem Flirt beschäftigt, oder - viel aufregender - mit der Frage, ob man einen veganen Leberkäs oder Schweinswürstel classic bestellen soll, und auf einmal, Schreck lass nach, steht der Söder oder der jüngere der Aiwanger-Brothers auf der Bühne und schimpft auf die Grünen, die schuld sind, wenn die Heizung versagt und das Land an Wolfverbiss zugrunde geht.

Jubel brandet auf, die Leute sind abwechselnd empört und begeistert, denn abermals bewährt sich, was schon der alte Cicero wusste: Die Bierzeltrede ist eine besondere Form der politischen Belehrung, die keinesfalls durch des Gedankens Blässe getrübt werden darf. Rechte Politiker beherrschen die Kunst, Stammtischparolen als politische Weisheiten zu verkaufen, in der Regel besser als Sozis oder Grüne, die im Bierzelt häufig so wirken wie eine Maus beim Katzenkongress.

Der Generaldirektor sitzt neben dem Hausmeister

Im Stammesgesetz der Bayern, das noch aus den finsteren Jahrhunderten vor Gründung der CSU stammt, ist festgelegt, dass im Bierzelt Alte und Junge, Arme und Reiche, Männer und Frauen, Rote und Schwarze zusammenkommen, und natürlich auch alle Diversen. Der Generaldirektor (heute CEO) sitzt neben dem Hausmeister (heute Facility Manager), die Bäuerin neben der Professorin, der Veganer neben dem Schweinshaxnesser. Am Biertisch sind alle gleich, und jeder ist willkommen.

Zwar gibt es hin und wieder Raufereien, aber nur, weil ein Volksfestbesuch ohne blaues Auge und Platzwunden eine halbe Sache wäre. Diese Gemeinschaftlichkeit im Zeichen des Rausches hat der Wahlkampf zerstört. Wehe dem, der beispielsweise bei einer Aiwanger-Rede aufstünde, um für die Grünen zu werben. Mit einer Bierdusche aus 100 Masskrügen käme er noch gut davon. Längst ist Schluss mit lustig. Oder, wie der Heilige Geist sagen würde: "Election campaign kills Gemütlichkeit."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusTipps für Sommertage
:Zehn Münchner Biergärten, die nicht jeder kennt

Hirschgarten und Hofbräukeller sind jedem bekannt, doch abseits des großen Trubels finden sich noch andere idyllische Plätze zum Essen und Trinken im Freien. SZ-Autoren empfehlen Biergärten für die Mass ohne Massen.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: