Bayerischer Buchpreis:Orte für brillante Gedanken

Lesezeit: 3 min

Deniz Utlu erzählt eine "unglaublich warme Familiengeschichte", lobt Jurorin Marie Schoeß. (Foto: Florian Peljak)

Jan Philipp Reemtsma und Deniz Utlu erhalten den Bayerischen Buchpreis, Florian Illies den Ehrenpreis des Ministerpräsidenten. Ein wohltuender Abend.

Von Martina Scherf

Bücher, sagt BR-Moderatorin Judith Heitkamp zum Auftakt, "sind Orte, die die Chance bieten, klare Gedanken zu fassen und Perspektiven einzunehmen, die nicht die eigenen sind." Und was hätten wir nötiger als solche Orte, angesichts von Krieg, Hass und Hetze? Wie wohltuend ist da ein Abend in der festlich ausgeleuchteten Allerheiligen-Hofkirche, bei dem es um Erkenntnis geht, um Fantasie - und eben diesen Perspektivwechsel. Zum 10. Mal verleiht der Börsenverein des Deutschen Buchhandels den Bayerischen Buchpreis. Und anders als bei ähnlichen Veranstaltungen stehen hier die Preisträger nicht vorher fest, sondern werden von der Jury live ausgehandelt. Entsprechend nervös sitzen die Nominierten im Publikum.

Nur einer wusste vorher schon, dass er den weißen Porzellanlöwen mit nach Hause nehmen darf: Florian Illies, Bestsellerautor, Kunsthistoriker, Mitherausgeber der Zeit. Er bekommt den Ehrenpreis des Ministerpräsidenten, und diese Entscheidung trifft Markus Söder angeblich immer persönlich. Sagt zumindest Florian Herrmann, sein Staatskanzleichef. Söder sei ein großer Fan von Illies, seit er dessen "Generation Golf" gelesen habe. Fan hin oder her, Söder hat es auch diesmal wieder nicht geschafft zu kommen, zu viele Termine. An seiner Stelle schwärmt Herrmann von der "Bedeutung Bayerns als Buchland". Mit rund 300 Verlagen, 750 Buchhandlungen und 11000 Neuerscheinungen pro Jahr nehme Bayern eine Spitzenposition in Deutschland ein. An Illies gewandt sagt er, mit dem Roman "1913" sei dem Autor ein "Big Bang" in der deutschen Literatur gelungen, ein wichtiges Buch über ein Schicksalsjahr in der deutschen Geschichte.

Nach der Preisverleihung (von links): Florian Illies, Deniz Utlu, Jan Philipp Reemtsma und die ebenfalls nominierte Teresa Präauer. (Foto: Florian Peljak)

Illies kontert mit der Bemerkung, offensichtlich werde der Ehrenpreis "nicht für eine besonders ehrenvolle Rolle Bayerns in den Büchern des Preisträgers verliehen. Im Gegenteil: Wenn in meinen Büchern München auftaucht, beginnt immer das Unheil." Nur Caspar David Friedrich habe wohl ein entspanntes Verhältnis zu München gehabt, "immer, wenn er ein Bild verkauft hat, ging er zum Feiern ins Bayerische Brauhaus in Dresden." Dem Maler widmete Illies sein jüngstes Buch. Und entdeckte eine kuriose Parallele zur Gegenwart: Die berühmten Holzschnitte Friedrichs aus seiner Jugend stammten in Wahrheit nicht von ihm, sondern von seinem Bruder. "Auch das kennt man ja in Bayern sehr gut, dass die Druckerzeugnisse in Wahrheit immer vom Bruder kommen." Großes Gelächter. Dann wird Illies ernst, als er sagt, "sich zu erinnern und davon zu erzählen, das bedeutet, sich den Widersprüchlichkeiten der Vergangenheit auszusetzen". (Die vollständige Dankesrede lesen Sie im Feuilleton der SZ.)

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Dann ist die Jury dran, bestehend aus Andreas Platthaus von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Marie Schoeß vom Bayerischen Rundfunk und Cornelius Pollmer von der Süddeutschen Zeitung. Weil Bayern 2 live überträgt, haben die Feuilletonisten nur jeweils 30 Minuten Zeit, sich zu einigen. Pollmer beginnt die Sachbuchrunde mit Jan Philipp Reemtsmas Biografie von "Christoph Martin Wieland". Das Buch sei "ein Glücksfall". Auch ihm sei die Bedeutung Wielands, ein Zeitgenosse Goethes, für die deutsche Literatur vorher nicht so klar gewesen. Zustimmung seiner Mitdiskutanten, die betonen, die Lektüre habe ihnen auch großes Vergnügen bereitet.

Platthaus plädiert für "American Matrix" des Historikers Karl Schlögel, während Marie Schoeß' Favorit "Die Zunge" von Florian Werner ist, "er kitzelt schreibend heraus, was dieses glitschige Organ immer schon in uns hervorrief: Lust und Ekel, Scham und kindliche Neugier". Allein, es muss eine Entscheidung her. Und so darf am Ende der Literaturprofessor Reemtsma seinen Löwen aus der Hand von Klaus Füreder vom Börsenverein entgegennehmen.

Stimmungsvoller Ort für eine Veranstaltung: die Allerheiligen-Hofkirche. (Foto: Florian Peljak)

Judith Heitkamp mahnt: "Um 22 Uhr schalten wir zu den Nachrichten." Ja, ja, die Nachrichten, seufzt Platthaus da, "die sind heilig". Nur gut, dass dieser Mann seine unfassbar brillanten Gedanken so unfassbar schnell abspulen kann. Der FAZ-Redakteur plädiert für Stephanie Barts "Erzählung zur Sache" über das Leben der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. "Ein politischer Roman, wie es seit Peter Weiss' ,Ästhetik des Widerstands' keinen mehr in der deutschen Literatur gegeben hat." Marie Schoeß wirft die Frage auf, in wie weit die Autorin sich Ensslins Innenansicht angeeignet habe. Das auszudiskutieren, reicht jedoch die Zeit nicht. Pollmer stellt Teresa Präauers "Kochen im falschen Jahrhundert" vor, ein großartiger Roman, wie alle drei finden. "Wir haben doch auch schon solche Abendessen erlebt, bei denen man sich nach reichlich Alkohol geistreicher fühlt als man ist", meint Pollmer. "Ich erinnere mich mit Grausen", sagt Platthaus. Schließlich gewinnt aber Deniz Utlu diese Runde. Der Autor erzähle mit "Vaters Meer" eine "unglaublich warme Familiengeschichte", sagt Schoeß. Er hole seinen nach einem Schlaganfall verstummten Vater durch Erinnerungen zurück. "Atemberaubend", konstatiert Platthaus.

Dann wandert die Festgemeinde aus Autoren, Juroren, Lektorinnen, Verlegern, Buchhändlerinnen und Ehrengästen durch die königlichen Gemächer der Residenz in den Kaisersaal. Für Lesestoff ist gesorgt - aber was wäre Lesen, ohne darüber zu reden? Bis Mitternacht ist jedenfalls Zeit für Perspektivwechsel, und die wird lebhaft genutzt.

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